Botschafter der UkraineAndrij Melnyk ist ein Ankläger

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Andrij Melnyk, seit Dezember 2014 Botschafter der Ukraine in Deutschland

Berlin – Neulich war Andrij Melnyk mal zurückhaltend. Enttäuschend nannte er es, dass die Bundesregierung, wie auch die US-Regierung, die Zustimmung zur Lieferung polnischer Kampfflugzeuge an die Ukraine versage. Enttäuschend, das ist eines der sanfteren Worte in Melnyks Wortschatz. Erst auf Nachfrage des Moderators Markus Lanz übernahm er dessen Stichwort – und bezeichnete die Regierung als feige.

Es war eines von vielen Interviews, die Melnyk zur Zeit gibt. Es war eines von vielen scharfen Worten.

Russland hat sein Heimatland, die Ukraine, angegriffen. Als Botschafter ist Melnyk die offizielle Stimme der Ukraine in Deutschland. Der 46-jährige Jurist füllt sie auf eine Weise aus, die mit der üblichen Zurückhaltung von Diplomaten wenig zu tun hat: Gewundene Erklärungen, in denen die Gemeinheiten sich im Weglassen von Grußformeln verstecken, sind nicht seine Sache.

Er ist elegant und akkurat gekleidet, aber kein freundlich-glatter Vermittler. Melnyk ist ein Ankläger, seine Worte sind oft Beschimpfungen. Er spricht über die Bundesregierung wie über einen Patienten, irgendwo zwischen unwillig, begriffsstutzig und unzurechnungsfähig.

„Hartherzig und stur“, erlebe er die Koalition, sagt er zum Beispiel. Oder auch: peinlich, gleichgültig, ängstlich, nicht führungsstark.

Ein Telefonat des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit Kanzler Olaf Scholz hat er in der „Welt“ so beschrieben: „Es war, als ob man mit einer Wand gesprochen hätte.“

Immer geht es darum, dass die Regierung die Wünsche der Ukraine nicht erfüllt, oder zu spät oder nicht vollständig. Nato-Beitritt, EU-Beitritt, Waffen – schon vor dem Angriff Russlands hat die ukrainische Regierung, hat Melnyk all das gefordert. An den Westen, an Deutschland insbesondere geht der Vorwurf, den russischen Präsidenten Wladimir Putin unterschätzt zu haben.

Bequemlichkeit und Fehlkalkulation

Die deutschen Politiker hätten es einfach noch nicht verstanden, findet Melnyk. Er sagt, er halte es auch für möglich, dass man nicht verstehen wolle. Dass man also die Ukraine schulterzuckend opfere, aus Bequemlichkeit und Fehlkalkulation.

Die Bundesregierung hat klar Position gegen Russland und für die Ukraine bezogen. Sie hat sich durchgerungen, Waffen zu liefern, den Bundeswehr-Etat in ungeahnte Höhen zu schrauben. Für Parteien wie die SPD und die Grünen sind das große Schritte, Melnyk findet es zu wenig.

Er schimpft weiter, fordert „Waffen, Waffen, Waffen“. Trifft sich mit Wirtschaftsvertretern, mit der Verteidigungsministerin Christine Lambrecht – und wenn seine Beschreibungen der Begegnung eine Bewegung wäre, er würde sich gründlich schütteln.

Applaus im Bundestag

Im Bundestag nimmt Melnyk bei der Ukraine-Debatte auf der Tribüne Platz. Er bekommt stehenden Applaus aus allen Fraktionen. „Man feierte eher sich selbst“, spottet Melnyk bitter.

In Koalition wie Opposition gibt es Irritationen: Der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff, gelernter Diplomat, hat seine Kritik in vorsichtige Worte gefasst: „Manchmal finde ich, dass er ein bisschen überzieht.“

Andere Parlamentarier sagen, der Botschafter verspiele mit seinem Auftreten Sympathien für sein Land. Es wird darauf verwiesen, dass Melnyks Dienstzeit in Berlin mit sieben Jahren eigentlich schon überzogen sei. Vor dem Angriff Russlands war die Frage zu hören, ob Melnyk versuche, sich für eine innenpolitische Karriere in seiner Heimat zu profilieren.

Eines zumindest ist sicher: Mit scharfen Äußerungen wird man öffentlich mehr wahrgenommen als mit abgewogenen Freundlichkeiten.

Die Kritik an dem lauten Botschafter bleibt dennoch leise. In der Ukraine wird geschossen und gestorben, die Menschen fliehen. Das ist gerade wichtiger. Melnyk sagt, es gehe ums Überleben, die Wortwahl sei da „scheißegal“.

In dieser Woche wird die Ukraine im Bundestag wieder auf der Tagesordnung stehen. Präsident Selensky wird per Video zugeschaltet. Melnyk wird voraussichtlich wieder auf der Tribüne sitzen.

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