Chef des Bundesrechnungshofs„Klimaschädliche Subventionen endlich streichen“

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Vor dem Reichstagsgebäude in Berlin ist ein grüner Greifarm eines Baggers zu sehen.

Ein Baufahrzeug steht auf der Baustelle vor dem Reichstagsgebäude.

Der Präsident des Bundesrechnungshofs, Kay Scheller, kritisiert massiv die Haushaltspolitik von Finanzminister Christian Lindner (FDP). Er warnt vor steigenden Zinsen und den daraus folgenden Belastungen.

  • Die Verschuldung des Bundes ist in drei Jahren um 800 Milliarden Euro gestiegen
  • Die Regierung hat wegen Corona-Krise, Ukraine-Krieg und die Energiepreis-Entwicklung hohe Ausgaben zugesichert
  • Im Interview spricht der Chef des Bundesrechnungshofs, Kay Scheller, über die Schuldenentwicklung

Herr Scheller, die Analysen des Bundesrechnungshofs zur Haushaltsplanung der Ampelregierung könnte man kurz zusammenfassen mit: Tricksen, Verschleiern, Verschwenden. Ist es das zutreffend beschrieben?

Kay Scheller: Ich möchte es so formulieren: Die Haushaltspolitik des Bundes wird den enormen Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht gerecht. Jahrzehntelang konnte sich Deutschland auf seine finanzielle Leistungsfähigkeit verlassen. Doch jetzt gibt es so viele Krisen und ungelöste Probleme wie noch nie. Pandemie, Ukrainekrieg und Energiekrise haben die Verschuldung explodieren lassen. Dazu kommt der riesige Modernisierungs- und Nachholbedarf bei Infrastruktur, Verteidigung, Digitalisierung und Klimawandel sowie der demografische Wandel, der die Kosten in den Sozialversicherungen nach oben treibt. Und jetzt steigen auch noch die Zinsen und wir haben Anzeichen einer Rezession. Das alles, zusammen mit der hohen Inflation, ist eine toxische Mischung. Die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen ist in Gefahr.

Übertreiben Sie nicht?

Nein. Ich mache es konkret: In 70 Jahren Bundesrepublik hat der Bund einen Schuldenberg von 1,3 Billionen Euro angehäuft. In nur drei Jahren –2020 bis 2022 – steigt der Berg um sagenhafte 800 Milliarden Euro auf dann über 2 Billionen Euro. Zinsen und Tilgung schränken zukünftige finanzielle Handlungsspielräume extrem ein und belasten die künftigen Generationen. Es verbaut ihnen die Möglichkeit, selbst politisch zu gestalten.


Kay Scheller, Präsident des Bundesrechnungshofes.

Kay Scheller, Präsident des Bundesrechnungshofes (Archivbild).

Kay Scheller ist seit 2014 Präsident des Bundesrechnungshofes. Die Behörde mit ihren rund 1100 Beschäftigten wacht darüber, ob der Bund mit dem Geld der Steuerzahler sorgsam umgeht.


Bundesfinanzminister Lindner ist entspannt und argumentiert, Deutschland könne schon bis Ende des Jahrzehntes aus den Schulden „herauswachsen“ und wieder die Maastricht-Kriterien erfüllen. Teilen Sie diese Einschätzung?

Sich darauf zu verlassen, scheint mir sehr riskant. Ein Herauswachsen aus den Schulden wie nach der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 wird sich nicht wiederholen. In den guten Jahren danach mit Überschüssen boomte die Wirtschaft, es wurden jede Menge neue Jobs geschaffen. Doch obwohl die Steuereinnahmen sprudelten, wurde nicht konsolidiert, Investitionen vernachlässigt und Reformen der Sozialsysteme verschleppt. Das fällt uns heute auf die Füße. Damals sind auch die Zinsen erheblich gefallen. Heute aber steigen sie: In 2021 zahlte der Bund knapp 4 Milliarden Euro Zinsen, für 2023 werden es über 40 Milliarden Euro sein – eine Verzehnfachung mit weiter steigender Tendenz.

Kay Scheller: „Nebenhaushalte sorgen für Intransparenz“

Gibt die Ampel die richtigen Antworten?

Sie spielt zumindest nicht mit offenen Karten. Zunächst einmal muss die Regierung die Haushaltslage offen und ehrlich darstellen. Stattdessen verschleiert sie die Lage. Viele Nebenhaushalte und eine immer kreativere Buchführung sorgen für Intransparenz. Wir haben nachgerechnet und einen neuen Begriff geprägt - für die nötige Transparenz: die echte Nettokreditaufnahme - abgekürzt eNKA. Der bringt die Sache auf den Punkt: Mit fast 107 Milliarden Euro ist die eNKA mehr als doppelt so hoch wie die angegebene Neuverschuldung von knapp 46 Milliarden Euro.

Eine so hohe Kreditaufnahme lässt die Schuldenbremse gar nicht zu.

So ist es. Die Regierung unterläuft die Schuldenbremse. Auch mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds, der für die Energiepreisbremsen in diesem Jahr Schulden von 200 Milliarden Euro aufnehmen kann. Die Regierung bevorratet sich bereits jetzt mit Geld, obwohl sie es noch nicht braucht, statt die Mittel ordnungsgemäß in den nächsten beiden Jahren jährlich im Haushalt aufzunehmen – dann, wenn sie es tatsächlich braucht.

Aber es ergibt ja durchaus Sinn, in dieser angespannten Situation die Bevölkerung zu beruhigen und zu zeigen, dass genug Geld für den „Doppelwumms“ da ist. Ist das kein Argument?

Eine Schuldenaufnahme auf Vorrat widerspricht allen Haushaltsregeln. Niemand weiß, mit wieviel die Preisbremsen am Ende den Bund belasten, weil die Energiepreisentwicklung kaum vorhersehbar ist. Aber gutes Haushalten heißt, zu priorisieren, an anderer Stelle zu sparen. Als letztes Mittel steht immer noch das Instrument der Notlage zur Verfügung, um die Schuldenbremse auszusetzen. Das ist der richtige Weg eine transparente und ehrliche Politik.

Kay Scheller: „Der Haushalt versteinert“

Ist die Schuldenbremse nicht ohnehin ein Irrtum? Kritiker sehen in ihr den Grund, dass zu wenig investiert wurde und wird.

Dem will ich ausdrücklich widersprechen. Die Schuldenbremse ist ein kluger Weg. Sie zwingt die Politik zu klaren Entscheidungen, passt sich aber auch der wirtschaftlichen Lage an, ist also hinreichend flexibel. Die Gründe für zu wenig Investitionen sind in Politik und Verwaltung zu suchen. Es wurden andere Prioritäten gesetzt mit immer mehr Leistungen, wie die Mütterrente oder die Rente ab 63, die den Haushalt versteinern lassen. Bei der Bundeswehr hätte man nicht in der Truppe und beim Material sparen dürfen und die Verwaltung effizienter und straffer ausrichten müssen. Klimaschädliche Subventionen sind endlich zu streichen und der Bund darf nicht weiter Steueranteile an die Länder abgeben. Allein in den Jahren 2022 bis 2026 fehlen ihm dadurch 100 Milliarden Euro. Damit hätte die Regierung das Bundeswehr-Sondervermögen locker ohne Schulden finanzieren können.

Es gab Befürchtungen, die 100 Milliarden Euro können nicht effektiv eingesetzt werden, weil das Beschaffungswesen der Bundeswehr nicht richtig funktioniert. Besteht das Problem weiter?

Geld allein ist nie ein Erfolgsrezept. Die 100 Milliarden Euro in ein schwerfälliges System zu geben, macht wenig Sinn. Damit die Mittel aus dem Sondervermögen wirken können, muss das Verteidigungsministerium Prozesse und Strukturen für das Beschaffungswesen straffen. Hier gibt es kein Erkenntnisproblem, schließlich haben wir regelmäßig auf die Mängel hingewiesen. Trotz unserer Vorschläge sehe ich bisher keine großen Fortschritte. Ohne Veränderungen wird sich die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr trotz der zusätzlichen Milliarden nur wenig verbessern.

Sie sprachen vom Subventionsabbau. Was meinen Sie konkret?

Wer die Zukunft gestalten will, muss sich von Finanzhilfen trennen, die einfach nicht mehr in die Zeit passen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Im öffentlichen Personennahverkehr bemisst sich eine Subvention für den Einsatz von Bussen am Dieselverbrauch. Je höher der Verbrauch, desto höher die Entlastung. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Die Probleme sind bekannt, aber seit Jahren passiert beim Thema Subventionsabbau nichts. Zwar lässt das Finanzministerium Subventionen wissenschaftlich evaluieren, setzt dann aber die Ergebnisse nicht um. So darf es nicht weitergehen.

Nicht nur im Bundeshaushalt fehlt Geld, auch in der Kranken- und Pflegeversicherung gibt es Defizite. Sind mehr Steuermittel, wie es die Kassen fordern, eine Lösung?

Die Sozialversicherungszweige Krankenversicherung, Pflege und Rente unterstützt der Bundeshaushalt 2022 mit immerhin fast 150 Milliarden Euro – Tendenz steigend. Die Mittel, die hier gebunden sind, fehlen für Zukunftsaufgaben. Die Lösungen liegen teilweise schon seit Jahren auf dem Tisch: Leistungen kürzen oder höhere Beiträge oder länger arbeiten sind die Stellschrauben. Das erfordert aber unpopuläre Entscheidungen. Hier muss die Regierung endlich handeln. Das Problem lässt sich nicht durch Aussitzen lösen.

Was halten Sie von Lindners Plänen, Kredite von zehn Milliarden Euro aufzunehmen, um damit ein Aktiendepot für die Rentenversicherung anzulegen?

Ich halte das für bedenklich. Das Volumen ist deutlich zu klein, um die Rentenversicherung spürbar zu entlasten. Aber mein eigentlicher Kritikpunkt: Wird die Aktienrente über Schulden finanziert, zahlen am Ende diejenigen die Zeche, die eigentlich entlastet werden sollen, nämlich die künftigen Generationen. Damit ist überhaupt nichts gewonnen.

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