Der Fall WirecardEine Blamage für den Standort Deutschland

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Die Wirecard-Firmenzentrale in Aschbeim bei München

  • Schon jetzt ist klar, dass die Wirecard-Affäre die Kultur zwischen Unternehmen, Politik und Aufsicht nachhaltig verändern wird.
  • Auch ein Minister der Bundesregierung gerät gehörig unter Druck.
  • Ein Blick auf den Skandal, seine Vorgeschichte und die Konsequenzen.

Berlin – Das Ende der Deutschland-AG wurde ja schon häufiger verkündet. Das Geflecht aus Banken, Industrie und Politik, das die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik in den Nachkriegsjahrzehnten geprägt hat, ist in den späten 90er-Jahren verschwunden, als gegenseitige Unternehmensbeteiligungen abgebaut wurden. Der Geist jener Deutschland-AG allerdings, der auf Vertrauen und verantwortungsbewusstem Wirtschaften basierte, hat weitergelebt. Bis zum 25. Juni 2020.

An jenem Dienstagmorgen vor vier Wochen um 10.25 Uhr veröffentlichte die Wirecard AG mit Sitz in Aschheim bei München eine Ad-hoc-Mitteilung. Sie löste damit einen der größten Wirtschaftsskandale der deutschen Geschichte aus.

Wirecard, bis dahin der Shooting-Star der deutschen Wirtschaft, ist pleite. Und es sind nicht die Corona-Krise, die sich eintrübende Weltkonjunktur oder eine verfehlte Unternehmenspolitik, die zu der Insolvenz geführt haben. Nach allem, was man bisher weiß, ist der eigentliche Grund die kriminelle Energie der Unternehmensführung.

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Schmuddel in der Beletage

Die Geschichte war auch zu schön, um wahr zu sein. Gegründet 1999 als Abrechner für Porno- und Glücksspielseiten im Internet, hatte sich das Start-up zum Weltspieler gemausert. 2018 folgte die Aufnahme in den Leitindex Dax. Aus der Schmuddelecke in die Beletage der Wirtschaft und das in nur 18 Jahren – was für eine Erfolgsgeschichte!

Das Dumme ist nur: Sie stimmte nicht. Der Erfolg basierte auf Lug und Betrug. Scheingeschäfte, frisierte Bilanzen, Vermögen, das nur auf dem Papier existierte, dazu dubiose Machenschaften in Bürgerkriegsländern und Verbindungen in die Halbwelt bis hin zu ausländischen Geheimdiensten – fast alles, was inzwischen über den Fall Wirecard bekannt ist, war zuvor in der Eliteliga der Deutschen Wirtschaft schlicht nicht vorstellbar gewesen. Und genau da liegt das Problem.

Das Wirtschaftssystem wie wir es bisher kannten, seine Aufsichts- und Kontrollinstanzen, das alles basierte zumindest ein Stück weit auf Vertrauen. Natürlich gibt es Prüfungen und Kontrollen, aber dass Kontobelege gefälscht, Rechnungsprüfer betrogen und Milliardenumsätze einfach erfunden werden, dafür reichte die Fantasie von Aufsehern, Politik und Wirtschaftspresse nicht aus. Nicht in Deutschland.

Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen, dass mit dem Wirecard-Skandal ein Teil der deutschen Wirtschaftskultur zu Ende gehen wird. Das Misstrauen wird künftig größer sein. Regeln werden strenger. Kontrollen schärfer. So wie im angelsächsischen Raum. Dort war die Vorstellungskraft in Sachen Wirecard deutlich ausgeprägter, wie der Rückblick zeigt.

Niemand reagiert auf schwere Vorwürfe gegen Wirecard 

Bereits im Januar 2019 erhebt die britische „Financial Times“ (FT) schwere Vorwürfe gegen Wirecard. Ein Manager des Unternehmens, berichtet die Zeitung, habe in Singapur womöglich Verträge gefälscht und Geldwäsche betrieben. Die Aktie verliert nach dem Bericht ein Fünftel ihres Wertes. Es müssten eigentlich alle Alarmglocken schrillen, doch niemand reagiert.

Die „FT“ legt mehrfach nach. Sie berichtet über gefälschte Rechnungslegungen, manipulierte Bücher, Zahlungskarussells. Es kommt zu Durchsuchungen in Singapur, Sammelklagen in den USA, und endlich reagiert auch die deutsche Bafin. Allerdings tut sie das auf die denkbar schlechteste Art und Weise. Am 18. Februar 2019 verhängt die Bafin ein zweimonatiges Leerverkaufsverbot für Wirecard-Aktien. Das hatte es bis dahin für Einzelunternehmen nie gegeben. Mit Leerverkäufen können Anleger auf fallende Kurse spekulieren und damit ein gesundes Unternehmen in schwere Turbulenzen bringen. Das fürchten die Aufseher im Fall Wirecard offenbar.

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Wenn man will, macht sich die Finanzaufsicht zur Komplizin der Firma. Sie übernimmt die Sichtweise des Unternehmens – dass angelsächsische Konkurrenz versuche, mit unlauteren Methoden den Erfolg eines deutschen Fintechs zu torpedieren. Es gibt Anzeigen gegen Journalisten der „FT“, die Staatsanwaltschaft München I leitet ein Ermittlungsverfahren ein wegen „Vergehens nach dem Wertpapierhandelsgesetz“.

Am 18. Juni aber informiert die Firma darüber, dass ihre Prüfer von EY ein Testat der Bilanz verweigern, weil Nachweise über die Existenz von Bankguthaben in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro fehlen. Eine Woche später meldet Wirecard Insolvenz an.

Fehler? Nur im System

Drei frühere Wirecard-Manager sitzen inzwischen wegen des Vorwurfs des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in Haft, unter ihnen Ex-Vorstandschef Markus Braun. Eine vierte ehemalige Führungskraft wird per internationalem Haftbefehl gesucht, der für das Tagesgeschäft zuständige Vorstand Jan Marsalek. Der Mann, der als Schlüsselfigur des Skandals gilt und exzellente Kontakte in russische Geheimdienstkreise unterhalten soll, wird in Russland vermutet.

Wie konnte es so weit kommen? Und wie hätte der Skandal verhindert werden können? Das sind die Fragen, die nun auch in der Sondersitzung des Finanzausschusses des Bundestags an diesem Mittwoch im Zentrum stehen werden. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sind als Zeugen geladen. Sie werden sich unbequemen Fragen stellen müssen.

Scholz besteht darauf, dass weder er als Minister noch sein Haus und auch nicht die Finanzaufsicht Bafin Fehler gemacht hätten, und verweist darauf, dass die Finanzaufsicht ihre Ermittlungen wegen Marktmanipulation nicht nur gegen die „FT“-Journalisten, sondern auch gegen Wirecard geführt und die Deutsche Prüfungsgesellschaft für Rechnungslegung (DPR) mit einer Prüfung der Bilanz beauftragt habe.

Fehler sieht Scholz nur im System und fordert eine Neuaufstellung und bessere Ausstattung der Aufsicht.

Regierung wird Fragen beantworten müssen

Die Opposition wird sich mit den bisherigen Erklärungen nicht zufriedengeben. „Wenn die Vorwürfe gegen Wirecard ernst genommen wurden, warum hat die Bafin dann ausgerechnet Journalisten bei der Staatsanwaltschaft angezeigt, die über die Vorwürfe berichtet haben?“, fragt der FDP-Bundestagsabgeordnete Florian Toncar.

Auch die Kontakte zwischen Regierung und Wirecard werden eine Rolle spielen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) persönlich hat bei einem China-Besuch 2019 die geplante Übernahme des chinesischen Unternehmens All Score Financial durch Wirecard angesprochen. Auch der Finanzstaatssekretär und Scholz-Vertraute Wolfgang Schmidt hat mit Peking über das Interesse von Wirecard an einem Markteintritt geredet. Und die Staatsministerin für Digitales, Dorothee Bär (CSU), bemühte sich nach einem Besuch in der Wirecard-Zentrale in Aschheim mehrfach um ein direktes Gespräch zwischen der Firmenführung und der Kanzlerin.

Die Opposition scheut einen Untersuchungsausschuss nicht. Der wäre vor allem für Scholz unangenehm. Der SPD-Mann hat seine Kanzlerkandidatur 2020 fest im Blick, ein laufender Untersuchungsausschuss ist das Letzte, was er dafür braucht.

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