Rückkehr eines RaubtiersWie gelingt das Leben mit dem Wolf?

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Wolf breitet sich aus RND

Ein Wolf schaut in einem Wildpark hinter einem Baum hervor. (Archivbild)

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Wolf auf Jakob Hermühlens Schafe trifft. Ein neues Rudel wurde ganz in der Nähe seiner Schäferei in der Feldberger Seenlandschaft in Mecklenburg-Vorpommern festgestellt. Oft treiben sich die Raubtiere nur ein Waldstück entfernt von Hermühlens Weide herum.

Noch gab es keine Risse, keine Angriffe auf die 400 Mutterschafe und 50 Ziegen, die Hermühlen auf insgesamt 260 Hektar Pachtland hält. Aber der Schäfer will es nicht darauf ankommen lassen. Er will seine Tiere schützen, mit einem festen Zaum um die am meisten gefährdete Weide. 42 Hektar will er umspannen lassen mit einer hoffentlich wolfssicheren Barriere, 1,70 Meter hoch plus eine stromführende Litze, damit der Räuber sicher vom Überklettern abgehalten wird. Und fest im Boden verankert, damit sich der Angreifer nicht durchwühlen kann.

Antrag abgelehnt – Schäfer hat Ärger mit Behörden

Eigentlich ist das ein klarer Fall, wenn man die Verlautbarungen von Landesagrarminister Till Backhaus (SPD) in Schwerin liest. Zäune gegen den Wolf werden gefördert, ebenso der Auf- und Abbau und die Instandhaltung. Schafhaltung ist erwünscht, aus Tradition und als Landschaftspflege. Das Land lässt sich das einiges kosten.

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Doch Jakob Hermühlen hat immer noch keinen Zaun aufstellen können. Erst beklagten sich Jäger und Naturschützer, dann wurde sein erster Antrag abgelehnt: Der beantragte 1,70-Meter-Zaun sei zu hoch, gegen den Wolf würden auch 1,20 Meter reichen. So schildert Hermühlen die Gespräche mit dem Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt.

Seine Schafe werden auch diesen Sommer ungeschützt auf der Weide verbringen, während er einen neuen Antrag einreichen muss. Hermühlen sagt: „Dass Minister Backhaus den Schäfern die Zäune zahlt, wie er immer wieder behauptet, ist Unsinn.“

Wolf breitet sich weiter aus

2021 hat es in Deutschland laut Wolfsmonitoring 157 Rudel, 27 Paare und sechs Einzeltiere gegeben. Genaue Zahlen sind jedoch nicht bekannt, die Bundesregierung will dem Koalitionsvertrag zufolge das Monitoring verbessern. Besonders große Vorkommen der Wildtiere gibt es in Niedersachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern.

Doch unter anderem in Bayern siedeln sich mittlerweile mehr und mehr Tiere an. In Regionen wie diesen werden die Fehler der Vergangenheit wiederholt. Auch aus Bayern berichten Weidetierhalter, dass sie bei den Behörden auf Unverständnis stoßen, wenn sie ihre Tiere schützen wollen.

Gleiche Fehler im Süden

„Erfahrungen aus Deutschland zeigen, dass vor allem dort Probleme auftreten, wo neue Territorien entstehen“, bestätigt Birte Brechlin vom Naturschutzbund (Nabu). Herdenschutz dürfe nicht erst aufgebaut werden, wenn sich Wölfe schon etabliert hätten. „Präventiver Herdenschutz ist also das A und O, um Übergriffe zu verhindern.“

Ein Rudel, dass sich an die Maßnahmen anpasst, kann dabei sogar helfen. „Ein etabliertes Rudel, welches den örtlichen Herdenschutz akzeptiert, ist dabei zusätzlich eine gute Versicherung gegen durchziehende Wölfe, da die Tiere territorial sind“, betont Brechlin.

Herdenschutz und Problem in der Umsetzung

Doch das ist genau das, was gerade etwa in Bayern passiert. Dabei klingt Herdenschutz eigentlich ganz simpel. „Dazu gehören vor allem elektrische Zäune. Die EU hat die hundertprozentige Förderung dafür seit Jahren freigegeben. „In den Bundesländern fällt diese allerdings unterschiedlich aus. Auch Herdenschutzhunde können eine Option sein“, schlägt Brechlin vor.

Landwirt Jens Schreinicke hat seine eigenen bitteren Erfahrungen mit dem Wolf gemacht. Im vergangenen Jahr rissen die Raubtiere eins seiner Kälber in Stücke bei Potsdam, nur wenige Kilometer von der Berliner Stadtgrenze entfernt. Schreinicke hing den Kadaver des Kalbs am Trecker an die Hauptstraße, zusammen mit dem Schild „Wolfsopfer! Dank den Träumern in diesem Land“. Nach ein paar Stunden kam die Polizei und bat ihn, das grausige Mahnmal zu entfernen.

Zäune alleine reichen nicht aus

Schreinicke berichtet von Wölfen, die selbst Herdenschutzhunde angreifen. Zäune reichten ebenfalls nicht mehr. Er will den schwedischen Weg gehen – das Ausweisen wolfsfreier Gebiete, in denen die Tiere gejagt werden dürfen.

Doch die deutschen Landesregierungen lassen das Wasser solange brodeln, bis es kocht – und überläuft. Die Herausforderung wird erst angegangen, wenn sie bereits da ist. Dabei ist Vorausschaubarkeit im Wolfsmanagement gefragt. Und auch auf Seiten der Landwirte gibt es dahingehend Versäumnisse, aus Ärger, weil sie sich alleingelassen fühlen, aber auch aufgrund der Bürokratie. Viele wissen zum Beispiel nicht, wie sie an die Förderungen rankommen sollen.

2020 gab es fast 4000 Angriffe auf Nutztiere – knapp 1000 Tiere wurde getötet. Die meisten Opfer sind Schafe oder Ziegen. Betroffen sind häufig Herden in Regionen, wo der Wolf relativ neu ist, aber auch in langjährigen Wolfsregionen finden Risse statt. Denn zur Wahrheit gehört, dass elektrische Zäune und Hunde keinen hundertprozentigen Schutz vor Wolfsattacken bieten. Seltener sind Tiere, die sich an keine Maßnahmen halten. Dann jedenfalls hilft nur das Abschießen – im Fachjargon „Entnahme“ genannt.

Wölfe, die wiederholt Herden bedrohen, dürfen entnommen werden. Auch Tiere, die Menschen gegenüber auffällig sind, dürfen abgeschossen werden. Eine ständige Regulierung der Wolfsbestände ist nicht erlaubt. Das liegt am Schutzstatus des Wolfes. Der Wolf ist über die Fauna-Flora-Habitatrichtlinie (FFH) besonders geschützt. Deutschland ist über das EU-Naturschutzgesetz verpflichtet, dem Wolf zu ermöglichen, einen lebensfähigen Bestand aufzubauen. Laut Bundesumweltministerium ist eine weitere Regulierung auch nicht erforderlich. Andere europäische Länder hingegen haben Ausnahmeregeln erlassen, um Wolfsbestände zu minimieren.

CDU fordert „aktives Wolfsmanagement“ – also Abschuss

Die Opposition im Bundestag fordert ein schärferes Vorgehen. „Ich erwarte, dass die Bundesregierung die Probleme aufgrund der Zunahme der Wolfspopulation, die sich vor allem im ländlichen Raum zeigen, endlich ernst nehmen“, fordert Anja Weisgerber, die umweltpolitische Sprecherin der Unionsfraktion. „Es muss Schluss sein, mit den ständigen Wiederholungen, dass das EU-Recht Maßnahmen zur Bestandsregulierung nicht zulässt.“

Deutschland brauche „ein aktives Wolfsmanagement, so wie es in anderen Ländern Europas auch möglich ist“, fordert die Politikerin. „Dazu gehört auch das Schaffen von wolfsfreien Gebieten und die Entnahme von Wölfen.“

Laut Weisgerber steigt die Zahl der Übergriffe auf Nutztiere. „Gerade die landwirtschaftliche Betriebe sind von den Wolfsübergriffen besonders betroffen. Tierschutz bedeutet für mich auch, den Schutz von Weidetieren“, sagt sie.

Was Weisgerber so umschreibt, bedeutet in Wahrheit das Abschießen von Wölfen. Zum Schrecken von Tier- und Naturschützern, die im Wolf einen wichtigen Teil unseres Ökosystems sehen. „Wölfe sind eine heimische Art, die zu unserer Natur dazugehören, wie jedes andere Wildtier auch“, erklärt Birte Brechlin vom Naturschutzbund (Nabu). Sie deutet es als einen Erfolg, dass die Wölfe vor 20 Jahren von alleine wiedergekommen sind. „Als Große Beutegreifer übernehmen sie eine wichtige Funktion im Ökosystem.“

„Der Wolf lernt ja auch dazu“

In der Feldberger Seenlandschaft sitzt Jakob Hermühlen an seinem neuen Zaunantrag. Wieder muss er drei Angebote für den Zaunbau einholen. 1,60 Meter Höhe hat er mit dem Amt herausverhandeln können. Auf weniger wollte er sich nicht einlassen. „Ich baue den Zaun ja für mindestens zehn bis 20 Jahre. Und der Wolf lernt ja auch dazu.“

80 Prozent der Kosten bekommt er gefördert. Eine stromführende Litze oben am Zaun darf er anbringen, gefördert wird sie nicht. Trotz aller Zusicherungen wird es ein teures Geschäft für den Schäfer, seine Herde zu sichern.

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So kann es nicht weitergehen, findet der SPD-Bundestagsabgeordnete Erik von Malottki, zu dessen Wahlkreis Feldberg gehört. Er will sich im Bundestag für die Entnahme von Wölfen aus zu groß gewordenen Populationen einsetzen. „Wir können im Wolfsmanagement nicht nur auf ganz Deutschland schauen, sondern müssen die Regionen in den Blick nehmen“, sagt er dem RND. Und er will Jakob Hermühlen in seinem Kampf mit der Bürokratie unter die Arme greifen. „Schäfer müssen den bestmöglichen Schutz für ihre Schafe bekommen. Dazu gehört, die Zäune zu finanzieren.“

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