SprintmaßnahmenWie Deutschland die Klimaziele schneller erreichen kann

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Ein Windrad steht hinter den Solarzellen einer Solarkraftanlage im Sonnenschein.

Berlin – 43 Prozent weniger Treibhausgasemissionen bis 2030: So viel Einsparung ist nötig, um die Erderwärmung im Vergleich zum späten 19. Jahrhundert auf 1,5 Grad zu begrenzen. Damit sollen katastrophale Folgen des Klimawandels abgewendet werden – ein Ziel, dass der Weltklimarat (IPCC) in seinem am Montag veröffentlichten Bericht noch einmal bekräftigte.

Der renommierte Klimaforscher Mojib Latif geht allerdings davon aus, dass der globale Temperaturanstieg nicht mehr auf 1,5 Grad begrenzt werden kann, sagte er Dienstag im Deutschlandfunk. „Ein bisschen herumdoktern hier und da und hier ein Windrad mehr und hier vielleicht etwas mehr öffentlicher Nahverkehr, das reicht nicht. Wir müssen völlig neue Strukturen aufbauen“, forderte Latif. „Sonst wird das alles nichts mehr werden.“

Deutschland muss beim Klimaschutz beschleunigen

Zuletzt hatte das Umweltbundesamt (UBA) festgestellt, dass Deutschlands Ausstoß an Treibhausgasen im vorigen Jahr um 4,5 Prozent gestiegen ist. Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) hatte schon bei der Veröffentlichung seiner „Eröffnungsbilanz“ prophezeit: „Es ist absehbar, dass die Klimaziele der Jahre 2022 und 2023 verfehlt werden. Aber wir unternehmen alle Anstrengungen, um den Rückstand wettzumachen. Hierzu müssen wir die Geschwindigkeit unserer Emissionsminderung verdreifachen und deutlich mehr in weniger Zeit tun.“

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Doch wie? Christiane Averbeck, Geschäftsführende Vorständin der Klima-Allianz Deutschland fordert: „Zur Eindämmung der Klimakrise ist ein Sprint beim Abschied von Kohle, Öl und Gas notwendig.“

Habeck muss nun mit seinem versprochenen „Osterpaket“ den Klimaschutz in Deutschland beschleunigen. „Wir erwarten große Schritte von Wirtschaftsminister Habecks Paket zu Erneuerbaren Energien kommende Woche“, sagte Averbeck dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Also: Auf die Plätze, fertig, los! Diese fünf Sprintmaßnahmen können den Klimaschutz in Deutschland schneller voranbringen:

Energie: Der Kampf mit den Windmühlen

In Politik und Wirtschaft sind sich so ziemlich alle einig: Die Zahl der Windenergieanlagen muss in Deutschland ausgebaut werden. Abstandsregeln zu Wohngebieten, aber auch zu Betriebsanlagen der Luftverkehrssicherung oder Wetterradaren bremsen hier bislang. Auch der Artenschutz galt als Hemmnis – was Naturschutzverbände jedoch bestreiten.

Jedenfalls haben sich Habeck und Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) jetzt darauf geeinigt, das die Abstände von landseitigen Windkraftturbinen zu solchen Sicherheitsanlagen wie Drehfunkfeuer (40) für die Luftfahrtnavigation und 17 Wetterradare geringer sein dürfen.

„Mit dem gemeinsam beschlossenen Maßnahmenpaket können wir zusätzliche Potentiale im Umfang von rund fünf Gigawatt zusätzlicher Windenergieleistung erschließen“, sagte der Klimaschutzminister am Dienstagabend. „Das entspricht bei vier bis fünf Megawatt pro Neuanlage mehr als 1000 neuen Windenergieanlagen. Das ist ein wichtiger Push für den Ausbau der Windenergie an Land.“

Am Tag zuvor hatte sich Habeck bereits mit Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) darauf verständigt, die artenschutzfachliche Prüfung für Windenergieanlagen an Land zu vereinfachen und effizienter zu gestalten.

Ob es nun, selbst wenn ein Land wie Bayern seine 10-H-Megaabstandsregelung eindampfen würde, zur Beschleunigung kommt, bleibt zweifelhaft. Ein grundlegendes Problem ist der Mangel an Fachleuten in den Genehmigungsbehörden der Länder.

Fazit: Hier braucht Deutschland einen Expertenbooster!

Energie: Auf den Dächern muss es Licht werden

Über die Solarpflicht bei Neubauten oder bei Dachsanierungen wird schon länger geredet als es die Ampelkoalition in Berlin gibt. Sie war auch im Koalitionsvertrag angekündigt worden. Für ihre Umsetzung gibt es jedoch bislang keinen klaren Fahrplan, kritisiert Oliver Powalla, Referent Energie und Klima beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Dabei handelt es sich um eine der einfachsten Maßnahmen, um die Solarenergie flächeneffizient breiter einzusetzen. Durch die Kombination mit laufenden Bauvorhaben werden die Installationskosten deutlich gesenkt.“

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Photovoltaikanlage im Solarpark von Köln-Weiden.

Auch vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) müssten hierzu noch in diesem Sommer Maßnahmen beschlossen werden, die den Solarbooster für öffentliche und private Gebäude auslösen, wie Präsident Jörg-Andreas Krüger es formuliert.

Krügers Verband hat am Dienstag ein Positionspapier zu Solarparks vorgelegt. Das Ziel: „Solarparks können einen wichtigen und naturverträglichen Beitrag zu einer unabhängigen Energieerzeugung liefern.“

Die Bundesregierung will im Osterpaket höhere Ausbauziele für festlegen und die Umsetzung starten. Im Jahr 2021 deckte die Photovoltaik laut Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE mit einer Stromerzeugung von 51 TWh 9,1 Prozent des Bruttostromverbrauchs in Deutschland ab, alle Erneuerbaren Energien zusammen kamen auf 42 Prozent.

Fazit: Bei den Solarparks ist Deutschland gut auf Kurs, bei der Solarpflicht für Dächer muss Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) noch liefern – aber schnell!

Verkehr: Langsamer, weiter und nachhaltiger

Es ist ja löblich, dass sich die Politik angeblich nicht um Umfragewerte schert. Selbst, wenn das kaum jemand glaubt: Einem seit Jahren stabilen Umfragewert könnten die Regierungsparteien trauen und ihn in die politische Tat umsetzen – die überwältigende Mehrheit für ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen.

In der Ampelkoalition versteht vor allem die FDP ein Tempolimit als tiefgehenden Eingriff in die Freiheit. Den liberalen Autofahrer muss somit der deutsche Schilderwald entlang deutscher Straßen schon heute schier verrückt machen, so dass bei einem Tempolimit wahrscheinlich die Gefahr des Durchdrehens bestünde.

Ein bundesweites, generelles Tempolimit von 120 Kilometern pro Stunde (km/h) auf Autobahnen könnte jedoch nach Berechnungen des Umweltbundesamts (UBA) die gesamten CO₂-Emissionen von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen um 2,7 Prozent senken. Dies wäre gegenüber 2018 eine Senkung der Emissionen von rund 2,6 Millionen Tonnen CO₂. Bei einem Tempolimit von 100 km/h läge die Minderung sogar bei circa 5,7 Prozent oder 5,4 Millionen Tonnen CO₂.

Übrigens: Die Einhaltung einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h würde laut UBA die Zahl der jährlichen Verkehrstoten etwa um die Hälfte senken und somit rund 140 Menschenleben retten.

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Tempo-30-Schild in der Eichhornstraße in Köln-Niehl

Darüber hinaus fordern Verbände wie der BUND zum Energiesparen autofreie Sonntage und das Streichen von Inlandsflügen. „Ein anderes Mobilitätsverhalten kann vermeidbare Emissionen schnell senken. Die genannten Maßnahmen wirken schnell, stellen die gewohnte Lebensführung der Bevölkerung aber nicht grundsätzlich infrage“, argumentiert BUND-Experte Powalla.

Christiane Averbeck von der Klima-Allianz Deutschland sagt: „Ein Tempolimit ist schnell und kostengünstig umsetzbar, noch dazu ist es sozial gerecht. Dasselbe gilt für autofreie Zonen und Tage.“

Fazit: Einfach machen und bei dem Thema die Angst vor der nächsten Wahl besiegen!

Verkehr: Umstieg auf ÖPNV erleichtern

SPD, Grüne und FDP beschlossen im Februar, die Pendlerpauschale für Fernpendler in der Steuererklärung anzuheben. Auslöser waren die steigenden Energiepreise. Perspektivisch soll die Pendlerpauschale neu geordnet werden.

Doch warum nicht aus der Not eine Tugend machen?

Die Denkfabrik Agora Verkehrswende machte jetzt Vorschläge für eine Reform des Pendelverkehrs. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen: 22,4 Prozent der klimarelevanten Emissionen des Personenverkehrs entfallen auf das Berufspendeln – nahezu vollständig durch Pkw-Verkehr.

In Zukunft sollte viel mehr mit Bussen und Bahnen oder bei kürzeren Strecken mit dem Fahrrad gefahren werden. Jedoch: „Nur wenn die Pendelnden für die tatsächlichen Kosten für Autobesitz und Autonutzung aufkommen müssen, wird ein Umstieg auf alternative Verkehrsmittel in Erwägung gezogen.“

Als Maßnahme genannt wird etwa eine City-Maut – und ein generelles Tempolimit von 30 Kilometern pro Stunde innerorts und weniger kostenfreie Parkplätze. Die Pendlerpauschale solle in ein Mobilitätsgeld umgewandelt werden, die Kfz-Steuer stärker an den CO₂-Emissionen orientiert werden.

Fazit: Schnell geht das nicht, denn der öffentliche Nahverkehr, der in den Händen der Kommunen liegt, müsste massiv ausgebaut werden – streckenmäßig, aber auch, was die Taktung angeht. Nachhaltig wäre dies in jedem Fall.

Wohnen: Sanierungsfall Energieeffizienz

Der Gebäudesektor hat jetzt schon zwei Jahre aufeinander die Reduktionsziele für Emissionen verfehlt. Eine gute Nachricht ist daher die Mitteilung Habecks von Dienstag, die Neubauförderung für energieeffiziente Gebäude wieder mit einem Etat von 1 Milliarde Euro zu starten – auch wenn die Fördersätze halbiert wurden.

Der schlafende Riese beim Klimaschutz ist jedoch der hohe Bestand an alten, energieineffizienten Gebäuden. Insgesamt ist der Gebäudesektor für einen Anteil von rund 25 Prozent der deutschen CO₂-Emissionen und 30 Prozent des Endenergieverbrauchs verantwortlich, hat das Freiburger Öko-Institut errechnet.

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Wärmepumpe im Keller eines Wohnhauses

Das Institut hatte bereits 2017 im Auftrag des Umweltbundesamts eine Studie, wie ein nahezu klimaneutraler Gebäudebestand in Deutschland bis 2050 realisiert werden könnte, vorgelegt. Ergebnis: Die Forscher empfehlen Investitionen in eine hochgedämmte Gebäudehülle und energieeffiziente Gebäudetechnik auf bestmöglichem Niveau. „Jede Kilowattstunde, die durch Effizienzmaßnahmen an der Gebäudehülle oder der Versorgungstechnik eingespart wird, muss weniger durch erneuerbare Energien gedeckt werden.“

Dies ist – fast unbemerkt – eine der größten Klimaschutzbaustellen der Bundesregierung. Es fehlen Mindesteffizienzstandards für Gebäude und damit Sanierungsverpflichtungen für Eigentümer, kritisiert BUND-Energiefachmann Powalla. „Dies muss ordnungsrechtlich vorgeschrieben werden, weil wirtschaftliche Anreize hier nicht ausreichen, um Eigentümer und Eigentümerinnen zur Investition zu motivieren“, sagte er dem RND. „Gleichzeitig braucht es eine umfassende staatliche Förderung, um die Maßnahmen sozial abzufedern.“

Ähnliches trifft für Heizungsanlagen zu. Als schnelle Maßnahme schlägt Powalla den verpflichtenden hydraulischen Abgleich von Heizungsanlagen vor. „Dies ist eine recht einfache und schnelle Maßnahme zur Heizungsoptimierung, mit der Energie und Kosten gespart werden können.“ Wenn sie verbindlich vorgeschrieben würde, könnten auch Mietende vom Einsparpotenzial profitieren.

Fazit: Der schlafende Klimaschutzriese sollte dringend geweckt und saniert werden!

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