„Mad Man in Moskau“Stürzt Putin die Welt in den Atomkrieg?

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Putin Mad Man in Moskau

Wladmir Putins Geisteszustand wird mittlerweile von Fachleuten diskutiert.

Mit Putin reden? Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hat es zu Beginn dieser Woche wieder mal versucht, trotz Kriegs. Doch man erreicht den russischen Präsidenten offenbar nicht mehr, auch wenn man mit ihm spricht.

Putin legt eine klinische Kälte an den Tag

Macron ermahnte ihn am Telefon, beim Vormarsch in der Ukraine die Zivilisten zu schonen. Er beschrieb ihm, was alles auf dem Spiel steht, für Europa und die Welt. Putin aber, berichtete ein Berater Macrons in französischen Medien, habe mit klinischer Kälte („manière clinique“) geantwortet.

Ist Putin nicht mehr ganz richtig im Kopf? Es ist eine Frage, die von Laien schon seit Langem aufgeworfen wird, in privaten Runden, im Taxi, beim Friseur.

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Inzwischen aber widmen sich hoch bezahlte Fachleute dem Thema, nicht nach Feierabend am Biertisch, sondern tagsüber, im Allerheiligsten der westlichen Sicherheitspolitik: in den abhörsicheren Lagezentren der Nato und ihrer Mitgliedsstaaten, bei Treffen der Leitungsebene der Geheimdienste, bei vertraulichen Unterrichtungen von Parlamentariern. Eines dieser Treffen fand gerade in Washington statt, der Geheimdienstausschuss des Senats kam zusammen.

„Mit Putin stimmt etwas nicht“

Wegen der Geheimhaltungspflichten darf kein Teilnehmer über solche Sitzungen sprechen. Doch anschließend war mit Händen zu greifen, dass offenbar furchterregende Hinweise auf eine Eintrübung von Putins Geisteszustand vorgestellt wurden. „Ich wünschte, ich könnte darüber mehr sagen“, schrieb Senator Marco Rubio aus Florida auf Twitter. „Fürs Erste nur so viel: Mit Putin stimmt etwas nicht.“

Zu denen, die sich über viele Jahre hinweg mit Putin sehr genau befasst haben, sogar rund um die Uhr, gehört James Clapper, oberster Direktor aller US-Geheimdienste in der Ära Barack Obama. Dem Sender CNN sagte Clapper mit Blick auf Putin: „Ich mache mir Sorgen um seine intellektuelle Schärfe und sein emotionales Gleichgewicht.“ Ähnlich äußert sich Michael McFaul, einst US-Botschafter in Moskau: „Ich beobachte und höre Putin seit über 30 Jahren. Er hat sich verändert.“

Die Liste von Auffälligkeiten ist lang

Westliche Beobachter haben eine lange Liste von Seltsamkeiten zusammengetragen. Sie beginnt mit Äußerlichkeiten: Putin bewege sich langsamer, sein Gesicht wirke aufgedunsen, sein Blick sei glasig.

Weiter geht es mit Auffälligkeiten im Gesprächsverhalten. Finnlands Präsident Sauli Niinisto etwa, über viele Jahre hinweg ein Putin-Versteher, berichtet von einer verstörenden Szene bei einem Telefongespräch: Plötzlich habe Putin umgeschaltet in einen völlig anderen, scharfen Ton und ihm Forderungen vorgetragen, die Finnland jetzt unbedingt erfüllen müsse. Niinisto ist sich aber nicht ganz sicher, ob Putin verrückt ist oder nur so tut: „Vielleicht will er nur Konfusion erzeugen.“

Ist Putins Verhalten am Ende eine Taktik?

Tatsächlich kann eine „Mad-Man-Taktik“ am Ende rational sein: Wer so tut, als sei er durchgedreht, erzeugt unter Umständen noch mehr Angst und Schrecken. „Es kann klug sein, Verrücktheit zu simulieren“, lehrte der italienische Machttheoretiker Niccolo Machiavelli schon im Jahr 1517. Der frühere US-Präsident Richard Nixon versuchte auf diese Art, im Vietnam-Krieg die Nordvietnamesen einzuschüchtern.

Der Fall Putin aber sieht nicht nach einem Trick aus. Schon seit mehr als 20 Jahren sitzt der 69-Jährige an den Schalthebeln in Moskau. Er herrscht mit absoluter Macht und trifft schon seit Langem niemanden mehr, der ihm widerspricht. In solchen Konstellationen droht auch anfangs Gesunden ein fortschreitender Realitätsverlust.

Putin glaubt vielleicht der eigenen Propaganda

Davon kündet auch sein Umgang mit dem Krieg in der Ukraine, den er einerseits angezettelt hat, andererseits aber nicht wahrhaben will. Das Wort Krieg zu benutzen hat Putin seinen Staatsmedien verboten. Das „begrenzte Eingreifen“, von dem nun die Rede ist, betrachtete er als Kinderspiel. Folgte man Putin, so wartete Kiew, „die Mutter aller russischen Städte“, nur darauf, endlich von der Regierung Selenskyi befreit zu werden, einer „Bande von Drogensüchtigen und Neonazis“.

So schickte Moskau anfangs auch ahnungslose junge Männer an die Front, die nur mittelmäßig ausgerüstet waren. Eine vierstellige Zahl von ihnen bezahlte mit ihrem Leben dafür, dass ihr oberster Befehlshaber den Gegner unterschätzt und seine eigene Propaganda glaubt.

Gibt es einen Ausweg?

Bei der Nato in Brüssel registrieren Spezialisten alles, was Putin sagt – und analysieren Satz für Satz die Bedeutung, ähnlich wie es Profiler beim FBI tun. Allem noch einen Sinn zu geben werde aber immer schwerer, sagen Geheimdienstler. Zunehmend „inkohärent“ seien Putins Darlegungen, „unlogisch“ und „bedrohlich“. Wie bei einem Geiselnehmer geht es inzwischen nur noch um eine zentrale Frage: Wie um Gottes willen könnte ein Ausweg aussehen?

Das Problem ist: Gesichtswahrend für Putin geht es nicht mehr. Seit die Wirtschaftssanktionen des Westens gegriffen haben, würde jedes Einlenken nach Schwäche aussehen, nach Kapitulation, das passt nicht zu einem Mann, der in dem Zaren Alexander III. sein historisches Vorbild gefunden hat.

Hinzu kommt: Putin will gar nicht raus, im Gegenteil, er fühlt sich ja ganz wohl. Lässig lehnt er sich in seinem Sessel zurück und verkündet der Welt mit teilnahmsloser Säuernis eine erhöhte Alarmbereitschaft seiner Atomstreitmacht.

Atomwaffen sind das Machtinstrument

Viele, die am liebsten abwinken würden wie immer, halten jetzt beklommen inne. Denn allzu oft schon wurde über Putin gesagt: Diesen nächsten Schritt wird er nicht gehen, er ist ja nicht verrückt.

Man hoffte das, bevor er durch Anerkennung der Donbass-Republiken den Friedensprozess von Minsk höhnisch in die Tonne trat. Und man hoffte das, bevor er durch den Einmarsch in die Ukraine die größte Landschlacht in Europa seit 1945 startete.

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Wieso sollte Putin jetzt ausgerechnet beim Thema Atomwaffen urplötzlich erfüllt sein von Rationalität? In Wahrheit stützt sich seine ganze Macht und Größe auf seine Atomwaffen – und auf nichts anderes. Er selbst hatte, in einer im Jahr 2014 verkündeten Doktrin, bereits die Nutzung von Atombomben in Kriegen, die ansonsten verloren zu gehen drohen, als vernünftige Option beschrieben. Es muss ja nicht gleich ein weltweiter Atomkrieg sein.

Wer genau steht Putin im Weg?

Schon zu Beginn seines Angriffskriegs in der Ukraine sagte Putin an die Adresse des Westens, Ländern, die sich ihm in den Weg stellten, drohten Konsequenzen, „wie sie sie noch nie in ihrer Geschichte erlebt haben“.

Was heißt in den Weg stellen? Tut ein Staat das erst, wenn er offiziell Soldaten entsendet in die Ukraine, mit Uniform und Abzeichen? Steht nicht schon Olaf Scholz im Weg, wenn er 1000 Panzerfäuste schickt und 500 Stinger-Raketen? Was ist mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die in einer historischen Premiere 500 Millionen Euro ausgeben will für die Bewaffnung ukrainischer Kämpfer? Und mit Dänemarks sozialdemokratischer Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, die ihren Landsleuten ausdrücklich freigestellt hat, in die Ukraine zu gehen und zu kämpfen?

Putin kann Anlässe für einen Atomkrieg finden

Wenn Putin Anlässe suche für einen Atomkrieg, werde er sie finden, glaubt der Psychologe und Hirnforscher Ian Robertson, ein Schwarzseher in Sachen Putin. Schon Mitte Januar schätzte er den Überfall auf die Ukraine zutreffend als „sehr wahrscheinlich“ ein.

Robertson lehrte jahrzehntelang in Irland und in den USA. In Dublin gründete er das Trinity College Institute of Neuroscience, er ist Autor vieler Sachbücher, die sich um Psychologie und Macht drehen. Schon im Jahr 2014 schrieb er in der Zeitschrift „Psychology Today“ erstmals über „Die Gefahr, die in Wladimir Putins Gehirn lauert“.

Am Dienstag, nach sechs Tagen Krieg in der Ukraine, sagte Robertson dem RedaktionsNetzwerk Deutschland, man müsse sich bei Putin nun auch auf den nächsten Schritt gefasst machen, den Griff zur Atombombe: „Putin ist ein gewalttätiger Mann.“ Der russische Präsident agiere schon seit Langem außerhalb normaler politischer Kategorien. Putin werde getrieben von einer selbst definierten quasireligiösen Mission. „Putin will jeden vernichten, der auch nur andeutet, sich ihm widersetzen zu wollen.“

Der Westen hofft auf eine Palastrevolution in Moskau

Als in Berlin jüngst die Mitglieder des Verteidigungsausschusses zusammenkamen, fielen besorgte Blicke auf die russische Rakete 9K720, genannt Iskander. Die Rakete fliegt 500 Kilometer weit, mit sechsfacher Schallgeschwindigkeit. Das System kann per Lastwagen bewegt werden.

In der Ukraine wurden Iskander-Raketen bereits benutzt, mit konventionellen Sprengköpfen. Putin könnte auch Atomsprengköpfe einbauen lassen – die nicht nur militärisch, sondern auch psychologisch eine verheerende Wirkung haben könnten.

Die Nato will das russische Militär systematisch davon abschrecken, diesen Weg zu gehen – durch militärische Präsenz, aber auch durch direkte geheime Kontakte in die Führungsebene der anderen Seite. Mehr denn je hofft der Westen auf eine Palastrevolution in Moskau. (RND)

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