Das erste E-Auto von Ford in Europa ist ein Hoffnungsträger. Wir haben Designer und Ingenieure im Ford-Entwicklungszentrum begleitet.
E-Auto wird in Köln produziertSo entstand der neue Ford Explorer
Ganz am Anfang steht nur ein weißes Blatt – sonst nichts. Wie entsteht eines der bis heute komplexesten Industrieprodukte, das Auto? Wie entsteht die erste Vision der Form, des Innenlebens? Wie verläuft der Werdegang bis zum Modell im Autohaus? Wer setzt sich dabei durch? Klar ist, es ist ein intensiver Prozess des Ringens um das beste Ergebnis zu einem bestimmten Preis. Es werden Ideen verteidigt, verworfen und Kompromisse geschlossen. Designer, Ingenieure, Materialwissenschaftler, Marketing, Controlling, Management in Deutschland, Europa und dem US-Headquarter – viele Köpfe sind in dem iterativen Prozess involviert.
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ durfte bei Kölns Autobauer Ford die gesamte Entwicklung des neuen Explorers nachvollziehen und mit den Teams sprechen, die das erste Elektro-Auto von Ford in Europa aus der Taufe gehoben haben. Entwickelt und gebaut wird der Explorer, der seit vergangener Woche in Serienproduktion gegangen ist, in Köln. Gut drei Jahre hat es von den ersten Entwürfen bis zum fertigen Modell gedauert. Im ersten Teil der Serie geht um die Vision.
Die Ideenschmiede
Das John Andrews Entwicklungszentrum in Köln-Merkenich – dort entstehen die Ideen der Autos von morgen. Entwickelt wurden unter anderem die Modell-Generationen von Fiesta, Focus oder Transit. Das Gelände ist streng gesichert, Zäune, Videoüberwachung, Handyfoto-Verbot. Das besonders geschützte Herzstück ist dabei das Design Center. Manche nennen es deshalb intern auch „Ford Knox“. Hier arbeitet Murat Güler (52) mit seinem Team. Seit 23 Jahren ist der Chefdesigner für Pkw bei Ford und in Sachen Formensprache hat er im Zweifelsfall das letzte Wort. „Ganz entscheidend ist aber, dass das Team als Ganzes funktioniert. Um kreativ zu sein, braucht es eine Art Magie“. Schließlich sei die gesamte Mannschaft bei jedem Schritt involviert.
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„Begonnen haben wir im Dezember 2020 – mitten in Corona“, erzählt Güler. Ideenaustausch gab es deshalb anfangs nur virtuell.
Die Vorgaben
Da der erste europäische E-Ford auf der Plattform von VW gebaut wird – aus Wolfsburg kommt sozusagen der gesamte Unterbau – gibt es technische Vorgaben. „Unsere Entwürfe bei Höhe, Breite, Länge oder Radstand mussten sich in einem abgesteckten Rahmen bewegen“, sagt Güler.
Die Kunden
An welche Zielgruppe sich ein Modell richtet, wird im Vorfeld aufwendig untersucht. „Wie leben die Menschen, wie sieht ihr Alltag aus, welche Bedürfnisse haben sie und was muss das Auto als Begleiter mitbringen?“, sagt Serife Celebi, verantwortlich im Team für Farben und Materialien. Wie genau der Explorer-Fahrer oder die Fahrerin definiert ist, dazu macht Ford zwar keine Angaben. Aber klar ist sicher so viel, sie befinden sich in der Mitte der Gesellschaft.
Die ersten Entwürfe
„Am Anfang entwirft man ein Modell wie eine Art Karikatur. Alles ist erstmal überspitzt und überzeichnet“, so Liviu Tudoran (33). „In diesem Stadium ist man noch völlig frei“, erklärt der gebürtige Rumäne, der zusammen mit Nedzad Mujcinovic (39), geboren in Australien, für das äußere Erscheinungsbild verantwortlich ist. Es gehe um Inspiration und Intuition.
Im gesamten Design-Team verfolgt man die Idee, sich auf die amerikanischen Wurzeln zu beziehen. Der US-Geländewagen Explorer stand Pate bei seinem europäischen Bruder mit Elektroantrieb. „Wir wollten eine Geschichte erzählen, die nur Ford erzählen kann“, sagt Nedzad Mujcinovic.
Die Persönlichkeit
Auch bei Autos ist der erste Eindruck meist entscheidend. „Das ist ein sehr emotionaler Punkt, das Gesicht muss stimmen“, sagt Liviu Tudoran. Es dürfe weder zu niedlich noch zu traurig aussehen. Wir wollten einen optimistischen und selbstbewussten Gesichtsausdruck“, ergänzt Mujcinovic. Trügt der Eindruck, dass viele Modelle der Hersteller weltweit immer aggressiver wirken? „Nein, das ist tatsächlich seit Jahren ein Trend“, so Design-Chef Güler. Aggressivität sei relativ einfach zu designen. Man müsse nur die Linienführung deutlich hochziehen.
Nun fällt bei einem E-Auto der Kühlergrill in der Front-Ansicht weg, weil kein Motor mehr gekühlt werden muss. „Damit fehlt etwas auf einer großen Fläche“. Das Designteam entschied sich dafür, der Front durch eine dreidimensionale Strukturierung und prägnante grafische Formen einen starken Charakter zu verleihen. Das Ford-Oval wurde abgeflacht und auf Chrom verzichtet.
Die Ton-Modelle
Auch wenn ein großer Teil des Designs digital entsteht, ist das Ton-Modell immer noch zentraler Bestandteil des Formgebungsprozesses. Die Entwürfe werden von einem eigenen Team in Ton modelliert. Die Masse wird per Hand vom Designteam zum Finetuning der Flächen bearbeitet, Ideen werden ausprobiert. „Das geht schneller mit den erfahrenen Modelleuren und das bekommt auch kein Computer in dieser Präzision hin, vor allem, weil man die Wirkung im Licht besser erkennen kann“, erklärt Design-Chef Güler.
Das Innenleben
„Man verliebt sich in das Äußere, aber man ist verheiratet mit dem Innenleben“, sagt Thomas Morel, (47) ebenfalls bei Ford für das Außendesign zuständig und gebürtiger Franzose. Robert Engelmann (40) und Serife Celebi, die gemeinsam das Innenleben entworfen haben, ergänzen: „Wir wollten ein klares, luftiges und aufgeräumtes Cockpit“. Die Linienführung mit LED-Beleuchtung verläuft über das Soundbar auf der Fahrerseite nur sehr leicht geschwungen und ist darunter in weiß abgesetzt. „Wenn man einsteigt, soll es sich durch den hellen Ton wie eine Umarmung anfühlen“, so Serife Celebi. Viel Beinfreiheit, Form der Sitze und Kopfstützen – alles wird minutiös aufeinander abgestimmt.
Auch an dieser Stelle wird wieder mit Ton-Modellen gearbeitet, aber vor allem auch mit Virtueller Realität (VR). „Alle Komponenten innen wie außen werden digitalisiert, damit wir einen Eindruck bekommen und immer wieder neu denken und verändern können“, sagt der Digital-Experte Pamisett Venkata Karthick (32), der gebürtig aus Indien stammt.
Farben und Material
Wie unterschiedliche Töne Schwarz im Innenraum zusammenspielen, welche äußeren Farben zum einem Modell passen oder welche Materialien verwendet werden, das ist das Reich von Serife Celebi. Die 51-Jährige arbeitet seit 23 Jahren für Ford in Köln. Inspiration findet sie im Zeitgeist und im Weltgeschehen, in Möbeln und Restaurants. Auch ihr Job hat noch handwerkliche Aspekte. „Zusammen mit unserer Sattlerei probieren wir Stoffe und Texturen im Modell aus.“ Im Gegensatz zu früheren Modellen fokussiert Ford sich beim Explorer auf weniger Varianten. „Die Innenausstattung gibt es in zwei Ausführungen, bei den Farben haben wir uns für sechs passende erfolgreiche und charakteristische Außenfarben entschieden, die die Attraktivität und Architektur des Außendesigns unterstützen“, sagt Celebi, darunter das Arctic Blue, in dem der Explorer vorgestellt wurde.
Der Moderator
Vision trifft auf Wirklichkeit, so könnte man den Job von Gerhard Sugg (54) beschreiben. Er ist die Schnittstelle zwischen Designer und Ingenieuren, die die Entwürfe umsetzen. „Meine Funktion ist Moderator und manchmal auch Mediator zwischen zwei Welten.“ Weil die beiden Parallel-Universen nicht dieselbe Sprache sprechen, muss Sugg übersetzen. Dabei gibt es auch vermeintlich kleine Dinge, die viel Aufmerksamkeit erfordern. „Nehmen wir einen Scheinwerfer. Die Einbettung ist versicherungstechnisch bei einem Unfall entscheidend, damit die Lampe nach innen gedrückt wird und nicht direkt bricht“, erläutert Sugg. „In den ersten anderthalb Jahren einer Entwicklung, entsteht das Design, auch wenn schon viele andere Abteilungen involviert sind“, sagt Chef-Designer Güler. „Und wir versuchen natürlich, einen großen Teil der ursprünglichen Idee durch den Prozess zu retten.“
Am 4. Juni begann bei Ford in Köln-Niehl die Serienfertigung des Explorers. Es ist das erste E-Auto des US-Herstellers in Europa. Der Produktionsstart sollte ursprünglich schon im vergangenen September sein. Doch dann entschied sich Ford anders und stoppte den Hochlauf wegen eines neuen Batterie-Standards.
Bestellen konnten Kunden das Auto bereits seit Ende März. Der Wagen mit 286 PS und einer Reichweite von bis zu 602 Kilometern hat eine Aktionspreisempfehlung von 48 510 Euro. Als Einstiegspreis für das Fahrzeug mit kleinerer Batterie nennt Ford 42 500 Euro zuzüglich Überführungskosten. Dieses Fahrzeug, das es nur mit Heckantrieb gibt, ist ab Jahresende bestellbar. Der Wagen ist 4,47 Meter lang, 1,87 Meter breit und 1,63 Meter hoch.
Ein zweites vollelektrisches Modell aus Köln will Ford im nächsten Monat vorstellen. Es handelt sich dabei um einen sportlichen SUV, wie der Autobauer bereits mitgeteilt hatte – etwas größer als der Explorer.
Nur zwei Tage nach dem Produktionsstart wurde bekannt, dass Ford-Deutschlandchef Martin Sander das Unternehmen nach nur zwei Jahren verlässt. Er ist bei Ford Europa auch für die Elektrifizierung verantwortlich. Der Automanager geht als Vorstand für Marketing, Vertrieb und Verkauf zu seinem früheren Arbeitgeber, den VW-Konzern. Seine Entscheidung sei völlig überraschend gekommen, heißt es bei Ford. (cos)