„Mein normales Leben zurück“Adil Demirci kurz vor Prozess – Darf er zurück nach Köln?

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Adil Demirci saß fast ein Jahr in der Türkei in Haft.

Köln – Am 13. April 2018 wurde der Kölner Sozialwissenschaftler und Journalist Adil Demirci in der Wohnung seines Onkels in Istanbul von einer türkischen Spezialeinheit festgenommen – die Justiz warf ihm vor, an Beerdigungen von Mitgliedern der verbotenen Marxistisch-Leninistischen Partei (MLKP) teilgenommen zu haben und selbst Mitglied der Partei zu sein. Fast ein Jahr lang saß er im türkischen Hochsicherheitsgefängnis Silivri. Mitte Februar 2019 kam er frei, darf Istanbul seitdem aber nicht verlassen.

Am Dienstag wird ein Istanbuler Gericht entscheiden, ob Demirci ausreisen darf. Schon im November 2018 sollte der 33-Jährige freikommen, das türkische Konsulat in Berlin gab eine entsprechende Nachricht an den Kölner Bundestagsabgeordneten Rolf Mützenich (SPD) weiter – doch der Richter entschied anders. Kurz vor seinem Prozess sitzt Demirci in einem Istanbuler Café. Im Hintergrund sind Autohupen, Sirenen und Stimmengewirr zu hören, als der „Kölner Stadt-Anzeiger“ ihn erreicht.

Herr Demirci, am Dienstag wird sich entscheiden, ob sie nach Köln zurückkehren dürfen oder weiter in Istanbul bleiben müssen. Wie geht es Ihnen?

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Mir geht es soweit gut, aber ich werde auch jeden Tag ein bisschen nervöser. Im November war meine Hoffnung groß, zurück nach Deutschland zu dürfen – es kam dann anders. Mein Anwalt und das Konsulat sind zwar hoffnungsvoll, sie sagen aber auch: Wir wissen nicht, was passiert. Ich wage also lieber keine Prognose.

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Sie wurden vor einem Jahr in der Wohnung Ihres Onkels festgenommen – jetzt leben Sie wieder dort. Wie fühlt es sich an, frei zu sein, aber in der Stadt bleiben zu müssen und womöglich auch in diesem Moment abgehört zu werden?

In den ersten Tagen nach der Freilassung konnte ich kaum schlafen, da kamen viele Erinnerungen hoch. Man ist in ständiger Sorge, dass man wieder inhaftiert werden könnte. Allerdings gewöhnt man sich an die Situation – auch, weil ich ja nicht allein bin. Die Freiheit aller Menschen, die sich kritisch äußern, ist in der Türkei extrem gefährdet. In Haft habe ich Studenten kennengelernt, die wegen eines Facebook-Posts einsaßen. Nach den Kommunalwahlen gab es einen Lynchangriff auf den Oppositionsführer. Mein Fall ist kein Einzelfall. Es kann jeden treffen.

In Köln hat es Monate gedauert, bis die Stadt mit Oberbürgermeisterin Henriette Reker öffentlich Stellung bezog. Wie haben Sie von der im Vergleich zu Fällen wie Deniz Yücel oder Mesale Tolu eher zögerlichen Solidarität erfahren?

In U-Haft erstmal gar nicht. Ich durfte wegen der Notstandsgesetzgebung zwei Monate noch nicht einmal mit meinen Eltern telefonieren. Mir ist nach einigen Monaten über meinen Anwalt und das Konsulat erzählt worden, was in Deutschland passiert. Mich hat jede Solidarität unheimlich gefreut – auch die wöchentlichen Mahnwachen am Wallrafplatz.

Dem Vernehmen nach hat die Stadt Köln sich zunächst mit öffentlichem Engagement zurückgehalten, da es hieß, Sie seien womöglich wirklich Mitglied der verbotenen MLKP. Sind Sie?

Nein, ich bin nicht Mitglied dieser Partei und war es nie. Ich hatte auch nicht wie mir vorgeworfen wurde bei den Beerdigungen ein Megafon oder eine Fahne in der Hand, das kann man auch auf den Fotos erkennen. Es war eine Versammlung, an der Tausende Menschen teilgenommen haben. Es war von der Polizei erlaubt und ich habe als Journalist daran teilgenommen. Tatsächlich gab es keinen Grund, um mich zu inhaftieren.

Hat es Sie enttäuscht, dass es nicht mehr öffentliche Unterstützung gab – weder für Sie noch für die Kölner Musikerin Hozan Cane, die inzwischen zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurde?

2017, als Mesale Tolu, Deniz Yücel und Peter Steudtner inhaftiert wurden, waren die deutsch-türkischen Beziehungen in einer tiefen Krise. Inzwischen hat sich das etwas entspannt – die Politik versucht lieber, abseits der Öffentlichkeit Druck auszuüben. Viele Menschen haben mir Briefe geschrieben, mein Arbeitgeber und Arbeitskolleginnen haben mich von Anfang an unterstützt, von Frau Reker habe ich eine persönliche Mail bekommen, ein Mitarbeiter des deutschen Konsulats hat mich einmal im Monat im Gefängnis besucht – ich fühlte mich also nicht alleingelassen.

Was würden Sie am Tag nach dem Prozess am liebsten machen?

Ich hoffe, dass ich ausreisen darf. Ich möchte einfach mein normales Leben zurückhaben, das mir seit einem Jahr vorenthalten wird: Arbeiten, Freunde treffen, mich um meine kranke Mutter kümmern.

Ihre Kollegin Mesale Tolu, die ähnlich wie Sie im Gefängnis war und die Türkei danach erstmal nicht verlassen durfte, sagt, die Haft habe sie stärker gemacht, sie werde nicht verstummen. Nachvollziehbar?

Auf jeden Fall. Ich habe in der Haft den Mäzen und Menschenrechtler Osman Kavala kennengelernt, der in Haft sitzt, weil er sich kritisch geäußert hat. Einer meiner Zellennachbarn war der Schriftsteller Ahmet Altan, der lebenslänglich bekommen hat, weil ihm eine Nähe zu Fethullah Gülen vorgeworfen wird. Dazu viele junge Menschen, die sich in irgendeiner Form regierungskritisch geäußert haben. Ich habe viele Geschichten gehört, die von Ungerechtigkeit und staatlicher Willkür erzählen. Natürlich bestärkt mich das darin, mich in Zukunft weiterhin für Menschen einzusetzen, die in einer Situation stecken wie ich.

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