Alte WeltmeisterFaszinierende Kölner Leistungssportler
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Kristin Kunze hat ihre Liebe für das Turmspringen erst spät entdeckt.
Copyright: Grönert
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Leistungssport ist keine Frage des Alters. Wer sich messen will, der soll es tun. Fünf Menschen aus Köln erzählen hier, warum Leistungssport kein Privileg der Jugend ist.
Fünf faszinierende Porträts, die voller Bewunderung stecken, Lebensläufe, die staunen lassen und dazu wunderschöne Fotografien von Max Grönert.
Seit meinem 15. Lebensjahr mache ich Leichtathletik. Ich bin in Berlin geboren und kam dann, glaube ich, 1957 nach Dortmund, und habe in der Bundeswehrsportschule trainiert. Später bin ich zum ASV in Köln gewechselt und hatte dort Kollegen wie Manfred Germar, der ein Jahr zuvor eine Medaille bei den Olympischen Spielen gewonnen hatte. Ich selbst war gar nicht schlecht: Ich bin 10,7 Sekunden auf 100 Meter gelaufen und bin 7,13 Meter weit gesprungen.Sport-
Während meines Studiums zum Maschinenbauingenieur habe ich weniger trainiert. Ich hatte Glück, denn mit 56 Jahren konnte ich aufhören zu arbeiten, habe einen Trainerschein für die Leichtathletik gemacht und noch ein Studium an der Sporthochschule in Köln absolviert. Ich habe immer nette Leute über den Sport kennengelernt. Zum Beispiel den ersten schwarzen Sportstudenten. Der kam aus Ghana und ihn habe ich 42 Jahre später hier wieder getroffen. Da kam er als Sportminister hierher zu Besuch.
Wolfgang Tuchen, 76, möchte es im Oktober zum WM in Australien schaffen - im Weitsprung.
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Hier unter den Seniorenleichtathleten sind echte Freundschaften entstanden und auch bei den Wettkämpfen habe ich internationale Freunde gefunden. Dieser Zusammenhalt unter den Sportlern ist unglaublich groß. Ich finde, die sportliche Komponente steht gar nicht so sehr an erster Stelle, sondern die soziale. Mensch, es gibt Leute, die verfaulen bei lebendigem Leibe, weil sie nicht wissen, was sie machen sollen. Wir treffen uns, machen Sport in der Gruppe, treten als Mannschaft an.
Wir sind ein bisschen bekloppt...
Es kommt ja nicht auf Leistung an. Wir sind hier ein bisschen bekloppt, dass wir noch an Meisterschaften teilnehmen, an Deutschen und Europa- und Weltmeisterschaften und auch noch Medaillen gewinnen. Aber es ist auch eine Mordsfreude den Breitensportlern zuzusehen, die auch wissen, wie man feiert. Das ist Lebensqualität im Alter. Und dafür kann man selber sorgen.
Weitsprung, Sprint und Fünfkampf
Ich trete im Weitsprung, Sprint und Fünfkampf an, also Weitsprung, Speer, Diskus, 200- und 1500-Meter-Lauf. Ich trainiere zwischen zwei und dreimal in der Woche. Es geht nicht darum, zu knüppeln. Weniger ist manchmal mehr. Wir alle achten darauf, dass wir uns nach dem Training besser fühlen als vorher. Man muss seinen Körper kennen. Ich möchte gerne bei der WM in Australien im Oktober mitmachen und im Weitsprung starten. Ich springe vier Meter plus minus. Das ist tagesformabhängig. Manchmal treffe ich den Balken und haue richtig einen raus.
Turmspringerin mit 74 Jahren
Kristin Kunze trainiert im Verein TPSK in Köln
Turmspringerin mit 74 Jahren.
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Ich werde in diesem Jahr 75 und dann bin ich in meiner Jahrgangsstufe die Jüngste. Aber ehrlich gesagt, spielt das für die Wettkämpfe fast keine Rolle. Denn in Deutschland bin ich die einzige Turmspringerin in dem Alter, die noch an den Start geht. International sieht das anders aus. Da gibt es einige ältere Athletinnen. Und das ist das Tolle: Man lernt über den Sport viele Gleichgesinnte und auch Vorbilder kennen. Als ich irgendwann auf einem Wettkampf einer 80-jährigen Turmspringerin begegnet bin, habe ich gemerkt: Da will ich hin! Ich will nach vorne sehen! Und es geht. Ich habe erst nach 45 Jahren wieder mit diesem Sport angefangen. Ausschlaggebend war für mich unter anderem eine kaputte Halswirbelsäule, was wohl eine Folge meines Berufs war. Als Zahnärztin habe ich immer eine sehr unvorteilhafte Haltung eingenommen. Ich hatte extreme Schmerzen. Die Diagnose: Kann man nichts mehr machen! Damit wollte ich mich nicht abfinden.
Training einmal pro Woche
Dann traf ich hier im Verein, dem TPSK, auf Menschen, die älter als 50 waren und immer noch trainierten. Sie rieten mir, mitzutrainieren und die Muskulatur aufzubauen. Ich war zur Probe hier und es machte mir Spaß! Seither trainiere ich einmal in der Woche in Köln, zwischendurch in meinem Wohnort Engelskirchen und mache jeden Tag Gymnastik. Ich habe keine Beschwerden mehr. Überhaupt nicht.
Kristin Kunze - Turmspringerin mit 74 Jahren.
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In den Wettkampfsport bin ich dann einfach reingerutscht. Ich springe bei in- und ausländischen Meisterschaften und dieses Jahr auch wieder bei Europameisterschaften mit. Dabei geht es mir nicht ums Gewinnen. Mir ist wichtig, dass der Sprung einfach ist, gut und elegant. Die richtige Form zu finden, den guten Absprung und das tadellose Eintauchen. Das Gefühl dafür zu bekommen, für eine Übung, die so kurz ist, zwei Sekunden vielleicht. Wenn ein Sprung gelingt, löst das ein ungeheures Glücksgefühl aus. Und das ist mit 74 genauso wie mit 24. Wir haben ja alle ein bestimmtes Bild vom Alter in uns: Als wir 30 waren, waren 50-Jährige ganz weit weg. Wir hatten doch keine Ahnung davon, was es bedeutet. Plötzlich bist du selbst 60 und es fühlt sich anders an als du dachtest.
Viele Ältere sitzen vielleicht wirklich den ganzen Tag auf dem Sofa. Aber es gibt andere, vor allem in der Kunst oder im Sport, die über ihren Schatten springen. Jedes Mal, wenn ich in einem öffentlichen Schwimmbad springe, dann sprechen mich auch Erwachsene an, die sich auch mal trauen möchten. Ich bringe sie dann dazu und sie sind ganz glücklich. Ich merke, ich mache Mut.
Sprinterin mit 74 Jahren
Hanne Venn ist beim SC Pulheim
Hanne Venn, 74, Sprinterin.
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Ich habe bis zum meinem 19. Lebensjahr Leichtathletik gemacht. Damals war ich auf einem Mädchengymnasium und der Sport hat mir wirklich viel Ansehen eingebracht. Leider musste ich aus verschiedenen Gründen aufhören und habe erst wieder angefangen als meine Tochter die Leichtathletik für sich entdeckte. Ich machte mein Sportabzeichen und stellte fest, dass ich immer noch sehr schnell war. So schnell, dass ich innerhalb eines Jahres mit der Jugend trainieren konnte. Ich war 41 Jahre alt, als ich mit meiner Tochter in derselben Staffel gelaufen bin. Mit 45 bin ich noch 12,8 Sekunden auf 100 Meter gerannt. Die 400 Meter noch in 62,6. Schade, meinte mein Trainer damals. „Wenn wir das früher gewusst hätten, wir hätten eine super 400 Meter-Läuferin aus dir machen können.“
Mehrfach Deutsche, Europa-, und Weltmeisterin
Ich habe dann im Seniorenbereich Wettkämpfe mitgemacht und war mehrfach Deutsche, Europa-, und Weltmeisterin. Und ich mache die Sache heute immer noch, weil ich auf den Wettkämpfen eben viele Menschen in meinem Alter kennenlerne, die auch dabeibleiben. Die wiederzusehen ist ein großer Antrieb.
Hanne Venn, Sprinterin mit 74 Jahren.
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Natürlich kommt man rum, macht nicht nur den Wettbewerb mit, sondern auch Urlaub. Ich möchte zur WM nach Perth im Herbst. Auch wenn ich keine Chance habe. Ich bin die Älteste in meiner Klasse, das heißt die Jüngsten sind fünf Jahre jünger und das macht sich in diesem Alter erbarmungslos bemerkbar. Aber nächstes Jahr könnte ich noch mal durchstarten. Dann bin ich die Jüngste der nächsthöheren Klasse.
Man bleibt gesund und innen jung
Natürlich bin ich ehrgeizig und gewinne gerne. Aber ich kann auch verlieren und mit Würde hinterherlaufen. Außerdem relativiert sich vieles, wenn ich andere sehe, die zum Beispiel schon in meinem Alter einen Rollator brauchen. Ich bin dankbar, dass ich mitmachen darf. Man bleibt gesund und innen jung. Denn irgendwie ist man bei den Veranstaltungen eine von vielen und das Alter spielt keine große Rolle. Man ist eben Athletin. Ich weiß nicht, wie lange meine Knie noch mitmachen. Ich habe Arthrose vierten Grades. Aber ich habe das durch Krafttraining und Gymnastik im Griff. Ich hänge sehr am Sport und lasse Zipperlein eigentlich nicht gelten.
Tennisspieler mit 82 Jahren
Günter Schwellnus trainiert beim Kölner HTC Blau-Weiß
Günter Schwellnus ist mit 81 Jahren Weltmeister geworden.
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Das hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich einmal mit 81 Jahren Weltmeister werde. Ich habe ja erst mit 47 Jahren angefangen, Tennis zu spielen. Natürlich habe ich mich immer bewegt. Früher habe ich ein bisschen Fußball gespielt in Kenten, einem Vorort von Bergheim. Dann bin ich auch Rad gefahren, habe 15 Jahre lang mit meiner Frau getanzt und ein Abzeichen in Cha-Cha-Cha gemacht, damals auf dem Kreuzfahrtschiff Achille Lauro.
Mit 66 das erste Mal international gespielt
Ich habe auch immer tüchtig gearbeitet, so ist das ja nicht. Ich habe Schlosser gelernt, mit 32 meinen Meister gemacht und habe mich bei RWE bis zum Abteilungsleiter hochgearbeitet. Mit 60 bin ich in Rente gegangen und habe als 66-Jähriger zum ersten Mal international Tennis gespielt.
Das allererste Turnier werde ich niemals vergessen. In der ersten Runde verlor ich gegen jemanden, der so alt war wie ich und in der deutschen Rangliste unter den ersten zehn war. Dann habe ich aber die Nebenrunde gewonnen und bekam einen Trainingsanzug von Lotto geschenkt. So etwas hatte ich noch nie an. Das war ein Anzug, den trug der Becker in seiner besten Zeit. Jetzt war ich geil auf Tennis.
Günter Schwellnus, 82 Jahre alt, Tennisspieler beim Kölner HTC Blau-Weiß.
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Weltranglistenplatz 10
Ich habe dann hier und da einen Titel errungen und war mehrfach Deutscher Meister. In der deutschen Rangliste stehe ich im Moment auf dem zweiten Platz. Und in der Weltrangliste stehe ich im Einzel auf Platz zehn im Doppel auf Platz Sieben. Also in der Welt! Das kann man sich ja gar nicht richtig vorstellen. Da ist einer aus Kenten, der ist auf der Platz Sieben! Der Deutsche Tennisbund wurde irgendwann auf mich aufmerksam und hat mich 2009 in die Nationalmannschaft geholt. Wir fuhren zur Weltmeisterschaft nach Australien. In den Jahren darauf haben wir uns immer weiter gesteigert, waren mehrmals Vizeweltmeister. Und im vorigen Jahr haben wir endlich den Titel geholt.
Ich bin der Älteste und verliere selten
Ich bin vor zehn Jahren in Bergheim weggegangen, einfach weil ich mehr wollte. Hier in Köln fühle ich mich sehr wohl. Ich bin der Älteste und verliere selten. Ohne Ehrgeiz geht es nicht. Ich trainiere mindestens einmal in der Woche. Gehe ins Fitness-Studio und zuhause habe ich ein Fahrrad, ein Rudergerät und ein paar Hanteln. Jeden Tag mache ich Gymnastik. Ich hatte auch schon Verletzungen, aber ich habe mich immer wieder rangekämpft, um den Anschluss nicht zu verlieren.Und die Freundschaften, das glauben Sie ja nicht! Die schönste Krawatte habe ich vom Mannschaftsführer aus Südafrika geschenkt bekommen. Die trage ich am liebsten. Ich schreibe immer noch Mails an Freunde in Perth. Mein nächstes Ziel? Wenn der DTB mich braucht, dann bin ich da. Aber am wichtigsten ist: Meine Ehe klappt. Ich bin seit 58 Jahren verheiratet.
Badmintonspielerin mit 58 Jahren
Heidi Bender trainiert beim SC Pulheim
Heidi Bender, Badmintonspielerin, 58 Jahre alt
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Ich habe ja schon einige Titel geholt, aber im letzten Jahr bei den Weltmeisterschaften waren es sogar drei. Die Goldmedaille im Einzel, Doppel und Mixed. Das war schon etwas Besonderes und dann bin ich vom Europäischen Badminton-Verband zur Senioren-Spielerin des Jahres 2015 in Europa nominiert worden. Das ist wirklich eine Ehre, womit ich nicht gerechnet habe und daher umso glücklicher bin.Badminton ist eben ein Teil meines Lebens seit ich elf Jahre alt bin.
WM-Teilnahme in der Jugend
Auch damals also in der Jugend , habe ich es bis zur mehrmaligen Deutschen Meisterin geschafft, war bei Europa- und Weltmeisterschaften dabei. Warum aufhören? Ich werde auch immer noch gerne angeleitet. Derzeit habe ich einen vietnamesischen Trainingspartner, der mich aufs Neue herausfordert. Es macht einfach viel Spaß! Ich spiele gegen Ältere und Jüngere und kann immer noch gegen Gegner gewinnen, die 30 Jahre jünger sind als ich.
Das Ganze hält eben fit. Beim Badminton sind Schnelligkeit, Ausdauer und Spielwitz gefragt. Ich selbst liebe es zu zocken, also mit Körpertäuschungen zu tricksen. Da ist meine Spezialität. Ich bin fast an fünf Tagen der Woche in der Halle, trainiere selbst und gebe Training. Ja, es ist anstrengend. Ich arbeite auch noch und habe einen ganz normalen 38-Stunden-Job als Assistentin der Geschäftsleitung sowie Justiziariat in einem Verlag. Zusätzlich das Training und die vier oder fünf Turniere im Jahr. Angetrieben werde ich außerdem von meinem Mann, mit dem ich gemeinsam zu den Wettkämpfen anreise. Manchmal machen wir einen Urlaub draus. Die Sportler, die ich dann immer wieder treffe, sind so etwas wie eine große Familie für mich geworden. Nächstes großes Ziel?
EM im September ist das nächste Ziel
Zunächst die EM im September in Slowenien, wo ich meinen Einzel- und Doppeltitel verteidigen möchte und 2017 die WM in Indien. Das würde mich sehr reizen.
Ich denke, ich bin einfach ein bisschen verrückt, was den Sport betrifft. Ich hatte zwischenzeitlich einen Bandscheibenvorfall und eine Schulteroperation. Aber nach den Behandlungen stand ich wieder auf dem Feld. Die Quali für die EM? Geschafft!