Kinder stehen SchmiereKölner Supermarkt-Leiter „müsste ohne Kameras dicht machen“

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Supermarkt Diebstahl Symbol

Eine Frau steckt eine Flasche Sekt in ihre Handtasche (Symbolfoto). 

  • Ein Kölner Supermarkt-Chef verzeichnet immer mehr Diebstähle.
  • Die Bandbreite nehme zu: Sogar ein Uni-Professor wurde erwischt.
  • Steigende Preise verschärfen das Problem.

Köln  – Mittwochmittag, vor einem Supermarkt in Mülheim. Draußen fragt ein junger Mann mit staubimprägnierter Haut nuschelnd nach Kleingeld, eine alte Frau guckt mit einer Taschenlampe in einen Mülleimer. Ein paar Hundert Meter weiter lagern Junkies und Alkoholiker auf dem Wiener Platz. Im Laden holen sich Jugendliche nach der Schule einen Snack, eine Rentnerin befühlt Strauchtomaten, ein Familienvater fahndet nach Hochprozentigem, seine Kinder warten am Einkaufswagen. Der Leiter des Supermarkts sitzt in einem fensterlosen Minibüro, vor sich Bildschirme, die jeden Winkel des Ladens erfassen. „Ohne die Kameras“, sagt er, „hätten wir längst dicht machen müssen.“

Der Filialleiter gibt einen seltenen Einblick in eine Nische der Kriminalität, von der man wenig erfährt. Er berichtet anonym, weil er weiß, dass das Unternehmen, für das er arbeitet, sich zum Thema Diebstahl nicht öffentlich äußert. Würde er mit Klarnamen über seine Erfahrungen sprechen, gefährdete er seinen Job. Keiner der angefragten Lebensmittelunternehmen will sich zum Thema Diebstahl in Supermärkten äußern.

Polizei Köln: Straftaten in Supermärkten nicht gesondert erfasst

Die Polizei weist in ihren Kriminalstatistiken nur Ladendiebstähle aus – Straftaten in Supermärkten werden nicht gesondert erfasst. Die Anzahl der Ladendiebstähle befand sich in Köln in den Coronajahren 2020 und 2021 auf einem historischen Tiefstand. Ob Inflation, Preissteigerungen und grassierende Armut zu mehr Diebstählen in Kölner Supermärkten führten, darüber „liegen der Polizei keine Erkenntnisse vor“, heißt es bei der Behörde.

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„Je ärmer die Menschen, desto mehr wird gestohlen“

Die Lebensmittelkonzerne verweisen auf die Strafermittlungsbehörden. Die Detekteien und Sicherheitsunternehmen, die die Märkte bewachen, sind als diskrete Dienstleister ebenfalls zurückhaltend. „Natürlich lässt sich an Diebstählen in Supermärkten ablesen, wie es um eine Gesellschaft bestellt ist“, sagt ein erfahrener Kölner Detektiv. „Je ärmer die Menschen, desto mehr wird gestohlen. Das war immer so und wird so bleiben.“

Uni-Professor stahl Rinderfilet

Vor zehn Jahren seien „99 Prozent der Diebstähle von Drogensüchtigen verübt worden“, sagt der Mülheimer Marktleiter. Im Laufe der Jahre habe sich das Bild gewandelt. Inzwischen überführten seine Detektive und die Überwachungskameras Rentner und Kinder, Väter und Mütter, für die Kinder Schmiere stünden, Menschen am sozialen Rand, auch Mittelständler. „Kürzlich hat ein Universitätsprofessor ein halbes Kilo Rinderfilet gestohlen. Auf die Frage, warum er das tut, hat er mit den Achseln gezuckt und gesagt: Einfach so. Ich wollte das mal ausprobieren.“

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Der Uni-Professor sei natürlich nicht der prototypische Lebensmitteldieb. „Auffällig ist aber, dass die Bandbreite der Menschen, die Produkte nicht bezahlen, mit den Jahren immer größer geworden ist.“ Ein weiteres Phänomen: „Immer mehr Menschen essen und trinken im Markt: Sie gehen an ein Regal, essen zwei Würstchen aus einem Glas oder trinken Orangensaft, und stellen die angebrochene Ware wieder ins Regal.“ Der Trend habe sich in den vergangenen Jahren, aber auch seit Beginn des Kriegs in der Ukraine und stark steigenden Preisen noch einmal verstärkt.

Viele kaufen nur noch für zehn Euro ein

Seit die Preise steigen, sagten auch immer mehr Kunden an der Kasse, sie hätten nur zehn oder 20 Euro – gekauft würden dann zunächst die Grundnahrungsmittel, Ware auf dem Band, die die Geldreserven übersteigt, landen wieder in den Regalen. „Es gibt die ehrlichen Menschen, die jetzt auf Produkte verzichten, es gibt die, die nicht mehr kommen, und es gibt die, die stehlen – die letzte Gruppe ist immer größer geworden“, so der Marktleiter.

Doppelt so viele Diebstähle wie vor zehn Jahren

Mehr als 330 Diebstähle habe er allein im vergangenen Jahr zur Anzeige gebracht – knapp doppelt so viele wie vor zehn Jahren. „Nicht mitgerechnet sind da die täglichen Bagatelldelikte, wenn jemand zwei Bananen oder eine Packung Kaugummi klaut. Das bringen wir nicht zur Anzeige – die Leute bekommen lediglich Hausverbot.“ Für ihn sei jedes Hausverbot und jeder Diebstahl ein Problem: „Das sind Kunden, die für immer verloren sind.“

Durch Videoüberwachung und vermehrten Einsatz von Detektiven habe er den Prozentanteil von gestohlenen Waren von vier auf 1,5 Prozent senken können, sagt der Marktchef. „Diebstahl zu verhindern, kostet immer mehr Geld.“ 

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