BürgerinnenasylKölnerin versteckt Geflüchtete vor Abschiebung bei sich zu Hause

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Bürgerasyl Zimmer

In diesem Kölner Zimmer lebte die Geflüchtete Hani aus dem Irak für neun Monate. Die Kölnerin Luca versteckte sie in der WG vor der drohenden Abschiebung. (Namen geändert)

  • Die Kölnerin Luca hat die aus dem Irak geflüchtete Hani (Namen geändert) in ihrer WG aufgenommen und versteckt.
  • Die Initiative „Bürgerinnenasyl Köln“ kritisiert die deutsche Asylpolitik und will solidarische Städte schaffen, die jeden willkommen heißen. Im Extremfall verstecken sie Flüchtlinge in privaten Wohnungen.
  • Die Gruppe nimmt schwere Strafen in Kauf, aber für sie steht die Menschlichkeit über dem Gesetz.
  • Die beiden Frauen erzählen von dem ungleichen Zusammenleben und wie aus Fremden Freundinnen wurden.

Köln – Hani soll zurück. Sie weiß nicht, wie oft sie diesen Satz schon gehört hat, seitdem sie im Juli 2017 mit ihrer Familie vor dem Krieg gegen den Islamischen Staat (IS) über das Mittelmeer geflohen ist. Die Ausländerbehörde will sie abschieben, weil Italien – das Land, in dem sie ankam – für das Asylverfahren zuständig war. Aber Hani will nicht zurück.

Nicht nach Italien, nicht in den Irak. Und die Kölnerin Luca will das auch nicht. Um die Abschiebung zu verhindern, nahm Luca die Geflüchtete in ihrer privaten Wohnung auf. Neun Monate, bis zum September dieses Jahres, versteckte sie Hani vor der Abschiebung. Inzwischen sind sie Freundinnen geworden. Hanis Asylverfahren wird tatsächlich neu geprüft. Nur deswegen ist sie mittlerweile in eine legale Flüchtlingsunterkunft zurückgezogen. Hätte Luca ihr nicht geholfen, so lang unterzutauchen, vielleicht wäre Hani gar nicht mehr hier. Auch deswegen findet längst nicht jeder gut, was die jungen Frauen gemacht haben.

Flüchtlinge in Köln grafik

Lehramtsstudentin Luca – Mitte 20, warmer Blick, cool-zerzauste Frisur – hat ihre Wohnung der Initiative „Bürgerinnenasyl Köln“ angeboten. Die Gruppe kritisiert die deutsche Asylpolitik, und bietet, wenn es aus ihrer Sicht sein muss, private Schutzräume für Flüchtlinge, die das Land verlassen sollen. Sie setzt sich ein für eine solidarische Stadt, in der sich jeder sicher und willkommen fühlt. Dass dieses Verständnis von Solidarität rechtliche Konsequenzen haben kann, wird in Kauf genommen. Die Gruppe nennt es zivilen Ungehorsam.

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„Das ist auch für mich selbstverständlich“, sagt die Kölnerin. Luca und Hani sind nicht die echten Namen der beiden Frauen, sie wollen anonym bleiben. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bewertet das Bürgerasyl als strafbar. Bei Beihilfe zum illegalen Aufenthalt, auch bekannt als „Schlepper-Paragraf“, droht eine Gefängnisstrafe. Das lässt sie zwar vorsichtig agieren, hält die Initiative vom Bürgerinnenasyl von ihrem Engagement aber nicht ab. Menschlichkeit stehe für sie über dem Gesetz, sagen die Aktivisten.

Flüchtlinge Wohnen 2 grafik

Luca lebt in einer Kölner WG mit vier Mitbewohnern. Als im Februar Hani dazukam, wurde sie aufgenommen und Teil der Gemeinschaft, beschreibt Luca. „Bei uns sind häufig Leute zu Gast, wir sind Wirbel gewöhnt“, sagt sie. „Egal, ob mal jemand im Gästezimmer pennt oder wir neue Menschen kennenlernen, die bei uns für längere Zeit bleiben.“ Und doch war die Situation mit Hani neu – denn mit ihr zog auch die Sorge einer Abschiebung ein. „Wir haben uns so gut kennengelernt, zusammen gekocht und gegessen, sind auf Konzerte gegangen und haben Karten gespielt.“ Das sei aber nur eine Seite. Natürlich machte Luca sich Gedanken, wie es mit Hani weitergehen sollte. Ob sie doch wieder weg muss.

Flucht, Abschiebung, Untertauchen

Hani stellt im August 2017 einen Asylantrag in Deutschland. Im November die Ernüchterung: abgelehnt. Nach der Dublin-III-Verordnung ist nun wieder Italien für sie zuständig – das Land, in dem sie nach sieben Tagen auf dem Mittelmeer das erste Mal europäischen Boden betrat. In Deutschland bleibt sie nur geduldet. Hani wehrt sich, stellt einen Antrag auf Abschiebeschutz. Auch dieser wird im März 2018 abgelehnt – nun kann sie jederzeit nach Italien abgeschoben werden. „Mir wurde gesagt, ich soll meine Sachen packen und auf die Polizei warten“, sagt Hani heute. Die Abschiebung hätte für sie auch die Trennung von ihrer Familie bedeutet, deren Asylverfahren in Deutschland bearbeitet werden.

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Im August 2018 scheitert ein Abschiebeversuch, weil Hani nicht in der Kölner Flüchtlingsunterkunft anzutreffen ist. Die Ausländerbehörde erklärt sie für flüchtig. Das BAMF verlängert die Frist, in der sie aus Deutschland an Italien überstellt werden soll. Bis September 2019 kann sie nun nach Italien abgeschoben werden. Die Ausländerbehörde kündigt erneut ihre Abschiebung an – ohne Termin, es kann jeden Tag passieren.

Im Februar 2019 verlässt Hani die Flüchtlingsunterkunft. Und zieht in Lucas Wohnung ein. Ab jetzt ist sie rechtlich illegal in Deutschland. Bis September bleibt sie versteckt. Statt Italien wird Deutschland für ihr Asylverfahren zuständig – so ist es in der Dublin-Verordnung geregelt, wenn eine untergetauchte Person nicht anzutreffen ist. Für Hani und die Bürgerinnen-Initiative ist das ein Sieg. „Sie sollte raus aus Deutschland, egal wie“, sagt Initiativensprecher Ben, „nun könnte ihre Situation und ihr Antrag endlich vernünftig geprüft werden.“

Sicherheit in einer fremden Wohnung

Es waren zwei Jahre Ungewissheit für Hani. „Ich hatte keine Lösung mehr“, sagt sie. In dem Versteck fühlt sie sich zum ersten Mal sicher. In einem fremden Zwölf-Quadratmeter-Zimmer. Ein einfaches Bett, ein Nachttischschränkchen aus Holz und der Lampe, die einen kleinen Lichtschein wirft. Auf dem Schränkchen „Der kleine Prinz“, das Buch mit dem sie Deutsch lernte. Und mit einer Gemeinschaft, die sie unterstützt. „Das war so toll“, sagt Hani heute, „wir haben so viel gemeinsam gemacht, alle waren so lieb zu mir.“ Wenn Hani nicht Deutsch in einem Kurs im Ehrenfelder Sprachcafé lernte, war sie mit den anderen WG-Bewohnern zum Federballspielen im Park, im Café oder Essen kochen. Ein scheinbar ganz normales WG-Leben. „Sie haben mir sogar beigebracht, wie man Fahrrad fährt“, sagt die fast 30-Jährige.

Flüchtlinge Wohnen grafik

Hani sagt, dass ihre neuen Mitbewohner sie vor allem abgelenkt haben. Arbeiten darf die studierte Medizintechnikerin in Deutschland ohne Asyl nicht. In den vielen Stunden in ihrem kleinen Zimmer denke sie oft an die Vergangenheit. Die Heimat, die sie verlassen hat, heißt Sulaimaniyya, eine Universitätsstadt mit 1,6 Millionen Einwohnern im Nord-Osten des Iraks. Sie nennt es Kurdistan. Nicht weit entfernt, wütet damals der Krieg gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. Hani flieht. „Sieben Tage waren wir in einem viel zu kleinen Boot mit 80 anderen Menschen. Das war so …“, sagt sie, blickt zur Seite und setzt dann neu an, „Katastrophe“. Bis heute sei das Schlimmste die viele Zeit zum Erinnern. „Ich würde gerne arbeiten – auch, um mich abzulenken.“

Neue Solidarität ohne Gegenleistung

Luca ist damals schon das Wohlergehen ihrer neuen Mitbewohnerin wichtig. Wenn sie nicht neben dem Englisch- und Deutschstudium im Café arbeitet oder beim Fußballtraining ist, versucht sie, Zeit für Hani zu finden. „Für mich gehört es zur Solidarität dazu, dass Menschen an der Gesellschaft teilnehmen können und nicht ausgegrenzt werden“, sagt sie. „Ich hab mich schon früher mit Fluchtursachen beschäftigt, aber das war oft theoretisch. Ich wollte etwas Praktisches machen.“ Über die Initiative, die im Austausch mit dem Kölner Kirchenasyl ist, erfuhr sie von Hanis Fall. „Wir hatten da gerade ein kleines Zimmer in der WG frei, schnell war klar, dass sie einziehen kann.“

Solidarität und Netzwerk

Solidarität zeigen heißt für Luca, dass sie ganz praktische Hilfe organisiert. „Hani hatte Zahnschmerzen, aber zum Arzt konnte sie nicht gehen, keine deutsche Krankenversicherung“, erzählt sie. Über das Netzwerk der Initiative finden sie eine Zahnärztin, die Hani behandelt. „Es gibt für illegalisierte Menschen hier keine Grundversorgung“, lautet Lucas Urteil. Wichtig ist es für die Kölner Gruppe, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. In Göttingen, Freiburg und Darmstadt gibt es lokale Ableger des Bürgerinnenasyls. Dolmetscher, Begleiter, Anwälte, Geldgeber, Ärzte – die Unterstützung der Flüchtlinge ist vielseitig und nicht billig. „Es fallen Anwaltskosten an, genauso wie Mieten, Fahrkarten, Deutschkurse“, sagt Ben, der Sprecher. Fast alles wird mit Spenden finanziert. Auch wenn sich die Initiative gegen das Gesetz stellt, versteht sie sich in Teilen sogar als Entlastung für den Sozialstaat. „Wenn Behörden lange für die Prüfung von Anträgen brauchen, wollen wir soziale Teilhabe, Solidarität und Schutz bieten“, sagt Ben. In einer Mitteilung der Initiative zu den Zielen heißt es: „Wir trauen Menschen zu, selbst zu entscheiden, wann und wo sie in ihrem Leben Asyl benötigen.“

Eine subjektive Sicherheit

So einfach ist es allerdings nicht. Claus-Ulrich Prölß ist seit mehr als 20 Jahren Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats und kennt die Situation der Flüchtlinge in Köln bestens. „Ich verstehe, dass es Initiativen aus der Bevölkerung wie das Bürgerinnenasyl gibt, da der Druck auf Flüchtlinge seit 2015 zugenommen hat“, sagt Prölß. „Es zeigt deutlich, dass es Probleme in der Asylpolitik und der Abschiebepraxis gibt.“ Prölß zielt damit auch auf das im Sommer verabschiedete Migrationspaket ab. „Mit dem neuen Status der »Duldung light« gelten zum Beispiel Atteste über psychische Erkrankungen nicht mehr als Argument gegen eine Abschiebung.“ Die Politik wolle den Druck auf Flüchtlinge erhöhen, Asylverfahren beschleunigen. Prölß’ Urteil lautet: „Rechtsstaatlichkeit ist im Einzelfall nicht immer auch gerecht und vor allem nicht immer menschlich.“

Aber er sieht auch Probleme mit dem Bürgerinnenasyl: „Bei Flüchtlingen könnte ein falsches Gefühl der Sicherheit entstehen. Es ist wichtig, dass sowohl Flüchtlinge als auch Aufnehmende sich über mögliche rechtliche Konsequenzen bewusst sind.“ Außerdem hätten die Geflüchteten, die untertauchen, weniger rechtliche Ansprüche und somit schlechtere Schutzmöglichkeiten.

Claus Ulrich Prölß

Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats

Die Kölner Ausländerbehörde wird noch deutlicher: „Wir appellieren immer, rechtsstaatliche Wege zu gehen, da ein illegaler Aufenthalt grundsätzlich nicht hilft, eine Aufenthaltsperspektive zu schaffen“, heißt es in einer schriftlichen Antwort. Nur mit einer geregelten, gesetzlichen Praxis könnten Asylverfahren, Integration und Akzeptanz in der Bevölkerung erreicht werden. Schätzungen wie viele Menschen in Köln untergetaucht sind, gibt es laut Stadt nicht.

Die Aktivisten des Bürgerinnenasyls sprechen von maximal „einer Handvoll“ in ihren Reihen. Die Verstecke habe es immer gegeben. Neu ist, dass sich die Initiative offen gegen die Politik positioniert. Einen Austausch zwischen der Ausländerbehörde und den Kölner Aktivisten gab es bislang aber nicht – die Fronten sind klar: hier der Verweis auf Recht und Ordnung, da der Einsatz für den einzelnen Menschen und sein Schicksal.

Hagebuttentee und die Mitbewohnerin

„Wie können wir bewerten, wer bleiben darf und wer nicht?“, fragt Luca. „Ich kann mir eine Flucht, wie Hani sie erlebt hat, nicht vorstellen. Das ist so unglaublich weit weg von dem sicheren Leben hier in Deutschland.“ Sie erinnert sich an eine Szene im Park. „Da haben wir friedliche Hagebutten für Tee gepflückt. Aber ich ertappte mich bei dem Gedanken, was wäre, wenn wir jetzt von der Polizei kontrolliert würden.“

Dass sie Hani bei sich versteckte, erzählte Luca nur den engsten Freunden und ihrem Vater. Der war überrascht, fragte nach, zeigte Verständnis. Auch wenn die Aktivisten nicht öffentlich auftreten möchten, wollen sie, dass ihre Geschichte erzählt wird. „Damit Leute sehen, dass es so was gibt“, sagt Luca. „Wir brauchen eine neue Achtsamkeit, ganz praktische Solidarität.“ Ob einen Zahnarzttermin, eine Anleitung für das Fahrradfahren oder eine schützende Wohnung. Luca nennt das Solidarität ohne Gegenleistung. Die gebe es in unserer Gesellschaft kaum noch.

Collage Portraits

Hanis Portraits: Die Geflüchtete zeichnet gerne, vor allem Menschen, denen sie bei der Flucht begegnet ist. (Name geändert)

Für Hani ist die Zeit der Ungewissheit noch nicht vorbei. Sie darf vorerst in Köln bei ihrer Familie bleiben, sogar Praktika machen, aber ihr Asylverfahren wird neu aufgerollt. Bis entschieden wird, können Monate, sogar Jahre vergehen.

Ob Köln ihre neue Heimat ist? Das kann sie noch nicht sagen. „Aber ich liebe Köln“, da ist sich Hani sicher. Es bleibt ein Leben im Schwebezustand, auch jetzt, wo sie plötzlich legal in der Flüchtlingsunterkunft leben darf. „Ich habe so viel nachgedacht, mich so oft an die Flucht, das Meer, die Gänge zur Behörde erinnert“, sagt sie. Manchmal, wenn sie allein auf dem Bett lag, waren die Bilder im Kopf besonders präsent. „Dann habe ich gezeichnet“, sagt Hani, „am liebsten Porträts. Menschen, die ich auf der Flucht getroffen habe.“ Es mache die Personen, die Flucht menschlicher. „Es beruhigt mich. Auch wenn ich nicht weiß, was aus ihnen geworden ist.“ 

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