„Danke, Deutschland!“Provokante Thesen von Kölner Autor, der am Kölnberg lebte

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Bahman Shahozaini (40)

Köln – Bahman Shahozaini steht an der Brühler Landstraße in Meschenich, im Hintergrund die fahlen Hochhausriesen, er klebt einen neongelben Sticker mit der Aufschrift „Danke, Deutschland!“ auf einen Laternenmast, und grinst. Der Sticker leuchtet einem seit ein paar Monaten gelegentlich auch in der Kölner Innenstadt entgegen. Man fragt sich spontan: Was soll das? Kommt das aus der Nazi-Ecke?

Der Sticker ist Werbung für Shahozainis gleichnamiges Buch, das bislang so unbekannt geblieben ist, dass der Slogan zwar spontane Reaktionen auslöst – sie aber gleich wieder verhallen. Dass „Danke, Deutschland!“ fast ohne Resonanz blieb, liegt womöglich am Zeitpunkt des Erscheinens einen Tag vor der Flutkatastrophe am 14. Juli 2021.

Vielleicht aber auch daran, dass Bahman Shahozaini, der viereinhalb Jahre am Kölnberg gelebt und als Kind Rassismuserfahrungen gesammelt hat wie seine Schulkameraden Panini-Bilder, Gedanken aufgeschrieben hat, die zwar weit entfernt davon sind, radikal zu sein, aber einige Radikale applaudieren lassen könnte. Weswegen sich fragen lässt, ob man darüber berichten sollte?

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Die Antwort lautet: Ja. Denn „Danke, Deutschland!“ hält der Gesellschaft in all seiner Härte und Widersprüchlichkeit einen Spiegel vor. Und ist trotzdem auch versöhnlich. Er hat nicht nur Rassismus erlebt. Es gab auch die Grundschullehrerin, die ihn förderte und bestärkte. Freunde, denen seine Herkunft egal war. Viele Erfahrungen, die ihm zeigten: „Bei allem Hass und aller Intoleranz ist Deutschland ein sehr tolerantes Land, in dem jeder alles sagen kann, was er denkt, ohne ausgepeitscht zu werden. Und das ist doch erstmal toll!“

Ausgangspunkt Flüchtlingskrise 2015

Die ersten zehn oder 20 Seiten habe er 2015 geschrieben, sagt er bei Filterkaffee und Rosinenschnecke in einem Café mit Blick auf eine Fototapete mit den Kranhäusern im Sonnenuntergang, vor dem die Hochhäuser des Kölnbergs emporragen. Ja, damals, als die Menschen aus Syrien kamen.

„Ich habe nicht begriffen, dass die Menschenmassen bejubelt wurden, als sie am Bahnhof ankamen, das schien mir übertrieben“, erinnert sich der 40-Jährige. Er habe auch Merkels Wir-schaffen-das-Satz nicht recht nachvollziehen können – „vor allem, als mir irgendwann ein Afghane einen Flyer in seiner Sprache zeigte, auf dem stand: die deutsche Kanzlerin Angela Merkel lädt euch alle ein, nach Deutschland zu kommen“. Herzliches Willkommen, klatschen, bei Tausenden Menschen jeden Tag? „Das hatte ich, als wir nach Deutschland kamen, etwas anders erlebt.“

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Shahozaini lebte als Kind am Kölnberg.

Shahozaini, Kind iranischer Eltern, die mit ihm aus Russland nach Deutschland kamen, als er sechs war, erlebte in der Schule und beim Sport, bei der Praktikums- und Wohnungssuche, in Blicken und Gesten das, was seiner Ansicht nach fast jeder in Deutschland erlebt, der „aussieht wie ein Kanake“: Ausgrenzung. Mobbing. Übertriebenes Wohlwollen, das nicht weniger Herabwürdigung bedeutet habe. Die Geschichte vom Schuldirektor, der denkt, der Junge mit den schwarzen Haaren und den Eltern ohne Deutschkenntnisse sei nicht besonders intelligent, jene von der rassistischen Lehrerin, den ewig nur ihn kontrollierenden Polizisten oder den Leuten, die ihn für sein gutes Deutsch loben, hören sich bekannt an.

Shahozaini schreibt aber auch, dass ihm der Typ, der ihm sage, dass er Rassist ist, lieber sei als die Studentin, die ihm an der Theke überrascht sagte: „Du bist ja total klug!“ Oder überhaupt Menschen, die in ihrer „linksliberalen Blase leben, aber in einer Form von positivem Rassismus ständig andere ausschließen und immer glauben, auf der richtigen Seite zu stehen“.

Er könne „mit offener Ablehnung einfach besser umgehen als mit verdeckter“, sagt er. Um das aber klarzustellen: „Rechtsextremes Gedankengut filetiere ich sofort in alle Einzelteile. In dieser Hinsicht bin ich im Geiste bei Dietrich Bonhoeffer – wer die Geschichte kennt, weiß, was Faschismus anrichtet.“

Trotzdem hat Shahozaini in seinem Wohnviertel Zollstock Aufkleber abgepiddelt, auf denen die Antifa einen Rechtsradikalen mit Klarnamen gejagt habe. Er dreht sich eine Zigarette, seine Worte überschlagen sich fast, so schnell redet er: „Der Fascho war mein Nachbar. Und ich wusste, dass der sich um seine Mutter kümmert. Kann sein, dass er ein Rechtsradikaler ist und Menschen hasst. Aber darauf mit Gegenhass antworten? Ich finde das falsch.“ Der Hass der Antifa-Leute sei „nichts anderes als der Hass des Faschos“. Und Hass „erzeugt immer noch mehr Hass“.

Mit Rechten reden? Er findet: Ja

Dahinter stecke eine Haltung, die fast jeder kenne: „Schuld sind immer die Anderen. Für die Rechtsradikalen sind es die Ausländer. Für viele andere die Rechten. Die Linken. Die SUV-Fahrer. Oder die FDP-Wähler. Die Fleischesser. Die Muslime. Es gibt 1000 Beispiele.“

Also lieber mit Faschisten, die es überall auf der Welt gebe, reden, wie er glaubt? Das kann man falsch finden. Was Shahozaini sagt und schreibt, polarisiert. Es ist widersprüchlich und hört sich nicht immer logisch durchdacht an.

Rassisten gebe es überall auf der Welt, sagt er

Er, der in Deutschland seit er denken kann gedemütigt wurde, Traumata und Depressionen davontrug, bedankt sich bei ebendiesem Land. Schreibt eine zwinkernde Liebeserklärung. Und: dass es Rassismus eigentlich nicht gebe. „Nur strukturell“, sagt er und lacht laut.

Er nimmt das Beispiel eines Kölner Clubbetreibers mit türkischem Hintergrund. An der Tür der Disco wurde Shahozaini mehrfach abgewiesen. „Weil der Chef, der selbst einen Migrationshintergrund hat, veranlasst hat, dass fast keine Kanaken reinkommen. Damit Deutsche unter sich bleiben können.“

Rassismus immerzu auf die Deutschen, die Ausländer hassten, zu beziehen, sei zu einfach: „Viele Iraner hassen Afghanen, sie sind zutiefst rassistisch. Man findet Beispiele dafür in allen Kulturen. Ablehnung von Fremdem ist in jedem von uns angelegt.“

Applaus von der falschen Seite?

In einer Öffentlichkeit, die längst daran gewöhnt ist, ihre Meinung im Netz mit Daumen nach oben und unten kundzutun, könnte er mit solchen Sätzen gereckte Daumen von der rechten Seite erhalten. „Mir geht es aber genau nicht um den Plural – Wir und die anderen. Besser ist es doch, mit Menschen im Singular umzugehen.“

Bahman Shahozaini ist in seinem Leben so oft beleidigt und stigmatisiert worden, dass er Rassismus als Kategorie nicht mehr akzeptieren will. Warum? Der Kern allen Übels sei Menschenfeindlichkeit. „Rassismus ist nur ein Ablenkungsmanöver, eine Industrie“, glaubt er. „Und wenn bei jedem falschen Wort die Rassismus-Kuh durchs Dorf getrieben wird, werden rassistische Einstellungen ja nicht kleiner, im Gegenteil!“

Beim Lesen von „Danke, Deutschland!“ kann man oft lachen, noch öfter bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Einige Pointen sind so polemisch, dass sie nicht so richtig mit seinem Plädoyer zu „heilen statt zu keilen“ zusammenpassen wollen.

Hinterhof voller Ratten

Im Gespräch macht Shahozaini so viele Witze, dass klar ist, dass er nicht nur fröhlich ist. Vor dem Eingang des Hochhauses, in dem er in seiner Grundschulzeit wohnte, Hausnummer 8, aus Elendsreportagen bekannt, steht ein gut gekleideter Mann, der kichert und es „etwas pervers findet, hier Fotos zu machen“. Er dürfe das aber: „Ich habe hier gelebt.“ Im Hinterhof ist der verdorrte Rasen durchsetzt mit Löchern. Das Gegenteil eines Golfplatzes. „Hier haben schon vor mehr als 30 Jahren die Ratten das Regiment übernommen. Das ist so geblieben. Niemand ändert das.“

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Symbole von Ghetto und Bürgertum in Meschenich

Ein Mann steht auf der Terrasse und ruft: „Keine Fotos!“ Der Boden unter den Betontürmen ist Plastik und Metallteilen übersäht, auch viele Balkone sind zugemüllt. Shahozaini ruft zurück: „Entspann Dich!“ Und erzählt die Anekdote, wie Kinder hier im Hof eine Katze gesteinigt hätten – und er vergeblich versucht habe, sie davon abzuhalten. „Hier war jeden Tag das Grauen. Gewaltverbrechen, Drogenhandel, Brutalität überall“, sagt er. „Und warum? Weil die Stadt so ein Ghetto bis heute zulässt.“

Aus Opfer wurde Achtsamkeitscoach

Wer hier lebe, wisse, dass er nicht dazu gehöre. „Kann ich Menschen verübeln, dass sie hier zu Rassisten werden?“ Bahman Shahozaini gehört längst dazu. Er ist von der Realschule aufs Gymnasium gewechselt, hat Abitur gemacht, studiert, arbeitet als PR-Berater, Kommunikations- und Achtsamkeitscoach.

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Der Innenhof am Kölnberg ist voller Rattenlöcher.

Aus einem Opfer ist ein Trainer geworden. Er habe zwar wie so viele Ausländer die Erfahrung gemacht, sich doppelt so hart anstrengen zu müssen um halb so weit zu kommen wie all die Michaels und Christophs, habe es aber akzeptiert. Sagt er.

Irgendwann habe er beschlossen, kein Opfer mehr zu sein. „Wenn ich Ausländer bin, Iraner, Fremder, Kanake, und mich damit identifiziere, mich immer verletzt fühle, wenn ich Jobs und Wohnungen nicht bekomme und so weiter, bin ich niemals frei. Also mache ich das nicht mehr.“

Er wolle kein Mitleid, für nichts

So einfach? Shahozaini spricht von Achtsamkeitstraining und Meditation, Perspektivwechseln, auch von Therapien. In seinem Buch schreibt er, dass er lange unter Depressionen litt, in Berlin sogar sexuell missbraucht wurde. Warum er das nur am Rande erwähne?

„Weil ich nicht Opfer sein möchte. Ich möchte kein Mitleid dafür, als Kanake ausgegrenzt worden zu sein, und auch nicht dafür, von einem Pädophilen missbraucht worden zu sein. Meine Perspektive ist: Deutschland ist ein gutes Land, toleranter als die meisten anderen. Und: wenn Du den Menschen mit Wohlwollen und einem Lachen begegnest, selbstsicher und respektvoll, kriegst du das meistens auch zurück.“

Das Schweigen der Öffentlichkeit

Bahman Shahozaini lacht viel und tatsächlich ist sein Lachen ansteckend. Als das Buch herauskam und es keine Resonanz gab, habe er sich müde gefühlt. Ausgebrannt. Er hatte die Verantwortung für sein Leben angenommen und war bereit, alle Demütigungen zu vergessen – das Schweigen der Öffentlichkeit war die nächste.

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Beim Abschied an der Bushaltestelle am Kölnberg sagt er, dass er dankbar sei, mit einem Reporter gesprochen zu haben. Und: „Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit.“ Gleichgültigkeit mache ihn traurig. Gleichgültig wolle er nie werden. Wer erfahren wolle, zu was Gleichgültigkeit einer Gesellschaft führen könne, „dem empfehle ich einen Tag Elendstourismus am Kölnberg“.  

Bahman Shahozaini, „Danke, Deutschland!“Riva-Verlag 2021.

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