Szenen von der Venloer StraßeDer Kampf um die Kölner Verkehrspolitik wird auf 800 Metern Straße ausgetragen

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Die Venloer Straße ist aktuell eine Einbahnstraße. Die Meinungen dazu gehen weit auseinander. Bald muss die Politik entscheiden, was nach den Versuchen kommt.

Axel Stadtländer fährt jeden Tag mit dem Fahrrad über die Venloer Straße, seit 22 Jahren. Solange führt er dort die Bunt Buchhandlung. Seit Oktober hat sich die Straße, die er schon so lange kennt, verändert: Der Autoverkehr vor seinem Laden fließt nur noch in eine Richtung. Eine richtige Entscheidung sei die Einrichtung der Einbahnstraße gewesen, sagt Stadtländer, „vorher gab es Chaos.“

Versteht die Aufregung nicht um die Einbahnstraße nicht: Axel Stadtländer, Inhaber der Bunt-Buchhandlung

Versteht die Aufregung nicht um die Einbahnstraße nicht: Axel Stadtländer, Inhaber der Bunt-Buchhandlung

Umsatzeinbrüche habe er zwar in den vergangenen Monat verzeichnet, die führt der Buchhändler aber nicht auf den Verkehrsversuch zurück. „Wir haben zwei Kriege, die Leute haben weniger Geld und das schlechte Wetter ist auch ein Faktor.“ Er sieht noch einen Vorteil in der neuen Verkehrsführung: „Im Sommer, wenn die Außengastronomie da ist, sitzt man auch nicht mehr in den Abgasen.“

Optiker auf Venloer Straße: „Kunden sind in offene Autotüren gefahren“

Gegenüber von Stadtländer führt Marco Eimer sein Geschäft. Der Optiker wünscht sich ebenso die Einbahnstraße als langfristige Lösung. „Sie birgt auch für uns und die Mitarbeiter viel mehr Sicherheit“, sagt er, „wir haben immer wieder Kunden gehabt, die in offene Autotüren gefahren sind.“ Seine Umsätze seien durch die Einbahnstraße nicht zurückgegangen. Wieso das bei seinen Nachbarn so sein sollte, könne er sich nicht vorstellen. Die meisten Kunden kämen mit dem Rad.

Der Streit um die Venloer Straße, die zu den gefährlichsten in Deutschland gehört, ist auch ein ideologischer. Jede Positionierung erscheint, je nach Haltung, als moralisch fragwürdig: als unsolidarisch mit den klagenden Händlern, deren Umsätze einbrechen. Oder eben als unverantwortlich, weil Verkehrswende und mehr Sicherheit verweigert werden. Es sind nicht wenige, die lieber nicht öffentlich sprechen wollen. Weil es eben um mehr geht als die 800 Meter Straße zwischen Gürtel und Piusstraße. Auch Verkehrsdezernent Ascan Egerer, der Letztverantwortliche für den Versuch, äußert sich auf eine Anfrage derzeit nicht persönlich.

Sorgt sich nicht um seine Umsätze: Optiker Marco Eimer

Sorgt sich nicht um seine Umsätze: Optiker Marco Eimer

Für die Tempo-20-Zone des vergangenen Jahres, den Vorläufer der Einbahnstraße, hatte er sich öffentlich entschuldigt. Das Chaos war damals nicht zu übersehen. Jetzt lässt sein Dezernat mitteilen: „Konflikte zwischen Verkehrsteilnehmern scheinen rückläufig zu sein.“ Probleme durch Rückstaus an der parallelen Vogelsanger Straße und den starken Verkehr auf der schmalen Piusstraße, von der Innenstadt aus die letzte Abbiegung vor der Einbahnstraße, beobachte man aufmerksam. Man sei in enger Abstimmung mit der Industrie- und Handelskammer (IHK), heißt es von der Stadt. Die IHK allerdings verschickte zuletzt eine wütende Pressemitteilung zum Thema.  

Köln-Ehrenfeld: Umwege für Autos als Folge der Beruhigung

Der Druck auf Egerer ist gewachsen, nachdem Rechtsanwalt Marcel Templin angekündigt hatte, eine Klage gegen den Versuch zu planen. Hinter ihm steht eine Bürgerinitiative, zu der auch Einzelhändler gehören. Templin hatte bereits die Fußgängerzone auf der Deutzer Freiheit juristisch abgeräumt. Die Stadt ist zwar optimistisch, was die Rechtslage auf der Venloer Straße betrifft. Ein entscheidendes Argument ist die besondere Gefahrenlage, die es hier im Gegensatz zur Deutzer Freiheit tatsächlich gibt. 

Ein Schild mit der Forderung, den Verkehrsversuch zu stoppen, hängt in einem Schaufenster an der Venloer Straße.

Nicht wenige Unternehmer haben die Forderung Verkehrsversuch stoppen aushängen. Ein wesentlicher Grund: Solidarität.

Doch atmosphärisch macht die Kampagne, die sich auch in vielen Plakaten in den Fenstern der Händler ausdrückt, vieles komplizierter. Die Meinung zum Verkehrsversuch gehen vor Ort stark auseinander. „Im letzten Quartal“, also seit Start des Verkehrsversuchs im Oktober, „habe ich einen Umsatzverlust von 20 bis 30 Prozent“, sagt zum Beispiel Sandra Berkele. Sie führt seit 18 Jahren einen Friseursalon auf der Venloer Straße. „Wir haben das Problem, dass wir Kunden verlieren.“ Auch das Winterwetter könnte zum Teil dazu beigetragen haben, aber ihre Kunden spiegelten ihr, dass die Einbahnstraße der Hauptgrund sei, wieso sie nicht mehr kämen. Wer mit dem Taxi kommt, müsse einen Umweg fahren und zehn Euro mehr zahlen.

Das ist kein Vergleich mehr zum stressigen Überlebenskampf vergangener Jahre
Bezirksbürgermeister Volker Spelthann (Grüne) über die Einbahnstraße

Die Umwege, die Kunden wie Lieferanten nun fahren müssen, ärgern auch Bettina Tiefenbach. Sie wohnt an der Vogelsanger Straße. Dass der Verkehr durch die Piusstraße auf die Vogelsanger geleitet würde, sei schwierig. „Die ist viel zu klein dafür.“ Sie fahre nur Rad, ist trotzdem gegen den Verkehrsversuch. Denn während auf der Venloer mehr Platz für Räder ist, verenge sich der Raum für sie auf den umliegenden Straßen. Die Vogelsanger sei zu einer „Haupttransitstraße“ durch Ehrenfeld geworden, ohne dafür ausgelegt zu sein: „An der Blechlawine komme ich mit dem Fahrrad gar nicht mehr vorbei.“

Kölner Stadtrat: Mehrheit für Einbahnstraße trotz Frust möglich

Für Verkehrspolitiker ist die Situation frustrierend. Die Grünen hatten sich als größte Fraktion einen Durchmarsch versprochen: Wo, wenn nicht in Ehrenfeld, dem politisch grünsten und radlastigsten Stadtbezirk überhaupt, kann man ein leuchtendes Beispiel für die Verkehrswende schaffen? Wo, wenn nicht auf der Venloer Straße, wo der Wunsch nach einer neuen Verkehrsführung seit Jahrzehnten da ist? „Wir fordern schon lange, dass die Venloer Straße eine Einbahnstraße wird. Den Verkehrsversuch sehen wir als Zwischenschritt“, sagt Lars Wahlen, verkehrspolitischer Sprecher der grünen Ratsfraktion. Ein Zurück sei alleine aus Sicherheitsgründen undenkbar: „Wir sind mit der aktuellen Lage weitgehend zufrieden.“ Begeisterung klingt anders.

Um Enthusiasmus bemüht ist der grüne Bezirksbürgermeister Volker Spelthann: „Ich bin mir sehr sicher, dass die Venloer mit dem Frühling richtig aufblühen wird“, sagt er, „wir sehen schon jetzt, wie entspannt die Menschen unterwegs sind und vor allem, wie begeistert sie von ‚ihrer‘ Venloer sprechen, das ist ja kein Vergleich mehr zum stressigen Überlebenskampf vergangener Jahre.“

Die SPD als größte Oppositionspartei im Stadtrat gibt sich als Advokat der Unternehmen vor Ort. „Beim Verkehrsversuch an der Venloer Straße mangelt es zu allererst an der Kommunikation, vor allem mit der Wirtschaft“, sagt Verkehrspolitiker Lukas Lorenz. Das Klageansinnen überrasche ihn nicht. Zwar hat die Stadt mehr Wurfsendungen als je zuvor für eine Verkehrsmaßnahme verteilt. Ausreichend informiert fühlen sich viele dennoch nicht. Im Sommer muss die Politik entscheiden, wie es auf der Venloer Straße ab Herbst langfristig weitergeht. Die Zeit der Versuche ist dann vorbei. Für eine Einbahnstraße ist die SPD trotz der aktuellen Unzufriedenheit womöglich zu haben. „Die jetzige Regelung bewerten wir positiver als die chaotische Phase der verkehrsberuhigten Geschäftsstraße“, sagt Lorenz. 

Venloer Straße: Einbahnstraße in die andere Richtung als neue Option?

Ähnliches gilt für die CDU, mit den Grünen Teil der Ratsmehrheit, verkehrspolitisch aber traditionell mit anderen Prioritäten unterwegs. „Dass etwas passieren musste, war klar: Die Straße ist zu eng, die Radwege sind zu schmal, die Bürgersteige auch“, sagt CDU-Verkehrspolitikerin Teresa de Bellis. Dennoch habe sie Verständnis für die Sorgen der Händler, auch gehe die Regelung aktuell zulasten der Nebenstraßen, das müsse sich ändern. Aber: „Grundsätzlich befürworten wir eine Einbahnstraße, wenn auch eher in die andere Richtung.“ Eine politische Mehrheit für die Einbahnstraße ist denkbar.  

„Wenn Existenzängste kommen, hängt man gerne mal ein Plakat auf.“
Can Altinören, Inhaber eines Geschäfts für Bürosysteme und Drucker

Die Idee, die Einbahnstraße in die andere Richtung zu führen, spricht auch einigen Geschäftsleuten zu. „Wir alle freuen uns, dass es ruhiger ist“, sagt Can Altinören, Inhaber eines Geschäfts für Bürosysteme und Drucker, aber: „Für die Einzelhändler und die Gastronomie ist es zu ruhig geworden.“ Sein Umsatz sei um zehn bis 20 Prozent zurückgegangen. „Wenn man auf die Jahresumsätze schaut, dann können am Ende des Monats mal 20.000 oder 10.000 Euro fehlen“, sagt er. „Und dann kann man seine Angestellten nicht mehr bezahlen.“ Er beteiligt sich an der Bürgerinitiative. „Wenn Existenzängste kommen, hängt man gerne mal ein Plakat auf.“ 

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