Wegfall der ImpfpriorisierungKomme ich jetzt schneller an einen Termin?

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Eine Mitarbeiterin eines Impfteams zieht den Impfstoff von Biontech/Pfizer in eine Spritze auf. (Symbolbild)

Köln – Ab heute gibt es keine Impfpriorisierung mehr. Jeder ab zwölf Jahren kann sich nun impfen lassen – soweit die Theorie. Ein Überblick.

In der Praxis liegen zwischen der nun unbegrenzten Chance auf eine Impfung und dem tatsächlichen Piks Welten. Denn nach wie vor gibt es zu wenig Impfstoff für alle Interessenten. Der Wegfall der Priorisierung hat einen Ansturm auf die Arztpraxen zur Folge, den diese kaum bewältigen können. Zumal in den Impfzentren wegen des Impfstoffmangels derzeit nur Zweitimpfungen erfolgen. Ärzte und Politik mahnen zu Geduld.

Was bedeutet die Aufhebung der Impfpriorisierung?

Alles zum Thema Henriette Reker

Ab dem heutigen Montag können sich alle Menschen impfen lassen. Die bisherigen Reihenfolgen etwa nach Alter, Beruf oder Vorerkrankungen gelten nicht mehr. Gleichzeitig beginnen die Betriebsärzte größerer Unternehmen, die Belegschaft zu impfen. Zudem dürfen ab sofort auch Kinder ab zwölf Jahren mit dem Präparat von Biontech/Pfizer versorgt werden, zuvor galt das für Jugendliche ab 16 Jahren.

Ist es jetzt einfacher, eine Impfung zu bekommen?

Nein. Jetzt konkurrieren nur sehr viel mehr Menschen um eine Impfung, bei immer noch vorherrschender Impfstoffknappheit. „Es ist ein Dilemma“, sagt Dr. Jürgen Zastrow, Kölns leitender Impfarzt, der auch in seiner HNO-Gemeinschaftspraxis in Riehl Impfungen vornimmt. Mit dem jetzigen Wegfall der Priorisierung würden „bei den Menschen Hoffnungen geweckt, die in keinster Weise mit den Impfstofflieferungen gedeckt sind.“ „Die Hausärztinnen und Hausärzte können nur das verimpfen, was da ist“, betont auch der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Bei den Patienten seien „Frust und Enttäuschung nachvollziehbar, aber bei uns definitiv an der falschen Adresse“, sagt Weigeldt weiter. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte im Vorfeld des Wegfalls der Priorisierung vor zu hohen kurzfristigen Erwartungen gewarnt und bat um Geduld.

Wie ist die Lage in den Impfzentren?

„Aufgrund der landesweit begrenzten Mengen an Impfstoffen“ können derzeit jedoch grundsätzlich keine neuen Termine für Erstimpfungen in den Impfzentren wie dem in der Köln-Messe gebucht werden, teilt die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) mit. Dort sind momentan nur bereits terminlich feststehende Zweitimpfungen möglich. Davon finden nach Worten der Kölner Stadtverwaltung in dieser Woche rund 35.000 statt. „Voraussichtlich ab etwa Mitte/Ende Juni“ könnten in den Impfzentren wieder neue Termine vereinbart werden, „dann rechnet das NRW-Gesundheitsministerium mit einer allgemein verbesserten Liefersituation der Impfstoffe für die Impfzentren“, sagt die KVNO. Die Stadt Köln hat vor kurzem ihren Vertrag mit der Köln-Kongress GmbH zum Impfzentrum bis zum 31. August verlängert. Wie es nach diesem Datum weitergeht, ist unklar. Möglicherweise sind bis dann so viele Menschen geimpft, dass die Messehalle nicht mehr benötigt wird. Der städtische Krisenstab werde sich „zu gegebener Zeit“ mit der Thematik befassen, sagt die Stadt.

Wie ist die Situation bei den niedergelassenen Ärzten?

Die Arztpraxen, die die Impfterminvergabe eigenständig regeln, können sich vor Anfragen kaum retten. „Der Andrang in den Praxen ist grundsätzlich seit Wochen hoch und wird sich seit heute nochmals verstärkt haben“, sagt die KVNO. Niedergelassene Mediziner berichten von fortwährend klingelnden Telefonen und überquellenden E-Mail-Postfächern. „Weil viele Patienten die Praxen nicht erreichen, kommen sie spontan vorbei und versuchen vor Ort ihr Glück“, berichtet Zastrow, Kölns leitender Impfarzt, der auch in seiner HNO-Gemeinschaftspraxis in Riehl Impfungen vornimmt. Er spricht von einer Art „Belagerungszustand“ der Praxen durch Impfwillige. Dabei arbeiteten die Einrichtungen im Grunde wie bisher auch mit Wartelisten, die nun indes länger und länger würden. „Durch den Ansturm haben wir weniger Zeit für die anderen Patienten“, sagt Zastrow. Denn die Mitarbeiter müssten den vielen Menschen auf Suche nach einem Impftermin erläutern, warum sie trotz Wegfalls der Priorisierung nicht kurzfristig versorgt werden könnten, was viel Zeit in Anspruch nehme. „Aktuell können in den Praxen größtenteils nur Zweitimpfungen der oberen Priorisierungsgruppen durchgeführt werden, diese sind voraussichtlich in etwa zwei Wochen abgeschlossen. Wir hoffen, dass dann die vom Bund und Land für die zweite Juni-Hälfte angekündigten größeren Impfstoffmengen eintreffen und die Praxen dann weitere Kapazitäten für die Impfungen erhalten“, teilt die KVNO mit. Unterdessen beginnen auch die Betriebsärzte mit den Impfungen. Ford zum Beispiel impft ab Dienstag seine Mitarbeiter.

Ist der Wegfall der Priorisierung also eine Mogelpackung?

„Es ist grundsätzlich eine richtige Entscheidung von Bund und Land NRW gewesen, die Priorisierung aufzuheben, zumal allein im Rheinland mittlerweile gut die Hälfte der Impfwilligen bereits eine Erstimpfung oder ein entsprechendes Angebot für diese erhalten hat“, sagt KVNO-Vorsitzender Frank Bergmann. „Voraussichtlich innerhalb der nächsten etwa zwei Wochen“ seien die Impfungen von bislang priorisierten Bevölkerungsgruppen weitgehend abgeschlossen. „Das Ende der Priorisierung wird dann helfen, das Impftempo im Land auch danach weiter hoch halten zu können.“ Bergmann rechnet damit, „dass in den kommenden Wochen allen Bürgern, die wollen, ein Impfangebot gemacht werden kann – entweder in einer Praxis, einem Impfzentrum oder vom Betriebsarzt.“ Perspektivisch würden vor allem niedergelassene Ärzte Impfwillige betreuen, jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht alle auf einmal.

Wie viel Impfstoff gibt es derzeit?

Von den knapp 61,2 Millionen Impfdosen, die Deutschland bislang geliefert bekommen hat, sind nach Angaben des Bundesgesundheitsministerium (BMG) 89,8 Prozent bereits verimpft. Demnach sind derzeit republikweit noch etwa 6,2 Millionen Dosen vorrätig. Laut KVNO habe die Kassenärztliche Bundesvereinigung unter Berufung auf das BMG am Wochenende mitgeteilt, dass die Arztpraxen in Deutschland in der dritten Juniwoche insgesamt rund drei Millionen Impfstoffdosen erhalten würden. Das seien 400.000 weniger als in dieser Woche. Die Stadt Köln äußerte sich auf Anfrage nicht zu ihrer derzeit verfügbaren Impfstoffmenge. Oberbürgermeisterin Henriette Reker hatte vergangenen Freitag an NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) appelliert, für eine angemessene Impfstoffversorgung einzustehen.

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Wie viele Menschen wurden bereits geimpft?

Laut Bundesgesundheitsministerium haben in Deutschland rund 38 Millionen Personen (45,7 Prozent) eine Erstimpfung erhalten. Davon sind etwa 17,7 Millionen (21,3 Prozent) vollständig geimpft. Im Schnitt würden in Deutschland pro Sekunde acht Menschen geimpft, sagt das BMG. Bei den Erstimpfungen liegt NRW mit einer Quote von 48,3 Prozent bei den Bundesländern auf Platz drei hinter dem Saarland (48,8 Prozent) und Bremen (49,5 Prozent). Schlusslicht ist Sachsen (40,7 Prozent). In Köln haben nach Angaben der KVNO insgesamt bislang mehr als 530.000 Personen eine Erstimpfung erhalten. Laut KVNO wurden in den knapp 700 Kölner Arztpraxen, die Impfungen durchführen, bislang mehr als 272.000 Erst- und Zweitimpfungen durchgeführt

Welche Impfstoffe kommen zum Einsatz?

Vor allem der von Biontech/Pfizer. Davon wurden bislang 42,7 Millionen Dosen an die Bundesregierung geliefert. Vom Präparat der Firma Astrazeneca hat Deutschland bislang 10,8 Millionen Dosen bekommen, von Moderna 5,9 Millionen und von Johnson & Johnson 1,7 Millionen.

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