Kölner Ehrenamtlerin„Die meisten Helfer haben Samos inzwischen verlassen“

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Unter den Flüchtlingen auf den griechischen Inseln sind auch viele Kinder.

Köln – Auch das ist Europa. Bescheidene Hütten ziehen sich den Berghang entlang. Gebaut aus Plastikplanen und Paletten, notdürftig zusammengenagelt. Die Wege hier sind eng, Müll liegt herum, es stinkt und in der Nacht kommen Ratten und Mäuse. Der Jungle, der Dschungel, wie ihn die geflüchteten Menschen nennen, gehört eigentlich nicht zum Flüchtlingscamp.

Die Auffangstation ist aber so überlaufen, dass ringsherum Behelfsbauten entstanden sind, in denen die meisten Flüchtlinge leben. Eigentlich ist Samos ein idyllischer Ort, aber im Flüchtlingscamp kann davon keine Rede sein, sagt Gabi Klein von der Kölner Freiwilligen-Agentur. „Es ist schrecklich.“

Die Kölnerin Klein (52) engagiert sich seit 17 Jahren in der Kölner Freiwilligen-Agentur und leitet hier den Bereich Willkommenskultur. 2018 war sie zum ersten Mal auf Samos. Privat, im Urlaub. Das Camp mit den Flüchtlingen gab es damals schon, „aber es erschien wie ein Tabuthema in unserer Reisegruppe“. Dennoch hat Klein Kontakt aufgenommen zu einer der Freiwilligenorganisationen, die sich um die Flüchtlinge kümmern, den Samos Volunteers.

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Gabi Klein engagiert sich bei der Kölner Freiwiligen-Agentur.

Die Organisation, die von Bogdan Andre, der inzwischen in Köln lebt, mitgegründet wurde, unterhält auf Samos ein Community-Center, wo geflüchtete Menschen zusammenkommen, Backgammon spielen, Sprachkurse besuchen, Bewerbungstrainings absolvieren oder andere Workshops belegen.

Klein war seitdem noch dreimal auf Samos und wollte in diesem Jahr Deutsch zu unterrichten. Vor Ort waren aber schon zwei Deutschkurse eingerichtet worden, so dass die Kölnerin spontan bei allen Belangen im Community-Center mithalf und als eigenes Projekt einen kleinen Innenhof als Pausenraum herrichten wollte. Es gibt immer etwas zu tun im Community-Center.

Das Leben der Menschen war schon vor Corona schwer

Eigentlich ist das Camp für 700 Menschen ausgelegt, derzeit leben etwa 7000 Frauen, Männer und Kinder hier. 1800 von ihnen sind minderjährig, zwei Drittel unter zwölf Jahren alt. Ursprünglich sollten die Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan, Irak und aus afrikanischen Staaten hier nur einen kurzen Zwischenstopp machen.

Seit dem Abkommen zwischen der EU und der Türkei im März 2016 geschlossen wurde, stranden auf Samos aber Tausende von Menschen. Die Asylverfahren dauern nicht selten lange. Und so sitzen die Flüchtlinge auf Samos, 1,7 Kilometer vor der türkischen Küste, fest - ein, zwei oder drei Jahre. Aus dem Zwischenstopp wurde ein Daueraufenthalt.

Das Leben der Menschen war schon vor Corona schwer. Es gibt nur einen Arzt für 7000 Menschen, 200 Personen teilen sich eine Toilette. Es gibt keine Schulen für die Kinder, keine Arbeit für die Erwachsenen und wenig Perspektiven für alle. Es gibt keinen Strom, aber zumindest einige Wasserstellen.

Vieles von dem, was der griechische Staat nicht leistet, konnten die ehrenamtlichen Helfer auffangen, wie die Samos Volunteers. Helfer und Flüchtlinge haben zum Beispiel ein Restaurant eingerichtet, in dem etwa 1000 Essen pro Tag gekocht werden. Andere versuchen, den Müll zu entfernen, der im Camp anfällt.

Coronavirus hat Griechenland im Griff

Doch nun hat das Virus auch Griechenland im Griff. Geschäfte, bis auf Apotheken, Supermärkte, Optiker, Autowerkstätten und Tabakkioske, sind geschlossen. Der Eintritt in die noch geöffneten Geschäfte wird geregelt und kontrolliert, damit sich Kunden und Verkäufer nicht zu nahekommen. Am 11. März wurden in Griechenland alle Schulen, Kitas und Bildungseinrichtungen zugesperrt. Dadurch sei in den letzten Tagen die Unterstützung für die Geflüchteten „gen Null“ heruntergefahren worden, sagt Klein.

#LeaveNoOneBehind

Die Aktion Seebrücke Köln hat die Oberbürgermeisterin Henriette Reker in einem öffentlichen Brief gebeten, sich für die Evakuierung der Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln einzusetzen. Dort leben etwa 42.000 geflüchtete Menschen, „die neben den ohnehin schon erbärmlichen und entwürdigenden Umständen nun auch durch die Pandemie bedroht sind“, schreibt Laura Grey von der Seebrücke. Wenn in den Camps sich das Coronavirus ausbreite, wäre das „eine unvorstellbare Katastrophe“. Köln solle über die zugesicherten 116 Menschen, die die Stadt aus Griechenland aufnehmen will, weitere Menschen aus den Camps der griechischen Inseln aufnehmen.

„Die meisten Volunteers und Hauptamtlichen haben die Insel inzwischen verlassen, wir durften nicht arbeiten und sollten auch bei einer möglichen Erkrankung nicht das völlig überforderten Gesundheitssystem weiter belasten.“ Ein Samiote habe gelacht, als Klein sagte, die Freiwilligen seien aufgefordert worden, die Insel zu verlassen, um im Notfall kein Bett im Krankenhaus zu belegen. In diesem Krankenhaus könne man nicht helfen, habe der Grieche gesagt. „Du gehst mit Kopfschmerzen oder einem gebrochenen Fuß dorthin, aber nicht mit einer ernsthaften Erkrankung. Sie werden uns hier einfach sterben lassen.“

Das Virus zu kontrollieren ist hier unmöglich

Hygienemaßnahmen sind im Jungle kaum umsetzbar. Schlangen vor den Essensständen, Schlangen vor den Toiletten, Schlangen vor Wasserstellen. Menschen, die zu sechst auf wenigen Quadratmetern leben. Zelt an Zelt, Hütte an Hütte. Dazu kommen enge Wege. Viele der Flüchtlinge können sich nicht miteinander verständigen. Das Virus zu kontrollieren, wenn es in einem Lager wie Samos einmal ausgebrochen ist, sei im Grunde unmöglich, so Klein. „Es kann nicht funktionieren.“ Es gibt nicht genug Seife, genug Desinfektionsmittel, nicht genug Tests, Intensivbetten, Beatmungsgeräte.

Noch gibt es keinen Corona-Fall aus Samos. In der Bevölkerung gibt es die Furcht davor, dass das Virus auch auf der Insel ausbrechen könnte. Die Stimmung unter den Griechen auf Samos sei nicht so angespannt wie auf Lesbos. Anfangs wurden Suppenküchen und Kleiderspenden organisiert. Nach all den Jahren habe das Engagement der Griechen aber nachgelassen.

Die Stadt Vathi in der Nähe des Camps hat 7000 Einwohner. Genau so viele wie das Camp. „Das ist so als wenn im Kölner Rheinpark eine Million Flüchtlinge leben würden.“ Die Griechen seien enttäuscht auch von ihrer Regierung, die die Flüchtlinge nicht auf das Festland bringe. Ein neues Camp soll angeblich errichtet werden. Mit den anvisierten 1500 Plätzen wäre es jetzt schon zu klein.

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Das Flüchtlingselend auf den griechischen Inseln ist groß.

Viele Organisationen wie beispielsweise der Kölner Flüchtlingsrat oder die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen fordern daher, die Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln sofort zu evakuieren. „Die entsetzlichen Lebensbedingungen in den überfüllten Hotspots auf den Inseln sind ein idealer Nährboden für Covid-19“, warnte Ärzte ohne Grenzen. Die Menschen müssten an einen Ort gebracht werden, an dem sie diese Ratschläge befolgen können. Sonst drohe der Zusammenbruch der medizinischen Versorgung auf der Insel. Klein wird sich von zuhause aus weiter engagieren

„In Köln gibt es viele Initiativen, etwa die Seebrücke oder die AG Bleiben, die sich für den Schutz der Flüchtlinge in den griechischen Camps einsetzen. Wir haben unter Corona so viel geschafft, was vorher unmöglich erschien. Das kann doch auch für die Situation der Flüchtlinge in Griechenland gelten."

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