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50 Meter KölnWolken-Träumerei und Seefahrer-Geschichten in der Kölner City

Lesezeit 5 Minuten

Die Leuchtturm-Wirte.

Innenstadt – Wolkenburg, Leuchtturm. Klingt nach: Erlösung, Rettung. Ist ja auch so. Hier wie dort vergessen sich die Menschen für ein paar Stunden im Feiern, heben einen auf das kleine, große Leben. In dem ehemaligen Benediktiner-Kloster, das sich aufbrezelt wie ein Loire-Schloss, eher mit Champagner, in der straßenkötrigen Kaschemm’ mit Kölsch und Korn. Andere Mittel, gleiche Wirkung.

„Kommen, essen, trinken, feiern, gehen. Darum geht es bei uns“, sagt Robert Dutz (39), Bankettchef der Wolkenburg. Die Leute kommen einmal im Jahr, zur Weihnachtsfeier, oder, ein paar Mal im Leben, zu Hochzeiten, Geburtstagen, Todesfällen. Im Leuchtturm trifft man sich jeden Tag.

„Das ist mein Wohnzimmer hier“, sagt Gilda Nolte, die mit ihrem Hündchen Lonka immer rechts am Tresen sitzt, ein bisschen erhöht, eine Veedelskönigin mit melancholischen Augen. Die Wolkenburg will auch Wohnzimmer sein, eines der alten Schule, als es noch die guten, nur zu Festen genutzten Stuben gab.

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In die Spelunke, die aussieht wie ein maritimes Minimuseum, gehen auch Robert Dutz und sein Chef Rudolf von Borries gern, um mit ihren Leuten ein paar Kölsch zu nehmen und die nächsten Spektakel zu besprechen. Wer dem Himmel so nah ist, will sich geerdet wissen. Wenn die Festreden bei den Konzernfeiern zu abgehoben werden, flüchten stets ein paar Anzugträger aus dem Himmel in den Leuchtturm. Auch der Geschäftsführer der Bettwäschelinie Luxuriöse Nächte („Luxury Nights“) freut sich beim Besuch der Edelbettwäsche-Verkäufer Martin Wickert und Maik Causemann über ein Kölsch aus dem Leuchtturm.

Die gelernten Informatiker Wickert und Causemann, die neben der Kneipe Bettwäsche für bis zu 2000 Euro und und Daunendecken für 10 000 Euro verkaufen (die Daunen dafür werden aus dem Enten-Nest gesammelt), sind wegen der Wolkenburg hierhin gezogen. „Uns gefallen auch die Kontraste“, sagt Wickert. Morgens laufen die Junkies zittrig zur Methadonabgabestelle, eine halbe Stunde später kommen sie lachend zurück. In den Wohnungen über dem persischen Restaurant leben Flüchtlinge, gegenüber Schauspieler.

Die Wolkenburg macht ihrem Namen natürlich Ehre. Bundespräsidenten und Milliardäre waren schon da, Königsfamilien, auch Papst Benedikt und seine Kardinäle, von denen einer im Rolls-Royce vorfuhr. Ein paar Leuchttürmler müssen vor ein paar Jahren die russische Multimillionärin gehört haben, wie sie ihre Trauzeugin anschrie, weil die ihr diamantenes Diadem im Hotel vergessen hatte. Dutz trieb binnen einer Dreiviertelstunde ein Ersatzdiadem auf, die Hochzeit blieb ohne Todesfall. Diskretion ist von Borries und Dutz eine Tugend, „aber wenn wir ein Buch schrieben und das verfilmt würde, sollte man die Titelmelodie von Dallas oder Denver nehmen“, sagt Dutz und kichert.

Im düsteren Leuchtturm sind die Stones zu hören, bevor die ewige Janis Joplin ihre Whiskeystimme erhebt. Auch Klaus Schiffmanns Kehle klingt nicht nach digitaler Perfektion. Mit seinem Matrosen-Shirt, das eine Tätowierung freilegt, den eisblauen Augen und seiner Matrosen-Kneipen-Vita ist Schiffmann („Der Name ist Programm“) so sehr Kaschemmenwirt wie von Borries Edel-Gastronom – mit Weltläufigkeit und Charme, dem am Nachmittag lässigen Streifenhemd und seinem ebenso stürmischen Lebenslauf.

Von Borries ist ein Riese unter den Kölner Gastronomen, ihm gehörten angesehene Restaurants wie der Ratskeller, im Moment ist er neben der Wolkenburg für Köln Sky – die zwei Etagen unter der Plattform des LVR-Turms – und die Bonner Redoute mitverantwortlich. Er ist aber aus den Wolken auch schon unsanft in den Matsch gefallen: Im Jahr 2002 hat er im Knast gegessen – seinerzeit wurden er und seine Ex-Frau Rita der Steuerhinterziehung bezichtigt, beide waren in Untersuchungshaft. Rudolf von Borries wurde zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

„Gelernt habe ich daraus, ans Aufhören aber nie gedacht.“ Geerdet wirkt er wohl nicht nur. Er dürfte es auch sein. Er ist zwar diskret, aber für einen Mann in seiner Position erstaunlich offen. „Den Mindestlohn einzuhalten ist leicht“, sagt er, „aber mit den Arbeitszeiten ist es schwierig. Wir haben den Anspruch, dass unsere Gäste während des Festes vom gleichen Personal bedient werden.“ Wenn die Feier bis zum Morgengrauen dauert und die Gäste noch Putzfrau Helga die Hand schütteln, die beim Aufräumen schon mal die teure Brosche einer Gräfin auf einem Currywurstteller fand, dann kollidiert das mit dem Arbeitszeitgesetz. „Da gehe ich auf Konfrontation.“

Klaus und Astrid Schiffmann, die den Leuchtturm zusammen betreiben, sagen, sie mögen ihre Arbeitszeiten. „Ich kann seit 30 Jahren morgens ausschlafen. Wer darf das schon?“, fragt er.

Klaus Schiffmann stammt aus einer Gastronomen-Familie, dritte Generation, er war 22 Jahre Wirt des Pittermännchens im Millowitsch-Theater, das er von seinem Vater übernahm. Als das Pittermännchen im Sommer 2013 schließen musste, suchte er Neues – und fand den Leuchtturm. Der 50-Jährige sieht nicht nur aus wie ein Seefahrer. Schiffmann war Stewart auf der MS Berlin, sechseinhalb Monate ohne einen Tag Pause, so viel zu den Arbeitszeiten. „Das größte Abenteuer war aber, mit einem Kumpel ein 23,40 Meter langes Segelboot zu kaufen und vom Mittelmeer nach Köln zu steuern, in sechs Wochen, durch über 200 Schleusen.“ Einige der Taue sind an den Wänden zu sehen.

Klaus Schiffmann sieht ein bisschen verwegen aus, ist aber eigentlich auch bodenständig. Seine Eltern wollten nicht, dass er in die Gastronomie geht, sie wussten ja, wie aufreibend der Beruf ist, „also musste ich zumindest das Hotelfach lernen und Koch noch dazu, beim alten Blatzheim, da gab es 600 Bewerber auf eine Lehrstelle“.

Leuchtturm-Wirt möchte er bleiben wie der in Würde gealterte von Borries („schreiben Sie, dass ich über 70 bin“) noch lange Mieter in der Wolkenburg, die dem Kölner Männergesangverein gehört. Sie mögen das Viertel mit seiner ungekrönten Königin Gilda Nolte, die ein Buch wert wäre, nicht nur wegen ihrer Eltern, Stepptänzern und politischen Gegenstromschwimmern, und der Großmutter, die Vorsitzende der Kommunistischen Partei Kölns war und sich mit den Nazis anlegte. Mit der Society, die in die Wolkenburg kommt, und der ganzen Melange von Finanzdienstleistern und Drogensüchtigen, Designmöbelverkäufern und Flüchtlingen.

Dass die Wolkenburg noch steht, ist übrigens auch Klaus Schiffmanns Vorgängern Peter und Patti Hanseler zu verdanken, die den Leuchtturm aufgebaut und 29 Jahre betrieben haben. Als es vor fünf Jahren im Alexiana-Raum brannte, sah das Leuchtturm-Personal den Rauch und rief die Feuerwehr. „Ohne Leuchtturm“, sagt Rudolf von Borries, „gäbe es die Wolkenburg womöglich nicht mehr.“