Kölns Ex-Stadtsprecherin Inge Schürmann„Sie war kompetent und widerspenstig“

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Inge Schürmann

Inge Schürmann bei einer Pressekonferenz der Stadt Köln

Köln – „Ich glaube, Sie sind auf der falschen Spur.“ Diesen Satz sagte Inge Schürmann dem Reporter nach einer Anfrage zu einem Projekt eines Mannes, der Holzhäuschen für Obdachlose baute. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hatte einen Bericht über die Initiative geschrieben, Dutzende Medien folgten. Der Obdachlosenhelfer und sein späterer Verein freuten sich über eine Spendenflut – die Idee entwickelte sich in den Wintermonaten zu einer kleinen Mediensensation. Ein Jahr später gab es Untreuevorwürfe gegen den Initiator, nach langen Ermittlungen musste er sich vor Gericht verantworten. „Ich erinnere mich, wie wir ihm zahlreiche Gesprächsangebote gemacht haben, er aber nicht mit uns sprechen wollte“, erinnert sich Inge Schürmann. „Dafür kritisierte er uns gern und oft gegenüber Journalisten. Das kam mir komisch vor.“

Kölner Kämpfe um die Deutungshoheit

„Ich glaube, Sie sind auf der falschen Spur.“ „Falsche Frage!“ „Vielleicht recherchieren sie nochmal in eine andere Richtung.“ „Wollen Sie meinen Rat?“ So antwortete Inge Schürmann auf Anfragen oft. Manchmal war man in der Folge irritiert. Manchmal wurde es laut, wenn ein Kollege mit ihr telefonierte. Nicht selten musste man sich eingestehen, dass zumindest einige ihrer Einwände berechtigt waren.

Auf Pressekonferenzen kam es vor, dass Inge Schürmann selbst eine Frage stellte – die sie von den Medienvertretern erwartet hätte. „Das habe ich nur gemacht, wenn ich das Gefühl hatte, das das zum Verständnis beiträgt und dem Thema weiterhilft“, sagt sie. „Als Stadtsprecherin ist man auf Pressekonferenzen am besten unsichtbar, meistens war ich das auch. Sie werden es nicht glauben: Aber ich bin total uneitel.“ Und, nein: Als vorlaut würde sie sich nicht bezeichnen.

Alles zum Thema Henriette Reker

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Drei Tage vor dem zweiten Lockdown bestellt Inge Schürmann im Café Jansen gedeckten Apfelkuchen mit Sahne und Filterkaffee. Die Sofas tragen hier noch Samtüberzüge, der Kaffee wird in Kännchen serviert, das Publikum ist so distinguiert wie die Auswahl an Kuchen und Torten. Das Café passt gut zu Schürmann, die einen Jagdschein besitzt, Golf spielt und eine beinahe aristokratische Eleganz mit einer Hemdsärmeligkeit verbindet, die von ihrem niederrheinischen Tonfall noch unterstrichen wird.

Workaholic mit großem Gerechtigkeitssinn

Wenn man mit Menschen aus ihrem Arbeitsumfeld spricht, fällt vielen neben Eigensinn und einem Hang zum Workaholic-Dasein der Gerechtigkeitssinn der langjährigen Stadtsprecherin ein. „Sie war analytisch und nicht romantisch, breit aufgestellt, denk- und diskutierfreudig. Ich würde sie als gedankliche Florettfechterin bezeichnen, der die Pressefreiheit wichtig war und die stark für ihren Job lebte“, sagt ein Kollege, der sie seit fast 30 Jahren kennt. „Kompetent und widerspenstig“, fällt einem anderen ein. „Manchmal jenseits von Gut und Böse.“

Sprecherinnen und Sprecher von Stadtverwaltungen werden – ähnlich wie Journalistinnen und Journalisten – gern in Schubladen gesteckt: Hier die Bürokraten, da die Freigeister. Inge Schürmann hat Verwaltungswissenschaften studiert und damit geliebäugelt, eine Laufbahn im Finanzbereich einzuschlagen – als nüchterne Bürokratin würde sie niemand charakterisieren. „In einer Redaktion wie bei einer Verwaltung braucht es Leute für jede Position. Man gewinnt auch nicht mit zehn Stürmern Fußballspiele“, sagt sie. Auf dem Fußballplatz wäre Inge Schürmann als schnelle und robuste Balleroberin und –verteilerin im defensiven Mittelfeld zu Hause gewesen. Mit manchmal wilden Ausflügen nach vorn und auf die Außenbahnen, die mit dem Trainer nicht abgesprochen waren.

Mehrere Jahre brachte sie ihre Deutsch-Drahthaar-Hündin Bea mit ins Presseamt. Beim Reinigen des Gefrierschranks wurde schon mal ein von Schürmann auf der Jagd erlegter Hase gefunden, im Kühlschrank eine angebrochene Dose Hundefutter. Den Jagdschein habe sie übrigens nur wegen ihres Hundes gemacht. Und in ihrem Revier in Krefeld noch nie angesessen. Inge Schürmann, die mit Gewehr im Anschlag auf dem Hochsitz die hohen Tiere in der Verwaltung aufs Korn nimmt? Wäre mit ihr nicht zu machen gewesen. Kein böses Blut bitte, nie.

Reker musste ihr fast die Flinte aus der Hand nehmen

Als „loyal und leidenschaftlich“ bezeichnet sie Oberbürgermeisterin Henriette Reker in einer Sonderausgabe einer Stadtverwaltungszeitung zu Schürmanns Ehren. Manchmal allerdings „musste ich ihr beinahe die Flinte aus der Hand nehmen, um einen Schnellschuss zu verhindern. Es war mitunter ein zähes Ringen, wann wir welche Informationen an die Medien geben. Im Tempo unterscheiden Frau Schürmann und ich uns gewaltig“. „Der Takt in unserer Branche ist sehr, sehr hoch, um 16 Uhr ist die Messe gelesen“, sagt die 65-Jährige. „Ich versuche, die Anfragen der Medien zu bedienen, die OB entscheidet, wann – und ich gehe ihr natürlich auf die Nerven, wenn ich immer wieder nachhöre, wann der Prozess abgeschlossen ist, um der Öffentlichkeit zu antworten.“ Manchmal habe sie dafür gestritten, den Medien mehr Informationen zukommen zu lassen als von anderer Stelle für nötig befunden, sagt ein Wegbegleiter. „Wir sind hier nicht die Propagandaabteilung der Stadt!“ sei ein Lieblingssatz gewesen.

Großer Fan der Tagespresse

Im Café Jansen, wo die Zeitung noch wie selbstverständlich das meist gelesene Medium ist, outet sich Inge Schürmann als Fan der gedruckten Tagespresse. „Es gibt kein Medium mit dieser Dichte und Bandbreite an Informationen. Viele der Texte machen einen wirklich schlauer. Im Gegensatz zum Internet schafft die Zeitung Orientierung. Aber die Zeitungen befinden sich in einer sehr schwierigen Zeit: Die Informationen im Netz sind flacher, es kommen weniger Perspektiven und Positionen zu Wort – und ich denke: Dieses Schnelle, Einseitige, nicht zu Ende Recherchierte, das kann es nicht sein, dafür zahlen die Leute auch kein Geld.“ Den Trend zur schnellen Information habe sie in den vergangenen Jahren auch bei der Stadt erlebt: „Manchmal habe ich mich gefragt, wie viel Zeit wir in Soziale Medien, Tweets und neue Digitalformate investieren können, ohne unseren Informationsauftrag aus den Augen zu verlieren.“

Ein Viertel ihrer Zeit möchte sie künftig der Beratung von Unternehmen und Ämtern bei der Öffentlichkeitsarbeit widmen. „Weil ich mein Wissen weitergeben will – vor allem aber, weil mir die Pressefreiheit und der richtige Umgang mit Informationen unglaublich wichtig ist. Ich beneide die jungen Menschen, die im Internet alles haben, aber nicht lernen, wie sie damit umgehen sollen, nicht.“

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Bei den Schürmanns wurde die Zeitung am Frühstückstisch gelesen. Ihr Vater verkaufte Industrienähmaschinen, für die der Patenonkel zwei Weltpatente hatte, die Mutter war mal Deutsche Meisterin für Stenografie und Schreibmaschine. Nach dem Studium ging die jüngere von zwei Töchtern zur Stadt Krefeld, und landete im Presseamt. Schnell habe sie gelernt, welche Möglichkeiten der Job biete, sagt Inge Schürmann: „Wenn man Inhalte vermittelt, gibt es viele Spielräume. Man kann Aufklärungsarbeit leisten für schwierige Themen, zu Recherchen anregen, auch mit Emotionen arbeiten. Dafür braucht man allerdings ein inneres Gerüst – um nicht ins Marketing abzudriften oder nur Phrasen zu dreschen.“

Journalisten trieb Inge Schürmann zur Weißglut

Für Inge Schürmann, die ihr langjähriger Chef Gregor Timmer „Jeanne d’Arc des Presseamts“ taufte, lässt sich sagen: Sie hat die Spielräume genutzt, erfreulich wenig Phrasen benutzt, ihren Glauben an die Pressefreiheit nie vergessen – und Journalisten trotzdem manchmal zur Weißglut getrieben, weil sie sich beharrlich um die besseren Argumente duellierte, einem Geschichten ausreden wollte, die sie für keine hielt – und für andere stundenlang nicht zu erreichen war.

Ihr verhasstester Gegner war kein Journalist – es war die Deutsche Bahn. Auch an diesem Tag kommt sie schimpfend und gut 20 Minuten zu spät zum Treffpunkt, da die RE 7 sich als zuverlässig unzuverlässig erwiesen habe. Vor einigen Jahren verunglückte der Zug von Meerbusch nach Köln, Schürmann, die vorn im Waggon saß, erlitt nur leichte Verletzungen, stieg weniger Tage später wieder ein – und schimpfte weiter.

Intern prangerte sie Missstände an

Wenn es um die Stadt Köln ging, die aus ihrer Sicht naturgemäß in der Öffentlichkeit zu schlecht wegkam, ist ihr Kritik auch im Ruhestand noch fremd. Beim gedeckten Apfelkuchen schwärmt sie von der Urbanität des Lebens in der Stadt und die wache Zivilgesellschaft, findet warme Worte für jeden Oberbürgermeister, den sie erlebte. Missstände prangerte sie intern an. Man darf sicher sein, dass sie es mit scharfer Klinge tat.

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