Finnische Kinderbücher sind nicht so traditionell wie deutsche. „Da dürfen die Eltern auch mal Schwäche zeigen“, sagt Heidi Viherjuuri. Die 31-Jährige Finnin unterrichtet finnische Literatur und Sprache an der Uni Köln und forscht unter anderem über Kinder- und Jugendliteratur. Ihr Fazit: Die Finnen legen nicht nur mehr Wert auf Themenvielfalt, sondern auch auf die Illustrationen. „Das ist den Deutschen manchmal zu gewagt.“ Für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat Viherjuuri einen Kanon der schönsten, übersetzten, finnischen Werke zusammengestellt. „Leider wurden einige Klassiker und meine Lieblingsautorinnen Sinikka und Tiina Nopola bislang nicht ins Deutsche übersetzt – deswegen fehlen sie hier.“ Text und Protokolle von Angela Sommersberg
Lustiges Theater
Muminbücher sind natürlich der Klassiker. Obwohl „Sturm im Mumintal“ nicht das erste Buch aus der Reihe ist, bietet es einen guten Einstieg in die Fantasiewelt: Im Mumintal gibt es eine Überschwemmung, das Haus steht unter Wasser. Die Mumins können sich in ein Theatergebäude retten, das vorbeigetrieben wird. Obwohl sie zunächst nicht wissen, was ein Theater ist und sich auch noch mit der bösen Ratte Emma anlegen, schaffen sie es zum Schluss, ein eigenes Theaterstück auf die Beine zu stellen. Mich persönlich erinnert das Buch an die Sommer, die ich als Kind bei meiner Tante verbracht habe. „Sturm im Mumintal“ ist einfach ein wunderbares Abenteuerbuch. Tove Jansson: Sturm im Mumintal, 1954, ab 8 Jahren
Zeitloser Klassiker
Meine Großeltern hatten „Nunnu“ zu Hause. Dass es in Deutschland erst 2008 erschienen ist, macht nichts, denn das Buch ist ein zeitloser Klassiker, dem man seine 50 Jahre nicht ansieht. Es geht um Nunnu, die den Leuten Schlaf und Träume bringt, Hoppu, der sie aufweckt und Möksö, der gerne meckert. Doch an diesem Tag verschläft Nunnu ihren Einsatz – und hat auch noch ihren Traumwedel verloren. Das Abenteuer beginnt. Als Kind hat mir nicht nur die Geschichte gut gefallen, sondern vor allem die Bilder, die mit einer Art Scherenschnitt erstellt sind. Heute weiß ich, wie künstlerisch „Nunnu“ ist. Oili Tanninen: Nunnu, 1965 (Deutschland 2008), ab 2 Jahren
Die Guten-Morgen-Maschine
Die Tatu&Patu-Bücher zeigen, wie innovativ die finnischen Illustratoren sind. Tatu und Patu sind zwei außerirdische Jungen, die viele alltägliche Dinge nicht verstehen und deswegen lustige Sachen machen. Im Band „Die verrückten Maschinen“ entwickeln die beiden Geräte, die den Menschen helfen sollen, zum Beispiel die „Guten-Morgen-Maschine“: Man betritt sie müde im Schlafanzug und verlässt sie wach und angezogen. In dem großen Bilderbuch ist je eine Doppelseite einer Maschine gewidmet. Da kann man viele Details entdecken – wie den Zahnputz-Roboter. Aino Havukainen und Sami Toivonen: Tatu & Patu und ihre verrückten Maschinen, 2005 (Deutschland 2010), ab 4 Jahren
Witzige Missverständnisse
Die Ella-Bücher von Timo Parvela sind literaturwissenschaftlich gesehen keine Klassiker, aber in Finnland der totale Kult. Ella ist Grundschülerin und erlebt in der Schule, auf Klassenfahrt oder in den Ferien lustige Sachen. Die Bücher sind voller witziger Missverständnisse: So glaubt Ella, dass ihr Lehrer erpresst wird – obwohl er eigentlich nur im Hochzeitsstress ist. Parvela war selbst Grundschullehrer und weiß, was Kindern gut gefällt. Meine finnischen Freudinnen mit Kind behaupten, dass die Ella-Hörspiele schon so manche Autofahrt gerettet haben. Timo Parvela: Ella-Serie, seit 2007 auf Deutsch, ab 8 Jahren
Der Klimawandel ist da
Den internationalen Trend zu dystopischen Jugendromanen gibt es auch in Finnland. „Der Geschmack von Wasser“ hebt sich jedoch von der Masse ab: Die jugendliche Noria lebt in einer düsteren Zukunftswelt, in der die Klimakatastrophe Realität geworden ist. Die Polkappen sind abgeschmolzen und die Süßwasservorräte knapp. Weil Norias Familie traditionelle Teemeister sind und eine geheime Süßwasserquelle besitzen, geraten sie ins Visier des Militärs. Der Roman ist wahnsinnig poetisch, unglaublich spannend und stimmt nachdenklich. Ich bin mir sicher, dass er auf den Leselisten für die Gymnasiasten landen wird. Emmi Itäranta: Der Geschmack von Wasser, 2012 (2014 Deutschland), ab 14 Jahren