Kölner PhilharmonieStargeigerin Hilary Hahn verbreitet pure Poesie

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National Symphony Orchestra (Washington D.C.)-Gianandrea Noseda - Hilary Hahn

Hilary Hahn mit dem National Symphony Orchestra aus Washington, D.C.

Auf Gastspielreise mit dem Washingtoner National Symphony Orchestra spielte Hilary Hahn Werke des 20. Jahrhunderts.

Das National Symphony Orchestra, in Washington D.C. beheimatet, ist zwar kultureller Repräsentant der USA, zählt aber keineswegs zu ihren herausragenden Klangkörpern. Was nun nicht bedeutet, dass es ihm an Spielstärke, Brillanz oder klanglichem Finish fehle - das ist ja bei US-amerikanischen Orchestern bis in die „Provinz“ hinein selbstverständlich. Als Musikdirektor fungiert seit 2017 der Italiener Gianandrea Noseda, der derzeit mit dem Orchester durch Europa tourt.

Besonderen Glamour erhält die Gastspielreise durch die amerikanische Stargeigerin Hilary Hahn, deren Mitwirkung die Kölner Philharmonie beim Meisterkonzert indes auch nicht mehr als ordentlich füllen konnte - was zweifellos am Repertoire lag, das ausschließlich Werke des 20. Jahrhunderts umfasste.

Mit dem 1945 entstandenen Violinkonzert von Erich Wolfgang Korngold hatte Hilary Hahn einen der letzten Vertreter des romantischen Virtuosenkonzerts im Gepäck. Korngold, der als österreichischer Emigrant in Hollywood zu hohem Ansehen kam, hat darin Themen seiner erfolgreichen Filmpartituren wiederverwendet. Hier wie dort entsteht aus der Verbindung von Alt-Wiener Nostalgie und den gleißenden Klangfassaden der Neuen Welt ein Sound, der diesem weithin unterschätzten Komponisten ganz alleine gehört.

Über Korngolds Capricen reitet Hilary Hahn so leichtfüßig hinweg wie Errol Flynn über die Leinwand

Für Hilary Hahn ist es das ideale Stück: Ihr klar projizierter, leicht unterkühlter, eher schmal vibrierender Ton verwandelte die etwas sentimentale Stimmung des Mittelsatzes in pure Poesie; über die virtuosen Capricen des rustikalen Finales ritt sie so leichtfüßig hinweg wie Errol Flynn über die Technicolor-Leinwand. Bevor sich Hilary Hahn mit der äußerst fein gezeichneten Loure aus Bachs dritter Violinpartita verabschiedete, stellte sie noch eine in fast ungetrübtem G-Dur gehaltene Miniatur von Carlos Simon vor. Der 1986 geborene Amerikaner ist derzeit Composer-in-Residence des National Symphony Orchestra, das sich gleichfalls mit einer Zugabe aus seiner Feder verabschiedete: einer mit hoher Raffinesse und subtilen Blues-Schleifen gearbeiteten Meditation über „Amazing Grace“.

Das Korngold-Konzert füllte auf sinnige Weise die stilistische Lücke zwischen den beiden anderen Programmpunkten des Abends aus. Mit drei Sätzen aus Alban Bergs „Lyrischer Suite“ teilte es das noch von Mahler herkommende ‚Wiener Espressivo‘, mit der fünften Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch die Idee einer effektvollen, die Romantik bruchlos fortschreibenden klassischen Moderne.

Hinter den ausgesprochen klangschön musizierten Berg-Sätzen hätte man kaum die Avantgarde von einst vermutet: Weich und üppig floss der erste dahin, irrlichternd und spinnwebfein der Zweite. Weit ausschwingende Bass-Pizzicati setzten Bergs komplexes Oberstimmengeflecht geradezu auf einen eleganten Tanzfuß. Auch bei Schostakowitsch ließ der Maestro weniger gepanzerte Härte als Kantabilität und dichtes Legato hören - als Italiener gereicht ihm diese Haltung ja durchaus zur Ehre.

Dass die berühmte, immer wieder kontrovers gedeutete Final-Coda als ein Jubel zu verstehen sei, der in sein Gegenteil umschlage, also von der offenen Affirmation in die geheime Systemkritik, das war diesmal so wenig zu erkennen wie sonst: Das Orchester endete in ungetrübter solenner Pracht und das Publikum sprang begeistert von den Sitzen.

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