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lit.CologneWarum Ocean Vuong die USA für ein Gefängnis hält

3 min

US-Autor Ocean Vuong auf der lit.Cologne Spezial

Der vietnamesisch-amerikanische Bestseller-Autor Ocean Vuong eröffnete im WDR-Funkhaus die Herbstausgabe der lit.Cologne.

Im WDR-Funkhaus machte sich der vietnamesisch-amerikanische Autor Ocean Vuong zur Eröffnung der herbstlichen lit.Cologne Spezial Gedanken um die Macht der Äußerlichkeiten: „Warum blicken Supermodels stets am Betrachter vorbei?“, fragte Vuong und wusste schon die Antwort: „Es ist ein Blick der Macht. Sie haben schon alles gesehen. Sie sind nicht mehr der Verführung ausgeliefert.“ Das sei natürlich nur eine weitere Illusion, nämlich die, dass man sich mit dem Erwerb eines 700-Dollar-Kleidungsstücks aus der Missbrauchsbeziehung zwischen Mensch und Warenwirtschaft loskaufen könne.

In seinem zweiten Roman „Der Kaiser der Freude“ schreibt Vuong über die Armut, über Sackgassen-Jobs und die Opioid-Epidemie, die in den Obama-Jahren über die deindustrialisierten Landstriche der USA hereinbrach. An der, erzählte Vuong seinem Gesprächspartner, dem deutschen Autor Senthuran Varatharajah („Rot“), seien auch viele seiner Freunde gestorben. Varatharajah bemerkte, er habe beim Lesen des Romans an den Tracy-Chapman-Song „Fast Car“ denken müssen. Das könne er verstehen, antwortete Vuong, aber man müsse beachten, dass den beiden Charakteren im Song selbst klar ist, dass ein schnelles Auto nicht ausreicht, um ihren prekären Verhältnissen zu entkommen: „Es geht nicht um Flucht, sondern darum, wie man überlebt, wenn man weiß, dass man nicht entkommt.“

Amerikaner zu sein, das bedeutet in einem freien Land gefangen zu sein. Hier kannst du wählen, wen du willst, die Armen werden immer arm bleiben.
Ocean Vuong

In seinem Roman gehe es genau darum: um Traurigkeit als eine Form des Wissens. „Amerikaner zu sein, das bedeutet in einem freien Land gefangen zu sein. Hier kannst du wählen, wen du willst, die Armen werden immer arm bleiben.“

Der Schauspieler Fabian Busch las die deutschen Passagen des Romans, die Szene, in der sich der queere, pillensüchtige Protagonist von einer Brücke stürzen will – und stattdessen eine alte, demenzkranke Frau kennenlernt, die im Laufe der Handlung zu einer Ersatzmutter wird. Und eine grimmig-komische Szene in der Küche eines Billig-Diners, eine Unterhaltung zwischen Restaurantarbeitern, die die Mechanismen, in denen sie festsitzen, genau verstehen.

„Ich wollte keine Katharsis. Ich wollte nicht, dass es sich Mittelschichtsleser auf dem Rücken von armen Protagonisten bequem machen können“, sagte Vuong und setze daraufhin zu einem gedanklichen Höhenflug an, der von Heidegger zum Trickfilmer Hayao Miyazaki, vom großen Erzähler Henry James zu Febreze-Raumspray führte. Und schließlich zu den abgeklärten Blicken der Supermodels, zu Amerikas Beitrag zur Weltkultur: der Erniedrigung. „Wenn du hier arm bist, ist das deine Schuld. Allein reich zu sein befreit dich von diesem moralischen Mangel, dieser Scham.“

Auch das Flüchtlingskind Vuong sei nur aus Scham heraus Autor geworden. Nach dem Abbruch der New Yorker Business-Schule traute er sich nicht, mit leeren Händen nach Hause zurückzukehren, er schlief in der Penn Station und las Trinkern in Bars seine Gedichte vor. Schließlich konnte er seiner des Lesens unkundigen, schon todkranken Mutter sein Uni-Zeugnis in Literatur des 19. Jahrhunderts zeigen – und erzählte ihr, es wäre ein Abschluss in BWL.

„Jenseits der Scham“, sprach Ocean Vuong im Funkhaus, „findet man eine leere Seite des Lernens.“