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Neuer WDR Chorleiter Philipp Ahmann„Neue Musik gehört zur DNA der Rundfunkchöre“

5 min
Musikhochschule: Interview mit Philipp Ahmann, dem neuen Leiter des WDR Rundfunkchores.

Philipp Ahmann ist seit dieser Saison Chefdirigent des WDR Rundfunkchores und seit dem vergangenen Sommersemester Professor für Chorleitung an der Kölner Musikhochschule.

Der neue Chefdirigent des WDR Rundfunkchores, Philipp Ahmann, seinen Weg von Laien- zu professionellen Chören, Schwerpunkte seiner Arbeit und seine Kölner Professur.

Herr Ahmann, jetzt sind Sie also nach einer 17 Jahre währenden biografischen Kreisbewegung mit beruflichen Stationen beim NDR Chor in Hamburg und beim Leipziger Rundfunkchor, wieder in Köln gelandet – wo vor zwei Jahrzehnten Ihre Chordirigentenkarriere begann. Was ist das für ein Gefühl?

Philipp Ahmann: Ich freue mich wirklich sehr. Vor allem darüber, dass ich die neue Stelle als Chefdirigent des WDR Chores mit der Chorleitungsprofessur an der hiesigen Musikhochschule verbinden kann – seit einem Semester. Das kam ziemlich unverhofft.

Ja, wie kam's denn?

Die Stelle war ausgeschrieben und dieses Mal hat es mit der Berufung geklappt, im zweiten Anlauf. Beim ersten Mal hatte ich mich, vor Jahren, um die Nachfolge meines Lehrers Marcus Creed beworben, erfolglos. Schon seit damals ist die Professur eine halbe Stelle – was für mich aber ganz gut ist, denn dann habe ich mehr Zeit, selber was zu machen. Es hat sich alles sehr glücklich gefügt.

Die Professur ist ja eine Lebensstellung, da sind Sie jetzt, mit 50, endlich im Hafen finanzieller Sicherheit gelandet.

Ja, es fühlt sich sehr gut an. Monatliches Gehalt zu bekommen, ist für mich etwas völlig Neues. De facto bekommt man als Chefdirigent für eine bestimmte Zeit eine Art Honorarvertrag. Das, was man macht, kriegt man bezahlt - ich war bisher zum Glück kaum krank.

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In der Schulmusik hat der Bereich Schlagtechnik, Chor- und Ensembleleitung nachgelassen zugunsten von Popmusik.
Philipp Ahmann

Zunächst mal also die Chorleitung an der Hochschule: Wie ist da gegenwärtig die Situation?

Alles so weit in Ordnung, es gibt etliche gute junge Leute. Was mir allerdings aufgefallen ist: In der Schulmusik hat der Bereich Schlagtechnik, Chor- und Ensembleleitung nachgelassen zugunsten von Popmusik. Das finde ich auch wichtig, aber muss man das wirklich in so großem Umfang unterrichtet bekommen? Vor allem, wenn dafür die klassische Ausbildung zurückgeschraubt wird? Ohne die exzellente Grundausbildung im Rahmen meines Schulmusikstudiums hätte ich wahrscheinlich nie diese Berufsrichtung gefunden und ausgebaut. Außerdem kann man mit einer guten „klassischen“ Ausbildung auch ein Popstück mit einem Chor einstudieren, umgekehrt klappt das aber weniger. Die Kirchenmusik ist zurzeit besser bestückt. Da kommen auch Leute, die viel mehr mit Dirigieren und Chor zu tun haben.

Das erstaunt auf Anhieb, denn angesichts der progressiven Entkirchlichung trocknet dieses Metier ja tendenziell aus.

Es scheint im Augenblick noch nicht so dramatisch zu sein. Aber perspektivisch stimmt das: Wo sollen Studierende in diesem Bereich herkommen, wenn es immer weniger Berufsperspektiven gibt?

Ich bemühe mich, effektiv und effizient zu sein und an den Basisdingen zu feilen.
Philipp Ahmann

Sie selbst hatten seinerzeit, 2005, beruflich angefangen als Leiter der Kölner Kartäuserkantorei – die mit dem Ausscheiden Ihres Vorgängers Peter Neumann gleichfalls die institutionelle Bindung an die Kirche verlor – und des Bonner Kammerchores. Wie fällt Ihr Rückblick auf diese Zeit aus?

Beide Chöre waren ausgezeichnete Laienchöre, für mich eine gute Basis, um mich auf gehobenem Niveau auszuprobieren. Bald kamen Einladungen im Profibereich, zuerst beim SWR-Vokalensemble in Stuttgart. Die Arbeit sprach sich etwa unter den Managern der Rundfunkchöre herum. So kam ich dann ja auch nach Hamburg und habe davor vieles beim WDR einstudiert. Ich hatte keinen Druck und wäre auch als Lehrer für Musik und Deutsch in die Schule gegangen – damit hätte ich kein Problem gehabt, aber so gefällt es mir besser.

Sie sind also von den Chorlaien zu den -profis gewechselt, womit wir dann auch zum WDR Chor kommen. Das ist, obwohl das viele nicht wahrhaben wollen, schon ein großer Unterschied, oder?

Es ist wie im Sport: kann auch jeder machen, aber professioneller Sport hat natürlich ein ganz anderes Niveau. Die stimmlichen Möglichkeiten professioneller Sängerinnen und Sänger sind nicht vergleichbar mit denen von Laien. Dafür sind Laien natürlich anders motiviert, denn für sie ist Singen Freizeitbeschäftigung. Für einen Sängerprofi ist eine Chorprobe Arbeit. Im WDR Chor arbeiten im Moment alle sehr intensiv und gut mit. Ich bemühe mich, effektiv und effizient zu sein und an den Basisdingen zu feilen – die Arbeit am Klang, Intonation, Dynamik und Koordination – an den Dingen, die wirklich wichtig sind – und wenn man merkt, dass sich etwas verändert und verbessert, tut das gut und ist für alle befriedigend.

Hat sich eigentlich die Klangästhetik der Rundfunkchöre mit den Jahren verändert?

Für den WDR Chor kann ich das auf jeden Fall sagen. Früher hatte der Chor größere, solistisch disponierte Stimmen und es war schwieriger, daraus einen homogenen Klang zu formen. Ich glaube, dass, wenn man Mozart gut singen kann, das eine Top-Voraussetzung für einen Rundfunkchor ist – man kann expandieren zur Romantik und Moderne hin, aber auch die stilistische zurückgehen Richtung Barock und Renaissance.

Für mich ist die Einstudierung das A und O der Arbeit eines Chorleiters.
Philipp Ahmann

Die Chorleiterfluktuation beim WDR Chor war in den vergangenen Jahrzehnten relativ stark. Warum eigentlich?

Das kann ich nicht beurteilen. Für mich ist die Einstudierung das A und O der Arbeit eines Chorleiters – wenn der Chor gut präpariert ist, kann man irgendwen vorne hinstellen, es funktioniert trotzdem noch ganz gut. Ich habe neben Einstudierungen immer wieder mit dem WDR Konzerte gemacht, so haben wir uns nicht aus den Augen verloren. Aber erst jetzt passte es endlich mal – hier wie dort.

Sie haben gerade in Paderborner Dom mit dem WDR Chor das letzte Chorwerk von Orlando di Lasso aufgeführt. Das ist ein Repertoire, für das Rundfunkchöre von Haus aus weniger stehen.

Die Neue Musik gehört zur DNA der Rundfunkchöre. Aber mittlerweile zeigen viele Mitglieder eine bemerkenswerte Vertrautheit auch mit der Alten Musik und ihrer Stilistik. Dieser Lassus ist für uns alle neu, eine gute Übung im A Capella-Singen, der Chor profitiert davon auf jeden Fall. Wir singen das in Köln übrigens im März. Wir haben ja für diese Saison ein Abo mit vier Konzerten aufgelegt – mit sehr diversen Programmen, die den Chor in der ganzen Breite seiner Möglichkeiten präsentieren sollen. So haben wir etwa ein „Lux aeterna“-Programm quer durch die Jahrhunderte und, im Januar, die Uraufführung der „Sirenen“ von Michael Langemann und als Abschluss im Mai ein Programm mit Schlüsselwerken von David Lang und Morton Feldman.

Gibt es etwas, womit Sie einen besonderen Akzent in Köln setzen wollen?

Ich habe in Hamburg und Leipzig viel Alte Musik mit Barockorchestern gemacht, viel Händel. Händel mit dem WDR Rundfunkchor – das passt, glaube ich, sehr gut. Ich hoffe, dass sich hierfür Möglichkeiten eröffnen.


Philipp Ahmann, geboren 1974, studierte in Köln Germanistik und Schulmusik sowie Dirigieren bei Marcus Creed. Als Chefdirigent war er von 2008 bis 2018 beim NDR Vokalensemble in Hamburg und von 2020 bis 2025 beim MDR Rundfunkchor in Leipzig tätig. Seit dieser Saison ist er, für zunächst drei Jahre, Chefdirigent des WDR Rundfunkchores in Köln. Außerdem ist er seit dem vergangenen Sommersemester Professor für Chorleitung an der Kölner Musikhochschule.

Seinen Einstand mit dem WDR Rundfunkchor gibt Philipp Ahmann am Freitag, 10. Oktober, 13 Uhr im WDR 3-Lunchkonzert im Funkhaus am Wallrafplatz. Christoph Schnackertz begleitet am Flügel, Nicolas Tribes moderiert. Zur Aufführung gelangen Chorwerke von Brahms, Fanny Hensel, Rheinberger, Shaw und Coleridge-Taylor. (MaS)

www.wdr-rundfunkchor.de