Marion Euskirchen und Klaus Frank passen den Boden in ein Keramikgefäß ein.
Copyright: Peter Rakoczy
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Kölns Römisch-Germanisches Museum restauriert verlorengeglaubte Objekte
Der Angriff beginnt um 1.10 Uhr. Als eine Stunde und 35 Minuten später die letzten Langstreckenbomber der britischen Royal Airforce Richtung Westen abdrehen, liegt Köln in Trümmer. 4377 Menschen verlieren beim Peter-und-Paul-Angriff in der Nacht zum 29. Juni 1943 ihr Leben, mehr als 6000 Wohngebäude werden zerstört, Kirchen, Schulen und Krankenhäuser in Schutt und Asche gelegt. Und auch der mittelalterliche Bayenturm in der Südstadt, wo seit 1907 das „Museum für Vor- und Frühgeschichte der Stadt Köln“ untergebracht ist, geht unter der Wucht der Phosphorbomben in Flammen auf. Hunderte Exponate aus vielen tausend Jahren Menschheitsgeschichte werden unter den rauchenden Trümmern begraben.
„Eine Katastrophe“, sagt Marion Euskirchen vom Römisch-Germanischen Museum (RGM), als wir in der prähistorischen Studiensammlung des Museums stehen. Der Raum ist vollgestellt mit Regalen. Darauf – dicht an dicht – beschriftete Pappkästen mit Keramikscherben, -schalen und -gefäßen, manche nur Stückwerk, andere sorgsam zusammengefügt zu einem imponierenden Ganzen. Viele tragen tiefschwarze Brand- und zarte, puderzucker-weiße Phosphorspuren, die Keramik ist stellenweise zusammengeschmolzen wie Metall. Hier, im Untergeschoss des Verwaltungsgebäudes des RGM, feiern die verlorengeglaubten Schätze aus dem Bayenturm ihre Wiederauferstehung.
Seit sieben Jahren leitet Marion Euskirchen ein Projekt, das seinesgleichen sucht in der Bundesrepublik: das Projekt Bombenschutt. In Zusammenarbeit mit Klaus Frank vom LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland versuchen sie und Restauratorin Monika Göhlich zu retten, was vor 75 Jahren unwiderruflich zerstört schien. Einige bereits restaurierte Stücke aus der Jungsteinzeit, die 1934 bei Ausgrabungen einer Bandkeramiker-Siedlung im heutigen Köln-Lindenthal gefunden wurden, sind derzeit in der Ausstellung „Bodenschätze. Archäologie in Köln“ zu sehen.
Kartons mit Fundstücken, die noch einzelnen Objekten zugeordnet werden müssen.
Copyright: Peter Rakoczy
260 Kartons füllt der Bombenschutt aus der Südstadt, den Mitarbeiter des Museums für Ur- und Frühgeschichte nach dem verheerenden Peter-und-Paul-Angriff mit bloßen Händen einsammeln. Das meiste sind unidentifizierte Keramikscherben. Der Rest besteht aus einigen wenigen Funden aus Stein, Eisen oder Bronze. Das Museum im Bayenturm, bis unter das Dach vollgestopft mit römischen und mit vorzeitlichen Exponaten aus der ganzen Welt, gilt als eines der größten prähistorischen Sammlungen in Deutschland. Besonders wertvoll: die Dauerausstellung zur Stein-, Bronze- und Eisenzeit in den drei Turmgeschossen.
Obwohl die Luftangriffe auf Köln in den vergangenen Monaten zugenommen haben, zögern Museumsleitung und Stadtverwaltung, die wertvollen Exponate auszulagern. Offensichtlich glaubt niemand, der trutzige Bayenturm mit seinen meterdicken Mauern könne Opfer eines Bombenangriffs werden. Ein folgenschwerer Irrtum. Immerhin: Ein Teil der weniger spektakulären Fundstücke ist bereits verpackt und nach Süddeutschland geschickt worden. 14 Kisten mit erlesenen Stücken indes warten im Keller des Museums noch auf ihren Abtransport. Dazu soll es nicht mehr kommen. Auch sie werden in jener Nacht ein Opfer der Flammen. Das wenige, das gerettet werden kann, geht in den Wirren das Nachkriegszeit endgültig verloren.
Auch Fotos, Manuskripte und Ausgrabungsdokumentationen werden bei dem Angriff ein Opfer der Flammen. „Von 1940 an sind die Informationen komplett weg“, sagt Marion Euskirchen. Lediglich zwei alte Inventarbücher – 1909 begonnen und heute eine wichtige Hilfe bei der Identifizierung – überleben im Tresor des Hauses das Inferno. Die Kisten mit dem Bombenschutt werden zunächst in den Dombunker geschafft – genau dahin, wo sich heute das 1974 eröffnete RGM befindet.
Original-Mantelschließe aus der älteren Bronzezeit und Replik
Copyright: Peter Rakoczy
Mitte der 1960er Jahre wird das gerettete Material ein erstes Mal gesichtet, rund 100 Objekte können restauriert werden. Einige davon wandern anschließend in die Lehrsammlung des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Uni Köln, andere in die Dauerausstellung des RGM, wo sie seitdem ein eher unbeachtetes Dasein fristen.
Wann genau die Kartons in der prähistorische Studiensammlung des RGM landen, kann heute niemand mehr sagen. „Keiner wusste so recht, was drin war“, erinnert sich Marion Euskirchen an die angestaubten Kisten, die jahrelang verloren in einer Ecke stehen. „Irgendwelche Scherben halt.“
Inzwischen habe man die Verluste von damals 50 auf etwa zehn Prozent reduzieren können. „Wir geben der Stadt auf diese Weise einen Teil ihrer Geschichte zurück.“ Leicht ist das nicht: Die Arbeit von von Marion Euskirchen und Klaus Frank erfordert nahezu detektivisches Geschick. Die Fundstücke in den 260 Kartons, in Eile aus dem Schutt zusammengerafft, sind gänzlich unsortiert. Scherben sind in unterschiedlichen Kartons gelandet, Inventarnummern fehlen. In manchen Kisten finden sich mehr als 100 Bruchstücke aus unterschiedlichen Epochen. Es ist, als versuche man, ohne Anleitung ein gigantisches Puzzle zusammenzufügen.
Fotos und Beschreibungen der Objekte aus Nachlässen, alten Katalogen und Dissertationen helfen bei der Identifizierung der Scherben. Weitere Informationen finden sich im LVR-Amt für Bodendenkmalpflege und anderen Archiven. „Wir haben jedes Museum in der Umgebung abgeklappert, um weitere Hinweise zu finden“, sagt Marion Euskirchen. Erst kürzlich ist das Team in Bergisch Gladbach fündig geworden. Das dortige Museum hatte beim Aufräumen im Heizungskeller alte Grabungsunterlagen gefunden, die Anfang der 1940er Jahre an die Napola, die Nationalpolitische Erziehungsanstalt in Bensberg, ausgeliehen worden waren.
Inzwischen sind 250 Gefäße identifiziert. Rund 40 komplett restauriert. Ein kleines Wunder, das findet auch RGM-Direktor Marcus Trier. „Das Bombenschutt-Projekt lässt diesen gigantischen Fundstoff wie Phönix aus der Asche wiederauferstehen.“
Das Projekt
Das Bombenschuttprojekt startete im Jahr 2011 und wird gefördert vom NRW-Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung. Ziel ist, die im Krieg zerstörten Exponate des ehemaligen „Museums für Vor- und Frühgeschichten“ wiederherzustellen. Einige bereits restaurierte Objekte sind bis zum 31. Dezember 2018 in der Ausstellung „Bodenschätze“ im RGM zu sehen. (P.P.)