Interview mit Yilmaz Dziewior„Die Kunststadt Köln ist viel besser, als sie glaubt“

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Yilmaz Dziewior

  • So lange wie er wird niemand das Kölner Museum Ludwig jemals geleitet haben: Direktor Yilmaz Dziewior hat seinen Vertrag mit der Stadt bis 2032 verlängert – bis zu seinem Rentenalter.
  • Im Interview spricht er über seine Zukunftspläne für die Sammlung des Hauses, neue Schenkungen und Köln als Kunststadt im Vergleich zum reichen Hamburg oder hippen Berlin.
  • Außerdem erzählt er von den Auswirkungen der Corona-Krise auf die Kunst und die Museen.

Köln – Herr Dziewior, herzlichen Glückwunsch zur Vertragsverlängerung. Haben Sie damit gerechnet, dass es gleich zehn Jahre werden?

Ich gehe davon aus, dass sich die Stadt das gut überlegt hat. Hätte ich noch einmal einen Sieben-Jahres-Vertrag erhalten, wäre der drei Jahre vor meiner Pensionierung ausgelaufen. Beide Seiten fanden, dass das wenig sinnvoll ist. Sie haben das ja sehr schön als Rentenvertrag umschrieben. Im Vorfeld habe ich von Frau Oberbürgermeisterin Reker, Kulturdezernentin Laugwitz-Aulbach und den kulturpolitischen Sprecherinnen und Sprechern der Parteien nur positive Signale bekommen. Aber es ist ja noch nicht vom Stadtrat beschlossen. Ich glaube so etwas immer erst, wenn ich es Schwarz auf weiß habe.

Für Sie fühlt sich das auch richtig an?

Ich durfte bisher drei sehr unterschiedliche Institutionen leiten: den Hamburger Kunstverein, das Kunsthaus Bregenz und nun das Museum Ludwig. Der Kunstverein ist sehr klein und flexibel, man plant nicht so weit im Voraus. Bregenz ist eine Kunsthalle, da wird schon etwas langfristiger geplant, weil man Rosemarie Trockel, Jeff Wall oder Richard Prince nicht einfach anrufen kann: Sag mal, hast Du Lust auf eine Ausstellung? Jetzt im Museum Ludwig sehe ich, wie viel Zeit die Arbeit hier braucht, weil ein Haus mit einer Sammlung ganz anders funktioniert.

Und dafür sind Sie jetzt im richtigen Alter?

Die Sammlung liegt mir sehr am Herzen. Für mich und das ganze Museumsteam ist es ein wichtiges Ziel, die großartige Sammlung vielfältiger zu machen und auf diese Weise widerspiegeln zu lassen, wie die Kunstwelt im 20. Jahrhundert wirklich war. Dafür braucht man eine lange Perspektive. Wir sprechen auch häufig darüber, wie wir unser Team diverser machen können. Wir sind hier sehr homogen, da bin ich als Arbeiterkind mit polnisch-türkischen Bezügen schon der Exot. Das sind Prozesse, da hören sich zehn Jahre gar nicht mehr so viel an.

Wie weit sind Sie bei der Ergänzung der Sammlung gekommen?

Man kann gar nicht genug betonen, wie divers schon Peter Ludwig gesammelt hat, zumal für die 80er und 90er Jahre. Er hat beispielsweise Arbeiten sehr prominenter chinesischer Künstler wie Yan Pei-Ming erworben, die Idee der Vielfalt liegt schon in der DNA dieser Sammlung begründet. Trotzdem ist natürlich noch viel Luft nach oben, auch weil Positionen, von denen wir glauben, die müssen in die Sammlung, mittlerweile sehr teuer sind. Arbeiten von El Anatsui oder David Hammons kosten Millionen. Wir arbeiten deswegen hart daran, Schenkungen zu erhalten.

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Da können Sie schon einiges vorweisen.

Ja, wir sind ein gutes Stück gegangen. Aber uns fehlen vor allem Arbeiten afroamerikanischer und afrikanischer Künstler. Wobei wir zuletzt auch etwas von Avery Singer und Wade Guyton erworben haben. Wenn wir auf das eine schauen, heißt das nicht, dass wir das andere aus dem Blick verlieren. Unsere Stärke liegt in der US-Kunst und die wollen wir neben der globalen Kunst auch weiter ausbauen.

Wie hat sich Corona auf ihre Arbeit ausgewirkt?

Wir haben den Lockdown genutzt, um ein Hygienekonzept zu entwickeln, wobei die besondere Herausforderung dabei eher hinter den Kulissen lag. Beispielsweise kommen und gehen unsere Aufsichten alle zum selben Zeitpunkt und begegnen sich in einem Aufenthaltsraum, der zu normalen Zeiten vollkommen ausreichend ist; jetzt aber eben nicht mehr.

Kommt das Publikum zurück?

Wir merken natürlich: Es dauert noch etwas, bis es wieder richtig losgeht. Anfangs gab es nach der Wiedereröffnung eine große Unsicherheit, zudem hatten wir keine Wechselausstellungen, die immer ein größeres Publikum anziehen. Für uns war das letztlich sogar gut. Hätten wir im Frühjahr bereits die Andy-Warhol-Ausstellung hier gehabt, hätten wir jetzt ein Problem. Mittlerweile steigen die Besucherzahlen stetig an, auch wegen der Ausstellung „Mapping the Collection“, die sehr viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Zwei wichtige Besuchergruppen fehlen uns allerdings weiterhin: Schulklassen und Touristen.

Wird die Warhol-Ausstellung wie geplant stattfinden?

Sie wird stattfinden. Wegen des Eröffnungstermins sind wir mit der Tate London, unserem Partnermuseum für die Ausstellung, derzeit im Gespräch.

Was haben Sie sich kuratorisch für die nächsten Jahre vorgenommen?

Für mein Team und mich ist die Sammlung zentral. Sie ist immer unser Ausgangspunkt. Wenn ich Joan Mitchell gezeigt habe, dann auch, weil sie die große amerikanische Malerin ist, die uns in der Sammlung fehlt. Unsere Wechselausstellungen stehen immer in Beziehung zu unserer Sammlung – indem sie Lücken kompensieren oder Stärken betonen, wie jetzt bei Andy Warhol. Wir besitzen schließlich eine der größten Pop-Art-Sammlungen weltweit. Gleichzeitig wäre es ignorant zu sagen: Ich weiß schon alles über Warhol. Wir versuchen deswegen stets, aus unserer Stärke etwas Neues zu schaffen, eine bekannte Geschichte neu zu erzählen. Gerade Warhol ist für uns heute total aktuell, wenn es etwa um Diskurse zu Homosexualität und Queerness geht. Oder wenn Sie sich seinen virtuosen Umgang mit den sozialen Medien seiner Zeit ansehen.

Wo steht das Haus beim Thema Digitalisierung?

Das ist ein großes Desiderat, obwohl wir deutschlandweit gesehen gar nicht so schlecht dastehen. In der Coronazeit haben wir einen großen Schritt gemacht, aber das ist alles noch ausbaufähig.

Hat sich die Aufgabe eines Museums in der digitalen Welt geändert?

Wir merken, dass die Nachfrage, aber auch die Konkurrenz in der digitalen Welt sehr groß ist. Gerade die Museen in den USA haben auf diesem Feld ganz andere Möglichkeiten. In Deutschland könnte man mehr Förderungen auflegen, sei es durch die Stadt Köln oder durch die Kulturstiftungen von Bund und Ländern. Wir sind jedenfalls motiviert, uns im Digitalen zu entwickeln. Wobei das alles nur Hilfskonstruktionen sind.

Inwiefern?

Wenn ich für Facebook- oder Instagramposts mit meinem Handy durch die Sammlung laufe und mich dabei filme, hat das natürlich auch etwas Unbeholfenes, ja Albernes. Dafür habe ich nicht Kunstgeschichte studiert. Andererseits war das während des Lockdowns schon eine Hilfe, um den direkten Kontakt aufrecht zu erhalten. Weil man die Leute, die man treffen wollte, eben nicht mehr bei einer Eröffnung oder einem Vortrag traf.

Wie wichtig ist dieser direkte Kontakt mit dem Publikum?

Ich empfehle Ihnen, an einem langen Donnerstag in unser zu Haus zu kommen. Da herrscht eine tolle Stimmung, viele junge Leute sind da, es gibt viele Veranstaltungen. Letztlich ist ein Museum eine Institution, in der Leute zusammenkommen, in der wir Impulse mit Führungen, einem Panel oder einem DJ geben und dann viel, auch viel Unvorhergesehenes geschieht. Das ist eine unserer Stärken und dieser enge soziale Kontakt liegt derzeit wegen der Coronakrise mehr oder weniger brach.

Man merkt erst, was man daran hatte, wenn es einem fehlt.

Ja, und vor allem sehen wir, dass die Kunst etwas Analoges ist. Ein Bild von Yves Klein können Sie Hundert Mal abfilmen und online stellen, dieses Blau ist etwas anderes, wenn sie davorstehen und das Licht das Werk pulsieren lässt. Das ist alles Klischee, aber es stimmt einfach auch.

Blicken wir mal zurück. Gib es etwas, das nach fünf Jahren als Direktor des Museum Ludwig immer noch nicht so funktioniert, wie Sie es sich vorgestellt haben?

Ja, vieles. Nehmen Sie das Beispiel unserer Sammlung Online. Da standen vor fünf Jahren noch sehr viele Platzhalter anstelle der Abbildungen, graue Kästchen. Mittlerweile wurde vieles ergänzt, aber es fehlt auch noch einiges. Ein anderes Thema, bei dem ich mich verschätzt habe, ist die Kontextualisierung unserer Schausammlung. Das funktionierte sehr gut mit unserem Bild von Otto Mueller und auch mit der Gegenwartskunst, deren Präsentation wir alle zwei Jahre ändern. Aber bei der Pop Art, dem Minimalismus oder der Klassischen Moderne hätte ich mir eine schnellere Umsetzung gewünscht. Unser Team ist ohnehin schon extrem beschäftigt und das kommt immer noch oben drauf.

Und was hat überraschend gut funktioniert?

Es ist uns gelungen, einen amerikanischen Freundeskreis für das Museum zu etablieren. Das haben meine Vorgänger auch schon versucht, aber entweder hatte ich mehr Glück und Ausdauer oder die Zeit war einfach reif. Diese International Society hat mittlerweile über 20 Mitglieder. Sehr wichtig war auch die Fertigstellung des Bestandskatalogs, für den wir alle dort publizierten Stücke der Sammlung in die Hand genommen haben. Und, wie gesagt, die Erweiterung der Sammlung durch Schenkungen und Ankäufe. Das sind Grundsteine, darauf gilt es jetzt aufzubauen.

Was erhoffen Sie sich vom amerikanischen Freundeskreis?

Am liebsten Schenkungen. Wir haben jetzt aus dem amerikanischen Freundeskreis zwei wunderschöne Werke von David Hammons als Leihgaben in der „Mapping the Collection“-Ausstellung. Eigentlich war geplant, dass die Leihgeberin nach Köln kommt und sieht, wie toll die Werke in die Sammlung passen. Wegen Corona wird da leider nichts draus.

Welchen Eindruck haben Sie von Köln gewonnen?

Ich war vorher in Hamburg und Bregenz, beides sehr wohlhabende Orte. Aber dort war es sehr mühsam, für die Kunst zu werben und Geld zu akquirieren. In Köln ist das zwar auch nicht einfach, aber es gibt in der Stadtgesellschaft ein ganz anderes Verständnis für die Kunst. Wenn Sie sich anschauen, was etwa die Gesellschaft für moderne Kunst alles für uns möglich macht, das ist enorm. Und auch die Freunde des Wallraf-Richartz-Museum und Museum Ludwig engagieren sich zunehmend mehr. Es gibt für uns einen großen Resonanzkörper in der Stadt.

Das bürgerschaftliche Engagement funktioniert also?

Man muss natürlich wissen, wie man die Leute anspricht, und ihnen etwas Sinnvolles bieten. Und man darf auch nicht zu oft nachfragen. Zudem macht Corona die Sache auch hier nicht einfacher. Eigentlich sind wir gerade in einer Situation, wo es sehr gut läuft und wir auf sprudelnde Sponsorengelder hoffen könnten. Stattdessen muss man zurzeit froh sein, wenn die Sponsoren dabei bleiben, geschweige denn dass sie aufstocken würden. Das ist schon frustrierend.

Trotzdem: Die Kunststadt Köln lebt.

Oh ja, und sie ist viel besser, als sie selbst glaubt, zum Beispiel im Vergleich zu Berlin. Obwohl man den Kölner ja nachsagt, dass sie sehr selbstverliebt sein sollen.

Vergleichen Sie sich eher mit Berlin und Hamburg oder mit London und Paris?

Beides. Wir sind auch international viel unterwegs, gerade kooperieren wir mit der Tate London. Aber ich schaue auch genau hin, was etwa im Münchner Lenbachhaus passiert oder was Susanne Gaensheimer in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf macht. Vielleicht noch wichtiger ist für uns, was sich in Johannesburg oder Hongkong tut.

Sie haben die hohen Preise am Kunstmarkt angesprochen. Was glauben Sie, wie das weitergeht?

Ich habe leider auch keine Glaskugel. Aber wenn ich mit Experten aus dem Kunsthandel spreche, höre ich immer wieder, dass das Hochpreissegment durchaus noch ausbaufähig ist. Das mittlere und untere Preissegment wird es aber wohl eher schwerer haben. Ich sehe in der wirtschaftlichen Krise die Chance, darüber nachzudenken, welche Parameter neben dem Ökonomischen wichtig sind. Für uns bedeutet das etwa, mehr mit der eigenen Sammlung zu arbeiten. Das ist zudem ökologisch sinnvoll, weil es dann weniger Leihverkehr und Transporte gibt. Gleichzeitig müssen wir das Interesse des Publikums immer wieder neu wecken. Das sind Fragen, die uns im Team umtreiben.

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