Ressentiments und Zweierlei MaßWarum Annalena Baerbock so viel Hass erntet

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Baerbock Köln

Annalena Baerbock besuchte Rucksackhersteller Fond Of 

Köln – Nein, Annalena Baerbocks gerade erschienenes erstes Buch ist alles andere als ein Meisterstück. „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ ist ein hastig zusammengestückeltes Pamphlet aus grüner Programmatik und herzigen Anekdoten. Alles kommt dran, von der Schulpolitik über den Wohnungsmangel und die Flüchtlingspolitik bis – selbstredend – zur Klimakrise.

Ein Gemischtwarenladen an Gemeinplätzen, sichtbar angelegt auf breite Konsensfähigkeit jenseits einer harten grünen Kernklientel. In der Tat dürften da viele Leser achselzuckend „schön“ sagen – wenn es nicht mal gerade um die geforderte Wiedereinführung der Vermögenssteuer zur Finanzierung dringender Gemeinschaftsaufgaben geht.

So oder so ist das alles unaufgeregt, unpolemisch, werbend aufbereitet – und in höchstem Maße voraussehbar. Die Frage, wie viel originale Baerbock überhaupt im Text steckt, ist durchaus statthaft. Wahrscheinlich ist der Prozentsatz nicht allzu hoch, waren (zu) viele Federn am Werk. Das ist übrigens nichts Besonderes, man sollte Baerbock nicht vorwerfen, was man bei anderen ebenso unmaßgeblichen Politikerbüchern kritiklos hinnimmt. Wer es dennoch tut, misst mit zweierlei Maß.

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Mit zweierlei Maß wird in der Causa Baerbock sowieso gemessen – und hier liegt wirklich ein Problem. Die grüne Kanzlerkandidatin oder ihre Zuarbeiter haben woanders abgeschrieben? Klar, richtig toll ist das nicht. Indes verzichtet das Buch – das gehört zu seinem Format – generell auf Quellenbelege. Es ist keine wissenschaftliche Arbeit und erhebt auch nicht den Anspruch, eine zu sein. Montiert wurden ein paar leicht zugängliche Sachinfos aus anderen Publikationen, Baerbock schmückt sich nicht wirklich mit fremden Federn. Mit den Plagiatsaffären à la Guttenberg, Schavan oder Giffey hat das alles nichts zu tun – wer solches insinuiert, hat keine Ahnung oder ist böswillig.

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Nach der Aufregung um Baerbocks angeblich gefälschten Lebenslauf lässt sich freilich anhand des Buches die Erzählung „Fehlende Glaubwürdigkeit“ bequem fortschreiben – und die Angegriffene liefert dazu sogar selbst noch ungeschickterweise die Vorlage. CSU-Generalsekretär Markus Blume hat bereits genüsslich in die Kerbe gehauen, aber angesichts der vor allem seine Partei betreffenden, wenn auch von ihr notorisch heruntergespielten Maskenaffäre versucht sich da jemand als Ankläger an der falschen Stelle. Ein wohlfeil-durchschaubarer Entlastungsangriff.

Das ist allerdings noch gar nichts gegen den Shitstorm in den „sozialen“ Medien, den die Personalie Baerbock auslöst. Und all das scheint zu wirken: Seit Wochen befindet sich die grüne Kanzlerkandidatin in den Umfragen im Sinkflug, als Favoritin gestartet, droht sie bei der Bundestagswahl im September als Zählcharge zu landen.

Das aber ist das eigentlich erklärungsbedürftige Phänomen, die zentrale Frage jenseits der Diskussion über inkorrekte Lebensläufe und Abschreibereien: Womit eigentlich hat es Annalena Baerbock verdient, in dieser Weise den unverblümt-unversöhnlichen Hass ihrer Gegner auf sich zu ziehen?

Dass die frühere Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth – um nur einmal diesen Fall zu nennen – zum Feindbild par excellence taugen konnte: Es lässt sich erklären und begründen. Ditfurths aggressive Selbstgerechtigkeit und Unduldsamkeit, ihre Unfähigkeit, abweichende Meinungen auch nur anzuhören geschweige denn zu ertragen – sie musste sich nicht darüber wundern, dass viele rot sahen, wenn sie nur den Namen hörten.

Verzicht auf billige Polemik

Baerbock aber repräsentiert in eigentlich allem den entgegengesetzten Typ: Sie verzichtet – das zeigen ihre Bundestagsreden und Talkshow-Auftritte – auf billige Polemik und persönliche Attacken, argumentiert gut informiert zur Sache, hört auch geduldig Meinungen an und nimmt sie ernst, die ihr nicht in den Kram passen. Das einzige, was sie mit Ditfurth verbindet: Sie ist ebenfalls eine Frau.

Woher also – die Frage sei wiederholt – der Hass, dieses steile Bedürfnis, ausgerechnet diese Politikerin unter allen Umständen auf Null zu bringen, sie fertigzumachen? Die Antwort, die sich ein Stück weit im Mutmaßlichen bewegen muss, hat mehrere Aspekte zu integrieren. Zu beobachten ist eine Melange von Vorbehalten und Ressentiments, die gerade in ihrer diffusen Kombination kein gutes Licht auf die politische Kultur des Landes werfen.

Ein Aspekt ist im engeren Sinne politisch: Der anfängliche Umfragehype hat in den Strategiezentralen der konkurrierenden Parteien (zumal von Union und SPD) die Alarmglocken läuten lassen. Eine grüne Kanzlerkandidatur, die dazu auf Anhieb erfolgversprechend schien – das war und ist etwas, das in den Machtfahrplänen der Anderen nicht vorgesehen war: Ein frecher Eindringling droht die eingefahrenen Kreise zu stören. Gegenüber diesem Eindringling scheint Gegenwehr jeder Form erlaubt – auch das Foul im 16-Meter-Raum vor dem Tor (die Fußball-Metapher drängt sich in diesen Tagen naheliegend auf).

Mühsam unterdrückte Wut

Nur mühsam unterdrückte Wut mag sich hinzugesellen: Wut darüber, dass die Grünen mit dem Umweltthema publikumswirksam ein Feld besetzen, das die Anderen zu beackern jahrzehntelang schlicht und einfach verschlafen haben. Mit einigem Recht können die Grünen angesichts der Klimakatastrophe geltend machen: Wir haben es immer schon gesagt – und Recht behalten.

Das alles aber verbindet sich mit dem stets virulenten Machismo des Politbetriebs und wohl nicht unbeträchtlicher Teile der Bevölkerung, der es einfach nicht verknusen kann, dass eine vergleichsweise junge Frau selbstbewusst nach dem höchsten Amt im Staat greift. Kaum vorstellbar, dass Robert Habeck, wäre er Kanzlerkandidat geworden, solche beißhemmungsfreien Angriffe auf sich gezogen hätte. Die soll sich lieber um ihre heranwachsenden Töchter kümmern als die karrieregeile Rabenmutter zu geben – auch dieser stereotype, wenngleich in unterschiedlichen Tonlagen vorgebrachte Vorwurf war jüngst immer wieder zu hören. Und wer solche „Argumente“ selbst nicht glaubt – allemal kann er um das zustimmungsträchtige Diffamierungspotenzial wissen, das ihnen innewohnt.

Der Hinweis auf Merkel zieht nicht

Der Hinweis auf Angela Merkel zieht an dieser Stelle nicht: Merkel trieb – es auszuführen, führte hier zu weit – ihre Laufbahn in einer Situation und Konstellation voran, die grundverschieden von jener ist, der Baerbock sich konfrontiert sieht. Die muss sich mit einem giftigen Vorurteilscocktail herumschlagen, zu dem die einander befeuernden Vorwürfe der Rabenmutterschaft, des Machtstrebens (wirft das jemand einem Mann vor?), der politischen Unerfahrenheit und eben des Glaubwürdigkeitsmangels gehören. Gut möglich, dass er giftig genug ist, dem Projekt einer ersten grünen Kanzlerschaft in Deutschland den Todesstoß zu geben.

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