Leserbriefe zum offenen Brief an ScholzDiskussion um Waffenlieferungen geht weiter

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Demonstrierende Ukrainer vor dem Bundeskanzleramt fordern auf Transparenten die Lieferung schwerer Waffen an ihre Heimat. 

Offenbarungseid der Humanität – Viele deutsche Intellektuelle geben im Umgang mit Russlands Angriffskrieg keine gute Figur ab – Leitartikel von Markus Decker (30.4.)

Kompromiss tausendmal besser als Fortführung des Krieges

Wer die „vorbehaltlose Unterstützung“ der ukrainischen Regierung und ihrer Kriegsziele sowie Waffenlieferungen ins Kriegsgebiet fordert wie Markus Decker in seinem Leitartikel, dem scheinen die Konsequenzen egal zu sein: Ein langdauernder Krieg, der jederzeit eskalieren kann zu einem Atomkrieg, Tod, Verletzung, Traumatisierung, Zerstörung, Flucht, weltweite Hungerkatastrophe aufgrund steigender Lebensmittelpreise, Beschleunigung der Klimakrise, ein Machtzuwachs Chinas, in dessen Abhängigkeit Russland getrieben wird.

Über Möglichkeiten gewaltfreien Widerstands gegen Usurpatoren wird nicht einmal nachgedacht, alles dreht sich nur noch um Waffen und Militär. Hier liegt nicht nur eine Kapitulation des Mitgefühls mit den Opfern dieses Krieges, sondern auch eine Kapitulation der Vernunft vor. Jeder Kompromiss ist tausendmal besser als eine langanhaltende Fortsetzung dieses schrecklichen Krieges. Wer die „Freiheit“ notfalls bis zum letzten Ukrainer verteidigen möchte und dazu beiträgt, dass die Ukraine zum Schlachtfeld eines geopolitischen Machtkampfes wird, sollte das Wort „Humanität“ besser nicht in den Mund nehmen. Harald Fuchs Köln

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Kapitulation vor dem Aggressor Putin ausgeschlossen

Mit großer Enttäuschung habe ich den in der Zeitschrift „Emma“ veröffentlichten Brief deutscher Intellektueller gelesen, die den Bundeskanzler auffordern, keine schweren Waffen an die Ukraine zu liefern. Ich kann die Sorge um den möglichen Ausbruch eines dritten Weltkriegs verstehen, aber das zweite Hauptargument der Unterzeichner, wonach man keine Waffen liefern sollte, um unverhältnismäßiges Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung zu verhindern, macht mich einigermaßen sprachlos. Das heißt nichts anderes, als dass die Ukrainer sich einem Aggressor ergeben sollten, damit dieser sein mörderisches Handeln nicht fortsetzt.

Es ist zum einen ziemlich naiv anzunehmen, dass Herr Putin alle Gewalt gegen die ukrainische Bevölkerung einstellt, wenn diese sich ergibt. Zum anderen bedeutet das angeführte Argument der Unterzeichner letztlich, dass die Verteidigung demokratischer, freiheitlicher Werte aufgegeben werden soll, wenn diese bei fehlender Verhandlungsbereitschaft einer Partei mit ausreichend massiver Waffengewalt außer Kraft gesetzt werden können. Dass diese Haltung von Menschen vertreten wird, die angesehen und einflussreich sind, beunruhigt mich sehr.  Klaus Sänger Köln

Waffenlieferungen befeuern den Konflikt

Der Meinung von Leitartikler Markus Decker zum Offenen Brief deutscher Intellektueller an Kanzler Olaf Scholz kann ich mich ganz und gar nicht anschließen. Die Lieferung schwerer Waffen befeuert den Konflikt und treibt die Opferzahlen in die Höhe. Kluge, geduldige Diplomaten sind gefragt, die sich von den moralischen Erpressungsversuchen nur insofern beeindrucken lassen, als dass sie ihre Bemühungen verstärken. Ich empfinde die Einlassungen von Herrn Decker als Kriegstreiberei. Irene Arntz Overath

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Ukraine muss sich verteidigen können

Die an Olaf Scholz gerichtete Aufforderung, weitere Waffenlieferungen zu unterbinden, ist für alle osteuropäischen Staaten ein Schlag ins Gesicht und damit auch der Kern für eine Spaltung der EU und der Nato. Es sagt sich leicht, dass moralisch verbindliche Normen universaler Natur sind, aber die Diktatoren der Welt und auch Putin missachten diese Normen nachhaltig seit vielen Jahren. Die Unterzeichner können für sich entscheiden, ob sie sich mit Blume in der Hand vor russische Panzer legen.

Zu erwarten, dass die minimalen Möglichkeiten eines Bundeskanzlers, abweichend von EU- und Nato-Entscheidungen, einen Einfluss auf das weitere Geschehen haben, ist ein Ausdruck von Hilflosigkeit oder Vermessenheit. Jeder hat das Recht, seiner Angst Ausdruck zu verleihen, auch ich kenne den richtigen Weg nicht. Aber ist es moralisch vertretbar, der Ukraine Möglichkeiten zur eigenen Verteidigung vorzuenthalten?

Die Unterzeichner des Briefes geben noch nicht einmal eine Andeutung, dass sie sich mit all ihren Kontakten in die russische Zivilgesellschaft für eine Abkehr der Unterstützung für Putin einsetzen. Wo bleibt der laute und täglich wiederholte Appel an den Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche, insbesondere von den Christen, Putin die Unterstützung für den Angriffskrieg zu entziehen, die Segnung von Soldaten für einen Angriffskrieg zu beenden und ein Ende des Mordens einzufordern? Helmut Schulz Kürten

Statt Drohgebärden ernsthafte Friedensverhandlungen

In seiner Wochenendausgabe berichtet der „Kölner Stadt-Anzeiger“ über den offenen Brief zahlreicher Prominenter an Kanzler Olaf Scholz gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine und für das Eintreten für einen Waffenstillstand. Im Leitartikel von Markus Decker in derselben Ausgabe werden die Unterzeichner dafür ausführlich kritisiert. Damit zeigt der „Kölner Stadt-Anzeiger“ wieder einmal, dass er – wie die meisten Medien in diesem Land – einstimmt in das Säbelrasseln gegen alles und jeden, der sich für ein maßvolles Handeln im Ukraine-Konflikt ausspricht und sich statt für Drohgebärden für ernsthafte Friedensbemühungen ausspricht. Wenn es so weit kommen sollte, dass hier die ersten Bomben einschlagen, werden die Aufrüstungsbefürworter und Kriegstreiber sagen: So haben wir das nicht gemeint. Damit konnte keiner rechnen – und werden eine Mitschuld weit von sich weisen. Bernd Pniewski Köln

Aus der Geschichte lernen

Manchmal hilft ein Blick in die Geschichte. Wenn die Frau von Winston Churchill, Mrs. Clementine, ihren Mann in der dunkelsten Stunde nicht aufgerichtet und ihm Mut zum Krieg und Durchhalten gegen Hitler-Deutschland gemacht hätte, dann wäre der Zweite Weltkrieg wohl anders verlaufen. Lord Halifax hätte dann mit Hitler verhandelt. Der Diktator in Berlin hätte triumphiert. Europa sähe heute anders aus. Gut, es gab im Jahr 1939 noch keine Atombombe, mit der gedroht werden konnte. Es gab keine Bombe, die alles vernichtet hätte – auf beiden Seiten des Konflikts –, aber es gab die Überzeugung, dass man einem Aggressor nur begegnen kann, wenn man auch bereit ist, Waffen einzusetzen. Vorausgesetzt, alle diplomatischen Möglichkeiten sind ausgenutzt worden.

Geschichte wiederholt sich nicht genauso, aber wir sollten Grundzüge von Konflikten besser erkennen. Dies wünsche ich mir besonders bei den Politikern, die sich für unsere Sicherheit verantwortlich fühlen. Für den Krieg in der Ukraine bedeutet dies: Waffenlieferungen, so viel wir können, weitere diplomatische Aktivitäten in Richtung Moskau und Kiew und eine ehrliche Darstellung des Konfliktes auch bei uns in Deutschland. Es steht zu viel auf dem Spiel! Manfred Höffken Köln

„Putin muss Respekt und Angst vor dem Westen bekommen“

Wenn mehrere Prominente Bundeskanzler Scholz bitten, auf die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine wegen der Gefahr eines Atomkrieges zu verzichten, dann mögen sie grundsätzlich Recht haben; aber sie werden von der Angst vor Putin getrieben und es wird Zeit, dass im Verhältnis zu Putin endlich eine Umkehr erfolgt. Bisher starrte man im Westen, speziell in Deutschland, auf die Reaktionen von Putin wie das Kaninchen auf die Schlange. Man wollte ihn nicht verärgern, ihn nicht unnötig provozieren und ihm soweit wie möglich entgegenkommen.

Diese Situation hat er kaltblütig ausgenutzt und konsequent seine barbarischen Kriege ausgeführt, ob in Tschetschenien, Syrien, Georgien oder auf der Krim. Hier muss nun nach dem völkerrechtswidrigem Angriff auf die Ukraine eine totale Kehrtwende vollzogen werden. Putin muss Respekt und Angst vor dem Westen bekommen, seine Warnungen, Drohungen und Verbalattacken sollten ignoriert und missachtet, den Wünschen mehrerer Länder auf einen Natobeitritt sollte ohne Rücksicht auf Putin entsprochen werden, er muss auf der diplomatisch-politischen Ebene als persona non grata betrachtet werden und er sollte durch Sanktionen und militärische Interventionen soweit ins Abseits gedrängt werden, dass er sich zu Friedensverhandlungen gezwungen sieht, deren Bedingungen er allerdings nicht mehr selbst bestimmen kann.

Auf diesem Wege sind das vereinte Europa, viele westliche Länder und die Nato schon ziemlich weit vorangeschritten. Letztlich sollte der Umgang mit diesem unmenschlichen Diktator, Kriegsverbrecher und Massenmörder dahin führen, dass er seine Zukunft nur noch im Gefängnis des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag sieht. Prof. Dr. Claus Werning Frechen

„Selbst mit einem Despoten wie Putin muss man reden“

Ich bin komplett anderer Meinung als Leitartikler Markus Decker. Was ist human daran, mit Waffenlieferungen den Krieg und damit das Leiden zu verlängern? Mir ist nicht bekannt, dass mit Waffen schon einmal Frieden geschaffen wurde. Der Konflikt wird sich nur weiter hochschaukeln mit allen Unwägbarkeiten und Gefahren, die damit verbunden sind. Dass grüne Politiker und Politikerinnen dieses Vorgehen unterstützen, ist angesichts ihrer Geschichte einfach nur unglaubwürdig. Selbstverständlich bin ich für sämtliche Sanktionen, aber auch für den Weg der Diplomatie. Selbst mit einem Despoten wie Putin muss man reden. Manfred Mertens Hennef

Spiel mit dem Feuer, das uns alle verzehren kann

Der renommierte Philosoph Jürgen Habermas beklagt ein allzu ungestümes moralischen Drängen der zum Sieg entschlossenen ukrainischen Führung, Alice Schwarzer, Ranga Yogeshwar und andere Prominente appellieren in einem offenen Brief an Bundeskanzler Scholz, wegen der Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt keine weiteren schweren Waffen an die Ukraine zu liefern. An der Basis der Grünen werden Unterschriften für eine Urabstimmung gesammelt, die das 100-Milliarden-Euro-Paket für eine Aufrüstung der Bundeswehr in Frage stellt.

Ich bin froh, dass es diese kritischen Stimmen gibt. Niemand, der den Anspruch erhebt, politisch ernst genommen zu werden, wird Putins Angriffskrieg gutheißen oder bestreiten, dass der Ukraine geholfen werden muss, um in eine möglichst gute Ausgangslage für Waffenstillstandsverhandlungen zu gelangen. Dabei erwarte ich, dass Politiker und Politikerinnen und alle anderen, die Verantwortung tragen, sich nicht von Emotionen fortreißen lassen, sondern Rationalität und Augenmaß bewahren. Wer auf einen totalen Sieg gegen Russland setzt, spielt mit einem Feuer, dass uns alle verzehren kann. Uwe Hass Köln

Die Vorstellung, wir müssten dem russischen Bären die Ukraine zum Fraß vorwerfen, damit wir selbst Ruhe haben, ist nicht nur unmoralisch, sondern auch realitätsfern. Putin versteht leider nur die Sprache der Gewalt und wird jeden „Kompromiss“ – wie soll ein Kompromiss zwischen Vergewaltiger und Opfer aussehen, Frau Schwarzer? – als Zeichen der Schwäche und Aufforderung zum Weitermachen werten. Nur seine vollständige Niederlage kann verhindern, dass er sein mörderisches Spiel in anderen Ländern fortsetzt. Die Ukraine hat sich entschieden, für ihre eigene und unser aller Freiheit zu kämpfen. Darin sollten wir sie nach Kräften unterstützen, statt wie Frau Flaßpöhler herablassend die Besetzung der Krim gutzuheißen. Von Moskaus Atomdrohungen dürfen wir uns nicht bluffen lassen. Putin mag vieles sein, aber ein Selbstmörder ist er nicht. Dr. Sebastian Vogel Kerpen

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