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Leserbriefe zur Wahlrechtsreform
Den „Königsweg“ gibt es nicht

Lesezeit 7 Minuten
Blick durch Glasscheiben in den leeren Plenarsaal im Bundestag. Unmittelbar hinter der Fensterfront prangt der riesige Bundesadler, im Bildhintergrund sind leere Sitzreihen des Plenarsaals sowie darüber Besuchersitzreihen zu sehen.

Blick durch Glasscheiben in den leeren Plenarsaal im Bundestag

Leser begrüßen die Initiative der Ampelregierung zur Verschlankung des Bundestags. Allerdings stoßen die neuen Regelungen auch auf Kritik.

Bundestag beschließt Wahlrechtsreform – CDU, CSU und Linke sind empört (17.3.)

Wahlrechtsreform: „Wichtig ist, dass endlich ein Regierungsbündnis das Thema anpackt“

16 Jahre hatten CDU/CSU die Möglichkeit zu einer Wahlrechtsreform. In dieser Zeit wurde viel debattiert, aber passiert ist leider nichts. Warum? Weil die „mir san mir“-Fraktion keine Möglichkeit gefunden hat, das Wahlrecht zu reformieren, ohne selbst „Federn zu lassen“. Jetzt endlich hat ein Regierungsbündnis Fakten geschaffen, ohne der CSU die Chance zu geben, die Wahlrechtsreform erneut zu blockieren. 

Zur Aufregung bei den Linken sei die Frage erlaubt: Wie demokratisch ist das deutsche Wahlrecht, wenn eine Partei, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, aufgrund von drei gewonnenen Direktmandaten aus 299 Wahlkreisen mit 39 Sitzen in den Bundestag einzieht?

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Auch die „Volksvertreter der Oppositionsparteien“ sollten sich nochmals ins Gedächtnis rufen, dass die Zahl der Abgeordneten seit 2002 stetig gestiegen ist: seit 2005 um 22 Prozent oder 133 Abgeordnete. Bedenkt man, dass ein Bundestagsabgeordneter die Steuerzahler rund 660.000 Euro im Jahr kostet – ohne Büro- und Reisekosten und ohne Altersversorgung! –, ist die Begrenzung auf 630 Sitze nicht nur zu begrüßen, sondern seit Jahren überfällig.

Die sich aus der Wahlrechtsreform ergebenden Einsparungen von über 70 Millionen Euro an Diäten sind an anderen Stellen sicherlich sinnvoller eingesetzt. Wichtig ist, dass endlich ein Regierungsbündnis das Thema anpackt. Dass die Opposition in Karlsruhe feststellen lässt, ob die Wahlrechtsreform mit dem Grundgesetz vereinbar ist, ist nicht nur legitim, sondern erforderlich, um Rechtssicherheit zu erlangen. Jürgen Ropertz Hürth

Kein „Königsweg“ zur Verkleinerung des Bundestags

Das Ziel, den Bundestag zu verkleinern, ist zweifellos gut, richtig und notwendig. Leider gibt es nicht den Königsweg zu diesem Ziel. Vielmehr sehen wir interessengeleitete Konflikte zwischen Koalition und Opposition. Der Gesetzentwurf der Ampel sieht die zukünftige Regelgröße des Bundestags bei 630 Sitzen, wobei die Anzahl der Wahlkreise mit 299 unverändert bleibt, hingegen die über die Landeslisten zu gewinnenden Sitze von 299 auf 331 erhöht werden sollen. Überhangmandate – und damit Ausgleichsmandate – sollen ausgeschlossen werden, indem erforderlichenfalls die Anzahl der grundsätzlich 299 Direktmandate reduziert werden.

Letzteres wäre durchaus unschön, unter anderem weil es Wahlkreissieger düpieren würde. Eine gerechtere Alternative könnte indes darin bestehen, die Anzahl der Wahlkreise von derzeit 299 auf 250 zu reduzieren, die Sollgröße des Bundestages somit auf 500 Sitze festzulegen, aber weiterhin Überhang- und Ausgleichsmandate zuzulassen. Selbst in ungünstigen Fallkonstellationen würde bei dieser Verfahrensweise die Gesamtzahl der Bundestagsabgeordneten kaum 600 überschreiten und damit unter der aktuell vorgeschlagenen Regelgröße 630 liegen. Roland Schweizer Leverkusen

Wahlrechtsänderung endet als Fehlschlag

Der verzweifelte Versuch, aus unserem komplizierten personalisierten Verhältniswahlsystem ein Wahlsystem ohne Überhang- und Ausgleichsmandate zu schaffen, führt zu diversen Merkwürdigkeiten und muss deshalb als Fehlschlag gewertet werden. Es kann nicht sein, dass die traditionelle Grundmandatsklausel gestrichen wird und es geht auch nicht, dass Wahlkreissieger nicht ins Parlament einziehen. Zu überlegen ist, wie man mit den Überhangmandaten der CSU umgehen soll. Wenn es schon unsinnig ist, Wahlkreissiegern den Sitz nicht zu gewähren, bleibt nur noch, die Anzahl der Wahlkreise zu senken. Beim Aufleben des Wahlgesetzes der letzten Wahl 2021 könnte eine Reduzierung der Wahlkreise von 299 auf 230 bis 250 sinnvoll sein. Michael Berlinghof Köln

Wahlrechtsreform: Zustimmung des Bundesverfassungsgerichts erhofft

CDU/CSU und Linkspartei zeigen sich in seltener Einmütigkeit bei ihrer Empörung über die von der „Ampel“ am 17. März beschlossene Wahlrechtsreform, insbesondere über den Wegfall der sogenannten Grundmandatsklausel. Diese sicherte bisher einer Partei auch beim Reißen der Fünfprozent-Hürde den Einzug in den Bundestag, wenn sie mindestens drei Direktmandate errang.

Dabei bräuchte sich die CSU über ihren Wiedereinzug in den nächsten Bundestag keine Sorgen zu machen, wenn CDU und CSU, die schon immer eine gemeinsame Bundestagsfraktion gebildet haben, bei künftigen Wahlen von vornherein mit einer gemeinsamen Unionsliste anträten. Dabei bliebe es ihnen unbenommen, auf dieser Liste in Bayern nur CSU-Mitglieder und im übrigen Bundesgebiet nur CDU-Mitglieder aufzuführen.

Dass die Linkspartei es mit 4,9 Prozent der Zweitstimmen im Herbst 2021 nur wegen der Grundmandatsklausel noch einmal in den Bundestag geschafft hat, während der FDP dies mit einem ähnlichen Zweitstimmenergebnis 2013 nicht vergönnt war, zeigt, wie ungerecht diese Klausel war. Warum sollte eine winzige Minderheit von Wählern in Berlin-Treptow-Köpenick, Berlin-Lichtenberg und Leipzig-Süd, wo die Linkspartei-Kandidaten 35,5, 25,8 und 22,8 Prozent der Erststimmen holten, den Einzug einer Fraktion von 39 Mitgliedern in den Bundestag ermöglichen können?

Dass künftig Direktwahl-Kandidaten einer Partei oder Liste, die in ihrem Wahlkreis mit knapper relativer Mehrheit siegen, dennoch ein Abgeordneten-Mandat nicht erringen, weil das Zweitstimmenergebnis dieser Partei das nicht hergibt, können die Parteien weitgehend vermeiden, indem sie ihren Direktwahl-Kandidaten möglichst obere Listenplätze für die Zweitstimme verschaffen.

Die Union und vor allem die CSU haben mit der Wahlrechtsreform vom 17. März auch eine Quittung für die jahrzehntelange Blockade einer Reform erhalten. Das Problem der Überhang- und Ausgleichsmandate hätte sich auch durch eine drastische Reduzierung der Zahl der Wahlkreise bei Beibehaltung der Gesamtzahl der Abgeordneten von 598 erledigen lassen. Die Koalition ist einen anderen Weg gegangen. Es ist zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht ihn mitgeht. Dr. Hans-Christian Kersten Odenthal

Reform des Wahlrechts: Ampel ignoriert den Wählerwillen

Die von der Ampel vorgelegte Wahlrechtsreform ist ein Schlag gegen die Akzeptanz und Wertschätzung aller Wählerstimmen. Das einzige Instrument, bei dem die Bürger in der Bundestagswahl ihre Stimme direkt wiederfinden, ist das Direktmandat. Der Vorschlag der Ampel ignoriert den Wählerwillen. Der gewählte Politiker ist im Wahlkreis bekannt und kümmert sich um die Belange seiner Bürger. Es ist deshalb ohne Wenn und Aber erforderlich, dass alle Direktmandatsträger in den Deutschen Bundestag gehören.

Ich habe einen Vorschlag, der sowohl die Forderung für die Repräsentanz der Direktmandate erfüllt als auch die Maximalzahl an Abgeordneten auf 598 begrenzt. Über die Direktmandate kommen 299 Mitglieder in den Bundestag. Darüber hinaus wird aus allen Zweitstimmen jeweils der oder die auf Platz 1 der Liste der Gewinner-Partei jedes Wahlkreises in den Bundestag entsandt. Das sind die weiteren 299 Mitglieder. Und damit ist dann bei 598 Bundestagsmitgliedern Schluss. Das ist wahrscheinlich zu einfach, als dass es überhaupt in Erwägung gezogen wird. Es wäre aber schade, diesen Vorschlag zu ignorieren. Klaus Leineweber Bergisch Gladbach

Wahlrechtsreform: Ende der Sonderstellung der Unionsparteien

Dass die Unionsparteien jetzt lautstark jammern, ist kaum verwunderlich. Durch ihre merkwürdige Absprache für Bayern hatten sie Jahrzehnte lang eine Gewichtung, die unangemessen war. Eine Partei, die um die fünf bis sechs Prozent auf Bundesniveau erreicht, hat zurzeit einen Einfluss, der sehr weit darüber hinausgeht und der Republik schadet.

Die CSU-Verkehrsminister – allen voran Andreas Scheuer – haben Geld verpulvert, um in ihren Wahlkreisen – und nur dort – zu punkten. Es ist allerhöchste Zeit, dass derartige Praktiken beendet werden, der Fairness wegen. Fritz Lothar Winkelhoch Gummersbach

Überfällige Reform mit Beigeschmack

Die jetzt vom Bundestag beschlossene Wahlrechtsreform ist lange überfällig. Obwohl alle Parteien seit Jahren die Vergrößerung des Bundestages durch Überhangmandate und deren Ausgleich beklagen, standen einer Lösung immer Parteiegoismen entgegen. Vor allem die CSU tat sich damit hervor, Lösungsansätze zu blockieren und muss jetzt zusehen, wie ein Gesetzentwurf verabschiedet wurde, der ihr ganz und gar nicht passt.

Danach bekommen Parteien so viele Parlamentssitze, wie ihnen nach dem Anteil an Zweitstimmen zustehen. Das entspricht dann exakt dem Wählerwillen. Allerdings kann sich nicht mehr jeder Politiker, der seinen Wahlkreis gewonnen hat, sicher sein, auch einen Platz im Bundestag zu bekommen. Eine Verkleinerung des Bundestags ohne diese Entwertung der Erststimme wäre allerdings auch nicht möglich.

Die ebenfalls im Gesetzentwurf vorgesehene Streichung der Grundmandatsklausel hinterlässt aber einen Beigeschmack, da er derzeit die Partei Die Linke treffen würde, die nur in Fraktionsstärke im Bundestag vertreten ist, weil sie drei Direktmandate gewonnen hat. Auch der CSU sichert die Klausel, dass sie selbst, wenn sie weniger als fünf Prozent der bundesweit abgegebenen Stimmen erhalten würde, in voller Stärke in den Bundestag einziehen könnte. Sollte das drohen, hätte sie aber immer noch die Möglichkeit, bundesweit anzutreten. Gedankenspiele dieser Art hat es zu Zeiten von Franz Joseph Strauß bereits gegeben. H. Werner Kammann Köln

Wahlrechtsreform: Direktmandate sollten erhalten bleiben

Eine Verkleinerung des Bundestags auf 630 Mandate ist lange überfällig. Abgeordnete, die mit großem Arbeitsaufwand ein Direktmandat errungen haben, sollten das auch behalten und nicht, wie vorgesehen, beim Mandatsüberhang abgeben müssen. Das wäre ungerecht. Die Reduzierung der Abgeordneten könnte einfach über die Partei-Listen erfolgen. Dietmar Schäfer Köln

Änderung des Wahlrechts: Mandats-Bereinigung ja, aber anders

Die völlig unlogische Mandats-Bereinigung auf künftig etwa 630 Sitze im Bundestag heißt ganz klar, dass man – willkürlich festgelegt – gewählte Erststimmen-Abgeordnete einfach „per Hand“ wegnimmt. Dann braucht der Wähler diese auch erst gar nicht zu wählen. Die derzeitige Aufblähung des Bundestags braucht man noch weniger, wenn bei den meisten Debatten die obersten drei bis vier Sitzreihen bei allen Parteien durch Abwesenheit glänzen. Welcher zusätzlich alimentierte und seltenst anwesende Sachverstand wurde denn da von uns Wählern und Wählerinnen eigentlich hinzugewählt? Charlie Held Köln

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