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SinnverlustKrankheitsbild mit vielen Ursachen

5 min

Professor Karl-Bernd Hüttenbrink ist Direktor der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde der Universität zu Köln.

KölnAllergien, Viren oder Verletzungen können eine Anosmie auslösen Professor Hüttenbrink, wie entsteht eine Geruchsblindheit?

Karl-Bernd Hüttenbrink: Stop! Geruchsblind ist der falsche Ausdruck. Man sagt ja auch nicht gehörblind. Blindheit betrifft den Sehsinn, beim Hören spricht man von Hörstörungen, die bis zur Taubheit reichen können. Und es gibt Riechstörungen, die in einer sogenannten Anosmie gipfeln können. Das ist der Fachausdruck für den Zustand, in dem ein Patient gar nicht mehr riechen kann.

Also präziser gefragt: Wie entsteht eine Anosmie?

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Hüttenbrink: Riechstörungen können viele Ursachen haben. Meist liegen die im sogenannten sinunasalen Bereich: Dabei werden die Beschwerden durch Erkrankungen der Nase oder der Nebenhöhlen wie Entzündungen oder Allergien ausgelöst. Auch Traumata, also Verletzungen wie etwa ein Schädel-Basis-Bruch, können Riechstörungen zur Folge haben. Zudem können manche Viren die rund 30 Millionen Sinneszellen in der Nase angreifen. Auch die Nervenbahnen, auf denen die Geruchsinformation ans Gehirn weitergegeben wird, oder die Nervenzentren im Gehirn können geschädigt sein. Letzteres ist etwa bei neuronalen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson der Fall.

Wie funktioniert Riechen eigentlich genau?

Hüttenbrink: Kurz gesagt, riechen wir mit Hilfe von spezialisierten Zellen, die am Nasendach sitzen, also direkt unter dem Gehirn. Wenn wir einatmen, gelangen Duftmoleküle in die Nase und wandern durch den Nasenschleim zu den Riechzellen. Jede von ihnen spricht an auf eine bestimmte chemische Substanz, so wie ein Schloss sich nur durch den passenden Schlüssel öffnen lässt. Wenn es passt, gibt es eine Entladung, und die Geruchsinformation wandert in den sogenannten Riechkolben im Gehirn, der in der Mitte oberhalb der Augen liegt

Löst ein bestimmtes Molekül einen spezifischen Geruch aus?

Hüttenbrink: Ja, aber praktisch alle Gerüche, die wir kennen, setzen sich aus vielen Molekülen zusammen. Wenn sie eine Orange essen, setzt unser Gehirn diesen komplexen Duft vereinfacht gesagt aus den Molekülen O, R, A, N, G und E zusammen. Erst das Gemisch ergibt den Geruch.

Wie hängen Schmecken und Riechen zusammen?

Hüttenbrink: Mit unserer Zunge schmecken wir lediglich grob die fünf Grundqualitäten: süß, salzig, bitter, scharf und umami. Der feine Geschmack kommt über das Riechen, also über die Luft, die beim Essen über den Rachen von hinten in unsere Nase dringt. Riechen und Schmecken zusammen könnte man den chemischen Sinn unseres Körpers nennen. Dieser besteht aus einem Fernsinn - wir wittern den Tiger, der sich von ferne her anschleicht - und einem Nahsinn, der uns zeigt, ob eine Frucht bitter schmeckt und womöglich giftig ist. Das sind unsere elementarsten Sinne. Schon die ersten Zellen in der Ursuppe haben auf diese chemische Weise miteinander kommuniziert. Entsprechend tief verwurzelt sind Riechen und Schmecken in unserem Gehirn.

Können wir deshalb Gefühle und Erinnerungen auch eher übers Riechen aktivieren als etwa über den Sehsinn?

Hüttenbrink: Genau. Riechen ist unser archaischster Sinn, der an der Amygdala, dem Emotionszentrum im Gehirn, angedockt ist. Das erklärt, warum uns Gerüche oft so emotional ansprechen. Wenn Sie in der Bäckerei frisches Gebäck riechen, kommen zum Beispiel schnell Erinnerungen an Backtage mit Ihrer Oma wieder hoch.

Was passiert emotional, wenn das Riechen gestört ist?

Hüttenbrink: Das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Der Gourmet und Rotweinliebhaber stellt vielleicht höhere Ansprüche an Geruch und Geschmack als jemand, der sich von Pommes Rot-Weiß ernährt und nur Kölsch dazu trinkt. Wir haben Patienten, die behaupten, sie könnten ganz normal riechen - obwohl man im Test feststellt, dass sie so gut wie gar nicht riechen können. Andere sind nur leicht riechgestört und empfinden schon das als Katastrophe.

Worunter leiden die Betroffenen am meisten?

Hüttenbrink: Wie gesagt: Der eine leidet kaum, der andere darunter, dass er das Aroma seines Rotweins oder das Parfum seiner Frau nicht mehr wahrnehmen kann. Klar ist: Viele Betroffene brauchen eine "Begleitnase", um im Alltag zurechtzukommen. Unter Anosmatikern gibt es eine hohe Depressionsrate, sie liegt viel höher als bei anderen Sinnesstörungen. Das liegt wohl an der engen Verknüpfung mit der emotionalen Struktur im Gehirn.

Wie lassen sich Riechstörungen behandeln?

Hüttenbrink: Indem man zunächst die individuelle Ursache klärt. Wenn ein Patient etwa zwischendurch immer mal wieder riechen kann, kann der Geruchssinn nicht als solcher weg sein. In diesem Fall würde man versuchen, den Molekülen wieder den Weg zu den Riechzellen frei zu machen, etwa durch Kortisonspray oder Tabletten. Sollte der Betroffene dann dank des Kortisons wieder riechen können, würde man ihm empfehlen, sich zum Beispiel die Nasenpolypen operieren zu lassen, denn Kortison kann keine Dauerlösung sein.

Was genau würde man operieren?

Hüttenbrink: Die Nasennebenhöhlen, um die Schleimhauterkrankung zu heilen. Man würde etwa ihre verschlossenen oder verengten Öffnungen weiten und das entzündliche Sekret daraus entfernen. So können die Nebenhöhlen wieder ausheilen und der Patient hat eine gute Chance, wieder riechen zu können.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es noch?

Hüttenbrink: Die zweite Option wäre: abwarten. Wenn die Riechstörung durch ein Trauma hervorgerufen wurde, gibt es eine hohe Selbstheilungsrate. Riechzellen sind unsere einzigen Sinneszellen, die sich selbst erneuern können. Das Riechen kann oft Monate oder Jahre nach einem Verlust wiederkommen. Bei altersbedingten und virusbedingten Riechstörungen kann man aber auch durch Riechtraining eine deutliche Verbesserung erzielen.

Wie muss man sich solch ein Training vorstellen?

Hüttenbrink: Das haben wir gerade in einer Studie standardisiert, man kann es aber auch leicht selbst nachmachen: Dabei kitzelt man den Riechsinn einfach morgens und abends mit stark riechenden Substanzen wie Rose, Nelken, Eukalyptol oder Zitrone. So regt man die Zellen an, sich zu erneuern. In unserer Studie konnten die Hälfte der Probanden ihren Riechsinn auf diese Art deutlich verbessern.

Das Gespräch führte Michael Aust.