Stammzellforschung in NRWGroße Hoffnung und viele offene Fragen

Lesezeit 5 Minuten
Nordrhein-Westfalen spielt eine herausragende Rolle in der Stammzellforschung.

Nordrhein-Westfalen spielt eine herausragende Rolle in der Stammzellforschung.

Keine andere Wissenschaft hat die Menschen so in energische Befürworter und aufgebrachte Widersacher verwandelt wie die Stammzellforschung. Sie versprach Heilung, wo es bislang keine gibt: Alzheimer, Diabetes, Krebs – bald sollte alles heilbar sein. Als 2001 die Debatte über die Stammzellforschung in Deutschland losbrach, setzte jedoch eine regelrechte Hexenjagd auf die Forscher ein. Lebensschützer warfen ihnen vor, ihre Wissenschaft in Frankenstein-Manier zu betreiben. Denn bei der Gewinnung der embryonalen Stammzellen wurden menschliche Embryonen zerstört. Nun, viele Jahre später, ist es deutlich ruhiger um diese Wissenschaft geworden. Dem „Kompetenznetzwerk Stammzellforschung NRW“ kommt hierbei ein erheblicher Teil Vermittlungstätigkeit zu.

Interdisziplinäres Kompetenznetzwerk

Das Netzwerk ist eine Landesinitiative, die die Förderung der Stammzellforschung sowie die Klärung der mit ihr zusammenhängenden ethischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Implikationen zum Ziel hat. In ihm arbeiten Institute und Forscher aus den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Bereichen zusammen – Juristen, Philosophen, Sozialwissenschaftler und Biomediziner – darunter international renommierte Forscher wie Hans Schöler, Jürgen Hescheler oder Oliver Brüstle und Philosophen wie Dieter Birnbacher und Dieter Sturma.

Das Kompetenznetzwerk besitzt zwei Arbeitskreise: Biomediziner und die ethisch-rechtlich-sozialwissenschaftliche Gruppe (Elsa). Beide Bereiche treffen sich zusammen und in ihren eigenen Arbeitskreisen – und sind auch da schon interdisziplinär ausgelegt, etwa wenn Kardiologen, Neurologen oder Krebsforscher ihre Ergebnisse austauschen. Gleiches gilt für den Dialog zwischen Ethikern, Juristen oder Sozialwissenschaftlern. Letztere fragen etwa: Wie könnte das die Gesellschaft sehen? Die Ethiker befassen sich mit Themen wie: Wann ist der Mensch ein Mensch? Juristen mit möglichen Patentierungen von Forschungsergebnissen im Stammzellbereich.

Alles zum Thema Universität zu Köln

Halbe Millionen Euro jährlich zur Verfügung

Miteinander verknüpft sind in dem Netzwerk Forschungsstandorte in Köln, Bonn, Aachen, Düsseldorf, Essen, Witten, Bochum, Dortmund, Bielefeld und Münster. Bereits 2002 wurde das Netzwerk ins Leben gerufen, von 2019 an wird es nun als Verein fungieren. Dazu haben vor wenigen Wochen 19 in NRW ansässige Universitäten, Unikliniken und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen den Verein „Stammzellnetzwerk.NRW“ gegründet. Eine halbe Million Euro stellt das Ministerium für Wissenschaft und Kultur in NRW dafür jährlich bereit.

Damit sollen ganz unterschiedliche Bereiche in der Stammzellforschung in NRW gefördert werden. Jürgen Hescheler etwa arbeitet mit seinem Team an der Uni Köln an Herzzellen. Ein Ziel ist es für das Team um Professor Hescheler, Stammzellen so zu manipulieren, dass eines Tages das durch Herzinfarkte beschädigte Gewebe ersetzt werden kann.

Auch an „erwachsenen“ Zellen wird geforscht

In Bonn forscht Oliver Brüstle an neuronalen Zellen. Er und sein Team haben in Deutschland als Erste eine Genehmigung zur Forschung an embryonalen Stammzellen erhalten. Heute nutzt sein Team vor allem aus Blut umprogrammierte Nervenzellen für die Krankheits- und Therapieforschung. Ziel ist es, neurodegenerative Erkrankungen im Gehirn besser zu verstehen und langfristig Therapien entwickeln zu können.

Auch die Forschung an adulten, also „erwachsenen“ Stammzellen, gibt es NRW. Gemeint sind Zellen, die sich nur noch in bestimmte Zelltypen entwickeln können. Man findet diese adulten Stammzellen in verschiedenen Organen und Geweben, zum Beispiel sind die Hautstammzellen in den tieferen Hautschichten und die Blutstammzellen im Knochenmark zu finden und sorgen dort jeweils für Nachschub an Zellen. In Essen ist das Institut für Transfusionsmedizin unter Leitung von Peter Horn federführend in der Forschung an Blutstammzellen.

Versachlichte Diskussion

„Vor allem das Stammzellgesetz von 2002 hat dazu beigetragen, dass sich die Diskussionen versachlicht haben“, sagt Martin Heyer, Koordinator der ethisch-rechtlichen Arbeitsgemeinschaft Institut für Wissenschaft und Ethik. Der Jurist ist für die ethisch-rechtlich-sozialwissenschaftlichen Bereiche zuständig. In dem Feld sei Orientierung nach wie vor äußerst notwendig, sagt er. Denn die Entwicklungen sind in der Grundlagenforschung zum Teil so rasant, dass ethische und rechtliche Standards nicht immer Schritt halten können.

Martin Heyer nennt etwa die Möglichkeit, aus Stammzellen sogenannte Gameten, also Ei- und Samenzellen, zu entwickeln. „Die deutschen Gesetze regeln das bisher nicht und können an der Stelle unterschiedlich gedeutet werden“, sagt Heyer. Die anfängliche Euphorie in der Stammzellforschung ist zwar weitgehend verflogen: Das Warten auf den großen Durchbruch dauert an. Und doch gibt es nach fast 20 Jahren Forschungsarbeit einige erfolgversprechende Ansätze.

Defekte Zellen beseitigen

Zum Beispiel diesen: Mit dem Genom-Editierungsverfahren Crispr hat regelrecht eine Revolution stattgefunden. Denn mit dieser Methode können „defekte“ Abschnitte in der Erbsubstanz ausgelesen und ausgeschnitten werden. Daraufhin werden neue Bausteine einfach eingefügt. So können genetische Defekte in den Zellen von vorneherein beseitigt werden. Großes Aufsehen erregten auch „Organoide“, darunter versteht man die Züchtung dreidimensionaler organähnlicher Strukturen. An ihnen lassen sich Krankheitsbilder und auch die Wirkung von Medikamenten besser verstehen.

Aber es gibt nicht allein Fortschritte in der Grundlagenforschung, sondern auch in der seriösen Anwendung: Im August dieses Jahres begann die erste klinische Studie zur Behandlung von Parkinson mit induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS). Hieran nehmen sieben Patienten teil. Die Idee des Forscherteams um Jun Takahashi, einem Neurochirurgen am Zentrum für iPS-Zellforschung und Anwendung (CiRA) der Universität Kyoto: Aus den Stammzellen sollen solche gewonnen werden, die Dopamin produzieren können. Sie werden anschließend ins Mittelhirn der Patienten injiziert. Man bohrt hierzu kleine Löcher in die Schädeldecke und spritzt fünf Millionen Zellen in das betroffene Areal. Die Neuronen können dann reifen und müssen zunächst Millionen von Verbindungen herstellen. Sechs Monate später, so hofft Takahashi, werden erste Erfolge zu sehen sein – anders als bei Medikamenten mit dauerhafter Wirkung.

„Ein großes Geschäft mit der Hoffnung“

Das Kompetenznetzwerk hat auch dazu beigetragen, die Öffentlichkeit auf die Vorgänge im X-Cell-Center (in Düsseldorf und Köln) aufmerksam zu machen, in denen Schwerkranken Stammzell-Anwendungen für fünfstellige Summen angeboten wurden, zu denen es keine klinischen Studien gab. Das Center wurde 2011 geschlossen „Es ist leider ein großes Geschäft mit der Hoffnung“, sagt Biologin Sira Groscurth, Geschäftsstellenleiterin des Kompetenznetzwerkes. Das Netzwerk will dem entgegenwirken und stellt daher auf seiner Internetseite etwa auch ein Patientenhandbuch und aktuelle Informationen zu Stammzellanwendungen zur Verfügung.

www.stammzellen.nrw.de

KStA abonnieren