Arbeiter in Fleischfabriken58-Stunden-Woche, 29,5 Arbeitstage, 1500 Euro Netto

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 Frisch geschlachtete Schweine hängen am Haken in einem Kühlhaus des Fleischunternehmens Tönnies in Rheda-Wiedenbrück, Kreis Gütersloh (Archivbild).

  • Der Tönnies Fleischkonzern baut auch auf der schlecht bezahlten Arbeit Tausender osteuropäischer Arbeiter auf.
  • Ein rumänischer Arbeitskräftevermittler hat sich den hohen Bedarf an Arbeitskräften in Rheda-Wiedenbrück zunutze gemacht.
  • Recherchen in Rheda-Wiedenbrück bringen ein ausgeklügeltes System der Anwerbung und Unterbringung der Arbeiter zutage.

Gütersloh/Köln – Liviu lebt in einem Raum mit zwei Betten, zwei Schränken und einem fremden Mann. Zimmer 2, laminiert an die Holztür geklebt. Im Januar kam er, 25 Jahre alt, breite Arme, kindliches Gesicht, nach Deutschland. Mit dem Bus.

Er zog in das Haus an der Hauptstraße, von dem die Fassade müde bröckelt, in dem es streng riecht. Das in diesem Zustand wohl kaum vermietbar wäre, gäbe es nicht Menschen wie Liviu. Er kannte den Mann nicht, in dessen Werk er jetzt arbeitet, Schweine kleinmachen, gutes Geld verdienen, mehr als genug für das Baby zu Hause in Rumänien.

Liviu hat sein Testergebnis noch nicht

Jetzt ist er hier, ost-westfälische Provinz. Trägt Flip-Flops, kurze Hose, graues T-Shirt. Und hat nichts zu tun. Das Werk, die größte Fleischfabrik in Deutschland, ist seit vergangener Woche geschlossen, die Mitarbeiter in Quarantäne. Mehr als 1500 von ihnen wurden mittlerweile positiv auf Corona getestet.

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Liviu weiß nicht, ob er dazu gehört, sagt er. Sein Testergebnis ist noch nicht da.

Im Flur stapeln sich Briefe auf dem vergilbten Marmorboden, darüber hängen Zettel auf Rumänisch. Corona-Regeln. Wer sie nicht einhält, dem wird mit Geldstrafen gedroht. 200 Euro für jeden, der sich mit mehr als zwei Personen in der Öffentlichkeit aufhält. 250 Euro, wer grillt oder picknickt. Gezeichnet: Stadt Rheda-Wiedenbrück, der Oberbürgermeister.

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Bewohner der Siedlung im Ortsteil Verl-Sürenheide, die unter Quarantäne steht, spielen hinter einem Absperrzaun Tischtennis. 

Mehr Kontrolle gibt es an diesem Dienstag nicht. Keine Security, kein Zaun wie sie es in der Tagesschau von anderen Unterkünften zeigen. Wenn Liviu jetzt in den Supermarkt gehen wollen würde, er könnte das ganz einfach tun. Die Haustür steht offen.

Mit wie vielen Menschen er zusammen in dem Haus lebt, weiß Liviu nicht. Wechselt oft, sagt er. Am Briefkasten finden sich 38 Namen. Sie alle, sagt Liviu, arbeiten für Tönnies.

Seit dem Corona-Ausbruch in seinem Betrieb in Rheda-Wiedenbrück steht Clemens Tönnies am Pranger. Von einem Ischgl in NRW ist die Rede. Den Kreisen Gütersloh und Warendorf, in denen insgesamt über eine halbe Million Menschen leben, hat der Ausbruch einen erneuten Lockdown eingebracht, kurz vor Beginn der Sommerferien.

Unbekannte zünden Autos von Rumänen an

Doch die Wut Einzelner entlädt sich nicht nur am Firmenchef. Am Donnerstagabend haben laut Polizei Unbekannte in Warendorf Autos von Rumänen angezündet.

Tönnies selbst muss sich rechtfertigen für das System der Werkvertragsarbeiter, die zu Tausenden aus Osteuropa nach Ostwestfalen gekommen sind, um für ihn im Akkord Schweine in Gaskabinen zu töten, zu schlachten, zu zerlegen und zu verpacken. 150.000 pro Woche allein in Rheda-Wiedenbrück, 20 Millionen jährlich insgesamt.

Für den deutschen Verbraucher, vor allem aber auch für den Weltmarkt. Doch das Geschäftsmodell Tönnies lässt sich nicht denken ohne das riesige Netzwerk an Subunternehmen, das seit vielen Jahren um das Werk wuchert wie eine Dornenhecke. Es wurde größer, undurchdringbarer, unkontrollierbarer.

Tönnies wehrte sich gegen ein Aus für Werkverträge

Und doch hielt Tönnies noch stur daran fest, als es im Mai bei Westfleisch in Coesfeld zur ersten Corona-Masseninfektion in einer Großschlachterei kam und die Kritik am System wieder lauter wurde. „Ein generelles Verbot von Werkverträgen in der Fleischwirtschaft hätte massive, strukturell-negative Veränderungen für die Agrarwirtschaft zur Folge“, schrieb er in einem Brief an Arbeitsminister Hubertus Heil.

Aus heutiger Sicht klingt seine Warnung beinahe wie ein letzter Versuch der Vertuschung. Doch nun hat das Virus nicht nur auch seine Mitarbeiter befallen, sondern damit gleich das ganze vorerkrankte System abgetötet. Ab 2021, so hat es die Bundesregierung angekündigt, sollen Werkverträge verboten werden.

Der Verband der Fleischwirtschaft erklärte am Freitag, er trage die „wesentlichen Eckpunkte“ des Kabinettsbeschlusses mit. Auch Tönnies wehrt sich nicht mehr.

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Als die Behörden vergangene Woche den Unternehmer aufforderten, sämtliche Namen und Adressen der Arbeiter rauszugeben, verweigerte das Unternehmen noch die Kooperation. „Die Daten der Mitarbeiter, die bei Dienstleistern beschäftigt sind, dürfen wir nicht haben. Es wäre eine Straftat, wenn wir sie hätten“, sagte Co-Geschäftsführer Andres Ruff.

Stadt Rheda-Wiedenbrück widerspricht Tönnies

Die Stadt Rheda-Wiedenbrück dagegen schreibt auf Anfrage dieser Zeitung, dass in der Praxis Anmeldungen von Werkvertragsarbeitern nicht von den Subunternehmen, sondern gebündelt von der Firma Tönnies eingereicht werden. Samt Nennung des Wohnorts der Arbeiter. Eine „Regelung zur Vereinfachung der Arbeitsabläufe“, wie es heißt.

Wie viele Werkvertragsarbeiter es gibt, für welche Betriebe sie gearbeitet haben, wo sie genau wohnen, wie viele aus Angst vor Quarantäne und Jobverlust inzwischen zurück in die Heimat gereist sind? Dazu gibt es keine konkrete Auskunft.

Gut die Hälfte der 16.500 Mitarbeiter sind laut Tönnies bei Werkvertragspartnern angestellt. Die Zahl schwanke je nach Standort und Abteilung. Gewerkschafter sprechen von bis zu 80 Prozent in Rheda-Wiedenbrück.

Es ist ein heilloses Chaos, das Clemens Tönnies zwar zu verantworten hat, das aber von zentralen Akteuren aus der Politik lange Zeit weitestgehend stillschweigend geduldet wurde. „Mein Vertrauen ist auch nicht mehr da“, sagte Sven-Georg Adenauer, Landrat des Kreises Gütersloh vor einigen Tagen. Aber gab es für Vertrauen überhaupt jemals eine Grundlage?

Geschäftemacher von zweifelhaftem Ruf

Im Dickicht von Subfirmen ist auch genug Platz für Geschäftsleute von zweifelhaftem Ruf. Vom Tönnies-Werk in Rheda sind es mit dem Auto 30 Minuten nach Schloss Holte-Stukenbrock. Hier, am Rande eines Gewerbegebiets, hat sich Dumitru Miculescu ein kleines Firmenimperium geschaffen. Seine Kommandozentrale ist ein zweistöckiger, in die Jahre gekommener Verwaltungsbau.

Untereinander aufgelistet stehen die Namen der Unternehmen auf einem Schild, darüber der Slogan „Mit Fachwissen voraus“. Gleich sieben Firmen sind hier gemeldet. Sie heißen MGM, MTM, MDS, MDI, DMI, DAN, DAS. Die meisten sind auf die industrielle Fleischgrobzerlegung und Schlachtung spezialisierte Personalvermittler, aber auch eine Immobilien-GmbH findet sich darunter. Von fünf von ihnen war oder ist Miculescu laut Handelsregister der Geschäftsführer.

Subunternehmer wie Miculescu haben das Business mit den Arbeitsmigranten über die Jahre perfektioniert. Inzwischen decken sie mit ihren Dienstleistungen die gesamte Wertschöpfungskette ab. Anwerben in Rumänien, Bustransfer nach Deutschland, Mieten für Schlafplätze in teils runtergekommenen Baracken kassieren, Organisieren der Fahrten zu den Schlachtbetrieben und zurück.

Leben in Armut geht auch in Deutschland weiter

Von der Bewerbung bis zum ersten toten Tier, das vor den Arbeitern baumelt, vergehen meist nur wenige Wochen. So geht es aus einer Studie der Stadt Rheda-Wiedenbrück hervor. In derselben Untersuchung heißt es, viele hofften auf ein besseres Leben in Deutschland.

Tatsächlich aber leben sie meist in Armut weiter. Den Großteil ihres Geldes schicken sie nach Hause.

Kern des Systems bei fast allen Subunternehmen ist die direkte Kopplung von Miet- und Arbeitsverhältnis. Sechs Tage die Woche, sagt Liviu, stand er vor dem Corona-Ausbruch bei Tönnies am Band. Auch andere Arbeiter berichten dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ von diesem Arbeitspensum. Sie alle verdienen Mindestlohn.

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Tierschützer demonstrieren vor dem Betriebsgelände der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück mit Bannern und der Aufschrift "Für die Schießung aller Schlachthäuser".

Aus Livius Abrechnung für Mai ergeben sich im Schnitt 58 Stunden die Woche. Fast 29,5 Tage hat er gearbeitet. Auszahlungsbetrag gut 1500 Euro netto. 300 Euro hat er schon vorab abgezogen bekommen. Für die Miete.

Dass die direkt vom Lohn abgeht, scheint gängige Praxis, obwohl Vermieter und Arbeitgeber zumindest auf dem Papier völlig unterschiedliche Firmen sind. In Miet- oder Arbeitsverträgen anderer Arbeiter, die dieser Redaktion vorliegen, stehen entsprechende Klauseln.

In den Verträgen finden sich auch vermeintliche Erklärungen für die hohen Mietsummen: Teilweise müssen die Arbeiter allein hundert Euro für Nebenkosten abgeben. Für die Mitbenutzung eines möblierten Zimmers. Endet der Arbeitsvertrag, endet auch der Mietvertrag automatisch. Ein Bewohner außerhalb des Systems ist nicht vorgesehen. 

Der Handel mit rumänischen Arbeitskräften und Mietwucher haben Miculescu und seine Geschäftspartner zu reichen Männern gemacht. Der Rumäne hat schnell erkannt, dass der Fall des Eisernen Vorhangs ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Seit 2007 gehört Rumänien zur EU, doch das Land ist ein Beitrittsverlierer.

Noch heute herrscht in vielen Landstrichen bittere Armut. Der durchschnittliche Nettoverdienst liegt in ländlichen Regionen bei 250 Euro. Eines der größten Probleme des Landes ist nach wie vor die Korruption. Beste Voraussetzung, um Menschen zu ködern.

In Werbevideos seiner Vermittlungsfirmen, die er über seinen eigenen regionalen TV-Sender ausstrahlen ließ, verspricht Miculescu seinen Landsleuten eine bessere Zukunft im Westen. „Wenn du das Gefühl hast, du arbeitest hart und schaffst es nicht bis zum Monatsende, dann komm nach Deutschland zur deutschen Firma MGM. Diese bietet dir einen Arbeitsplatz mit allen Rechten und Pflichten eines deutschen Arbeitnehmers.“

Für guten Arbeitsschutz prämierte Firma

MGM wurde 2011 gegründet und ist eine der wenigen von Miculescus Firmen, die eine Internetpräsenz besitzt. Darauf finden sich zwei goldene Plaketten – das Unternehmen wurde demnach 2017 und 2018 von der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) für seinen Arbeitsschutz prämiert.

Miculescu stammt aus Targoviste, Kreis Dambovita, im Süden Rumäniens und hat es dort zu einem Regionaloligarchen gebracht. In seiner Heimat gründete er schon in den frühen 2000ern Firmen zur Überlassung von Arbeitnehmern und für die Fleischproduktion.

Wenig später bereits dehnte er sein Netzwerk nach Deutschland aus. Im Jahr 2016 schließlich wollte er auch in der Politik Karriere machen. Für die als liberal geltende Partei PNL ließ er sich als Kandidat für die Regionalregierung aufstellen.

Im Wahlkampf kam es laut rumänischen Medienberichten zu unschönen Szenen. Die PSD, eine Art SPD-Pendant in Rumänien und die Partei seines Kontrahenten, bezeichnete er als „rote Pest“. Auf Wahlkampfveranstaltungen soll er Grillpartys geschmissen und die Besucher mit Fleisch aus seinem Betrieb bewirtet haben.

Sein Kontrahent warf ihm vor, lokale Geschäftsleute und Politiker eingeschüchtert und bedroht zu haben. Sie würden es zu spüren bekommen, sollten sie ihn nicht unterstützen. Miculescu soll damit geprahlt haben, die Polizei, die Steuerbehörde und das regionale Veterinäramt zu kontrollieren. Dennoch verlor er die Wahl deutlich, zog sich öffentlich zurück und kümmert sich seither offenbar hauptsächlich um sein Firmen-Netzwerk.

Setzt der Arbeitsvermittler Kritiker unter Druck?

Auch im Kreis Gütersloh eilt Miculescu ein Ruf voraus und es wäre überraschend, wenn nicht auch Clemens Tönnies genau wüsste, mit wem er hier Geschäfte macht. Gewerkschafter berichten von verängstigten Mitarbeitern, die bis in die Beratungsbüros beobachtet und fotografiert worden sein sollen – angeblich von Miculescus Leuten.

Er selbst zeigt sich der Öffentlichkeit in der Region nur selten. Bei einer Podiumsdiskussion der SPD im Jahr 2013 mit dem damaligen NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider, bei der es auch um die Machenschaften der Subunternehmer, um mutmaßlichen Steuerbetrug ging, verlor Miculescu die Beherrschung. „Alles Lüge“, habe er gebrüllt, berichten mehrere Augenzeugen. 

Dann soll er mit seinem Gefolge den Saal verlassen haben. Einige seiner Kritiker ließen sich an diesem Abend nach Hause begleiten, aus Furcht, jemand könnte ihnen auflauern.

Noch heute reden die Menschen, die mit dem System zu tun haben, nur ungern über Miculescu: „Dünnes Eis“, „Besser nichts sagen“. 

Der gläserne Haupteingang zu Miculescus Firmensitz ist an diesem Tag geschlossen.

„FÜR FREMDE PERSONEN EINTRIT FERBOTEN!“ steht auf einem Blatt im Fenster. Eine Treppe allerdings führt zu einem Seiteneingang, er steht offen. In einem kleinen Raum telefonieren zwei Frauen auf Rumänisch, auf den Schreibtischen stapeln sich Unterlagen. Briefe von der Agentur für Arbeit, ausgedruckte Chatverläufe.

Aus einem Hinterzimmer tritt ein Mann mit schwarzen Haaren und schwarzem T-Shirt.

Es ist nicht Miculescu.

Sondern Aurelian M. Auch er ist Geschäftsführer von mindestens zwei Firmen, die hier zusammenlaufen, war mal Chef von anderen. Auf seinem Facebook-Profil postet er Bilder von sich im Winterurlaub in Designer-Daunen-Jacke. Oder ein Video von der Abschlussfeier seiner Tochter an einer Schweizer Privatuniversität. Ein Abschluss kostet hier bis zu 130.000 Euro.

Er schimpft. Keine Zeit habe er für Journalisten, die Arbeiter seien wichtig, zu viel zu tun, er könne jetzt nicht sprechen. Miculescu selbst, sagt er, wäre gerade unterwegs in die Unterkünfte, um Essen an die Arbeiter zu verteilen, sich zu erkundigen, wer einen Arzt brauche.

Tönnies soll sich mit Miculescu öfter getroffen haben

Später wird M. am Telefon sagen, das passiere in Zusammenarbeit mit der Firma Tönnies. Eine der Bürodamen sagt zudem, Miculescu und Clemens Tönnies selbst hätten sich in den vergangenen Tagen „öfter getroffen“. Auf Anfrage betont Tönnies, es bestehe eine rein geschäftliche Verbindung zu Miculescu, private Beziehungen gebe es nicht. Miculescu selbst antwortet auf weitere Anfragen dieser Zeitung nicht.

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Der Firmensitz des Tönnies-Konzern in Rheda-Wiedenbrück

Wie viele Menschen allein Miculescu nach Deutschland vermittelt hat, weiß niemand, vielleicht nicht mal er selbst. Allein im Kreis Gütersloh soll es weit über 1000 Unterkünfte geben. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat drei von ihnen besucht und mit mehreren Arbeitern gesprochen, die angeben, in Tönnies Fabrik tätig zu sein.

Sie alle erzählen eine ähnliche Geschichte von viel Arbeit, aber auch von viel Geld, das sie in die Heimat schicken können. Sie alle sind nicht unzufrieden, zumindest waren sie es nicht, bis die Quarantäne kam.

Jetzt wollen einige nur noch weg. Fühlen sich alleingelassen. Und tatsächlich ließ man sie offenbar in den vergangenen Tagen allein. Viele Arbeiter erfuhren aus den Medien, dass der Schlachtbetrieb geschlossen wurde. Weder von Tönnies noch den Subunternehmern hätten sie Informationen bekommen.

Tönnies, Milliardär, Vorsitzender des Schützenvereins, Gönner, fiel schon in der Vergangenheit eher durch Hilfe für seine Heimatstadt auf als für rumänische Arbeiter. Steht in Rheda-Wiedenbrück ein sportliches, kulturelles oder soziales Projekt an, ist er oft der erste Förderer.

Den Bau der neuen Stadthalle etwa, ein 13-Millionen-Projekt, hat er großzügig unterstützt. Man kann davon ausgehen, dass Tönnies auch der mit Abstand größte Gewerbesteuerzahler der Stadt ist, auch wenn die sich dazu nicht äußern will.

Doch die sozialen Folgekosten werden steigen. Nicht nur für Rheda-Wiedenbrück, für den ganzen Kreis Gütersloh. Eine Erhebung, die dieser Redaktion vorliegt, zeigt, dass sich allein in der Stadt Gütersloh die Zahl der Rumänen innerhalb von acht Jahren fast verdreifacht hat.

Mehr als die Hälfte der Werkvertragsarbeiter, zu diesem Schluss kommt die Studie aus Rheda-Wiedenbrück, hat den Wunsch, dauerhaft in Deutschland zu leben. Die Sprache beherrscht bisher kaum einer von ihnen, weil die Zeit für Kurse und Integration neben der Arbeit im Schlachtbetrieb fehlt.

Aleks kann ein bisschen Deutsch. Er kommt aus Opole, im Süden von Polen, sagt er, seit neun Jahren ist er immer mal wieder für Arbeit im Land, jetzt zum ersten Mal in der Fleischverarbeitung.

Die Kappe tief ins Gesicht gezogen sitzt er am Fenster. Hinter ihm sein Zimmer. Drei Betten ohne Bezüge und ohne Kissen. Zwei Schränke. Hundert Euro, sagt Aleks, zahlt er Miete. Dazu 50 Euro im Monat in bar an einen Fahrer, der ihn zum Tönnies-Werk bringt. Auch hier, sagt Aleks, würden alle Bewohner bei Tönnies arbeiten.

Auch hier steht die Haustür offen. Auch hier ist von Security oder Kontrolle nichts zu sehen. Hier ist mitten in der Gütersloher Innenstadt. Direkt gegenüber der Unterkunft liegt das Amtsgericht, daneben das Jobcenter. Rentner mit vollen Einkaufstüten laufen vorbei, vielleicht ein Meter trennt sie von dem Mann am Fenster.

Auf die Frage, ob man in sein Zimmer kommen dürfte, antwortet Aleks: „Nein, ich bin Corona-positiv.“

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