Grüne Jugend kritisiert Start der NRW-Koalition„Innenpolitik muss grüner werden“

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Nicola Dichant

  • Tödlicher Einsatz in Dortmund zeige, dass der "Law-and-Oder-Kurs" von Innenminister Reul (CDU) hochriskant sei, sagt Nicola Dichant.
  • Die Sprecherin der Grünen Jugend fordert einen gesetzlichen Mietpreisstopp, um Inflationsfolgen abzumildernmildern.
  • Die Jungpolitiker sind solidarisch mit den Klimaschützern bei Lützerath.
  • Ein 29-Euro Ticket soll auf das 9-Euro-Angebot folgen.

Düsseldorf – Die Kölnerin Nicola Dichant ist die Sprecherin der Grünen Jugend in NRW. Frau Dichant, die Inflation stellt die einkommensschwachen Haushalte vor große Probleme. Was erwarten Sie von der schwarz-grünen Landesregierung?

Die Inflation droht in den nächsten Monaten für eine große Zahl von Menschen zur Existenzbedrohung zu werden. Es zeichnet sich ab, dass viele Mieter*innen die Kosten für Heizung und Strom nicht mehr bezahlen können. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs die Menschen in NRW in die Existenznot treiben. Deshalb brauchen wir jetzt sofort einen gesetzlichen Mietpreisstopp - und die Zusicherung, dass bis auf Weiteres keine Zwangsräumungen zulässig sind. Auch bei der Lebensmittelversorgung sind wir notgedrungen gezwungen, neue Wege zu gehen. Die Tafeln sind schon jetzt an der Belastungsgrenze.

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Tafeln sind für arme Menschen eine Anlaufstelle. Hier bekommen sie kostenlos Lebensmittel.

Wie kann den Tafeln geholfen werden?

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Im ersten Schritt sollten die Tafel-Vereine finanziell besser ausgestattet werden. Wenn die bisherigen Strukturen nicht ausreichen, muss der Staat eingreifen, damit auch einkommensschwache Menschen ihren Bedarf an Lebensmitteln decken können. Es darf nicht sein, dass Menschen in NRW wegen der dramatischen Preissteigerungen für Lebensmittel nicht genug Geld in der Tasche haben.

Die Grüne Jugend hat dem Koalitionsvertrag von CDU und Grünen nicht zugestimmt. Wie zufrieden sind Sie mit dem Start von Schwarz-Grün?

Der Regierungsapparat ist durch die Sommerpause noch nicht richtig in Gang gekommen, deswegen ist es für ein Fazit zu früh. Der tödliche Polizeieinsatz in Dortmund zeigt aber in tragischer Weise, wie berechtigt unsere Sorgen über den innenpolitischen Kurs der Landesregierung sind. Eine grüne Handschrift dort ist nicht zu erkennen – das geht mir stark gegen den Strich. Die Innenpolitik muss deutlich grüner und progressiver werden.

Was ist in Dortmund schief gelaufen?

Die Ermittlungen dazu laufen noch. Aber für mich ist klar: Wenn sich ein junger Mensch in einer psychischen Notlage befindet, ist die Polizei eher nicht der richtige Ansprechpartner. Der Anblick einer Maschinenpistole wirkt in einer solchen Situation sicher nicht beruhigend. Es wäre vielleicht klüger gewesen, psychologisch geschulte Personen hinzuzuziehen, statt die Lage mit Gewalt zu beenden. Dafür wären Teams mit zum Beispiel psychologisch geschulten Fachkräften, Sanitäter*innen und Streetworker*innen eine erste Idee. Die Polizei hat den Auftrag, die Bürger*innen zu schützen. Viele Menschen haben jedoch offenbar nicht das Gefühl, bei ihr in guten Händen zu sein.

Dortmund 100822

Kerzen erinnern an den 16-jährigen Jugendlichen, der von der Polizei Dortmund getötet wurde.

Andererseits hat der „Null-Toleranz-Kurs“ von NRW-Innenminister Herbert Reul aber wohl mit zum Sieg der CDU bei der Landtagswahl im Mai beigetragen…

Das heißt ja nicht, dass der Kurs richtig ist. Menschen, bei denen ein Migrationshintergrund vermutet wird, werden deutlich häufiger kontrolliert als Menschen, bei denen das nicht der Fall ist. Das ist für mich ein Warnsignal. Die Betroffenen beklagen einen latenten Rassismus bei der Polizei. Der muss dringend abgestellt werden. Wir verlangen dazu eine wissenschaftliche Studie, die auch Handlungsempfehlungen vorlegt. Das könnte einen Beitrag leisten, um verlorenes Vertrauen wieder herzustellen. Der Einsatz von Tasern sollte nicht erst – wie im Koalitionsvertrag vereinbart - 2024, sondern sofort auf den Prüfstand gestellt werden. In Dortmund hat sich erneut gezeigt, dass Elektroschocker als Einsatzmittel dringend auf den Prüfstand gehören und unser Meinung zufolge nicht geeignet sind.

Die Grünen Ministerinnen Neubaur und Paul behalten ihre Landtagsmandate, um für den Fall eines Scheiterns von Schwarz-Grün politisch abgesichert zu sein. Was sagen Sie dazu?

In den meisten Fällen ist die Grüne Jugend für eine Trennung von Amt und Mandat. Am Ende muss jeder selbst entscheiden, was er persönlich für richtig hält. Niemand kann vorhersehen, ob Schwarz-Grün fünf Jahre Bestand hat oder nicht.

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Ein Protestplakat am Rande des Tagebaus Garzweiler

Wäre es das Aus für Schwarz-Grün, wenn RWE das Dorf Lützerath wegbaggern würde?

Ich gehe nicht davon aus, dass das passiert. Niemand wird sich eine Wiederholung der Situation wie im Hambacher Forst wünschen, wo es bei der Räumung bekanntlich zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Aktivisten und der Polizei gekommen ist. Fest steht, dass wir, die Grüne Jugend, an der Seite der Klimaschützer stehen. Falls RWE Fakten schaffen will, werden wir uns den Baggern entgegenstellen.

NRW steht vor dem dritten Corona-Winter. Was erwarten Sie von Schwarz-Grün?

Ich finde es schade, dass die allgemeine Impflicht nicht durchgesetzt wurde und hoffe jetzt, dass viele Menschen freiwillig zur vierten Impfung gehen. Darauf sollte sich das Land jetzt vorbereiten. Man muss die Kapazitäten aufbauen und die Impfzentren wieder an Netz nehmen, falls das nötig wird. Derzeit spielt das Thema Impfungen leider nur eine untergeordnete Rolle.

Reicht die Auffrischung des Impfschutzes aus?

Nein. Im Herbst sollten auch die Bürgerstests, die viel gebracht haben, um die Pandemie einzudämmen, wieder kostenfrei angeboten werden. An den Schulen muss die extrem kurzfristige Kommunikation ein Ende haben. Viele Kinder haben unter Corona massiv gelitten, deswegen muss das Schulministerium ein Konzept für einen sicheren Unterricht vorlegen. Auch die Eltern und vor allem die Alleinerziehenden brauchen eine Planungsperspektive. Das von Schwarz-Gelb produzierte Chaos darf sich nicht wiederholen.

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Wie soll es mit dem 9-Euro-Ticket weiter gehen?

Andere Bundesländer haben bereits eigene Nachfolgeregelungen vorgelegt. Es wäre aber sinnvoll, wenn es eine bundesweite Lösung, also eine Weiterführung des 9-Euro-Tickets, geben würde. Falls diese nicht kommt, muss das Land Geld in die Hand nehmen. Auch ein Ticket, wie es die Grüne Bundestagsfraktion vorgeschlagen hat für 29 Euro, mit dem man landesweit fahren kann, halte ich für sozial gerecht.

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