Kölner Politiker Jochen Ott„Wir brauchen für die Abi-Prüfungen Rechtssicherheit”

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Jochen Ott (SPD)

  • Fallen die Abiturprüfungen in diesem Jahr in NRW aus? Dazu will die Landesregierung am Mittwoch einen Plan vorlegen.
  • Der Kölner Bildungspolitiker Jochen Ott (SPD) hat sich mit dem Thema intensiv befasst. Er kritisiert die fehlende Chancengleichheit für Schüler in der Corona-Krise.
  • Im Interview erklärt er unter anderem, warum er in einem aus Vornoten gebildeten Abitur keinen Makel sieht und wie mit dem Problem umzugehen ist, dass viele Lehrer zur Corona-Risikogruppe gehören.

Köln – Herr Ott, am Mittwoch soll darüber entschieden werden, wie es mit dem Abitur weitergeht. Ist der Zeitpunkt richtig gewählt?

Jochen Ott: Ich hätte mir gewünscht, wir wären in NRW längst weiter und hätten mögliche Szenarien nicht nur im Ministerium vorbereitet, sondern auch mit den Experten im Schulausschuss des Landtags diskutiert. Egal wie entschieden wird, die Schulen und unsere Städte und Gemeinden brauchen mindestens eine Woche Vorlauf.

Wie gut konnten sich die Abiturienten in den vergangenen Wochen auf die Prüfungen vorbereiten?

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Die Einen sicher gut, die Anderen waren mit Geschwisterbetreuung beschäftigt oder mussten ohne vernünftigen Arbeitsplatz versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. Einige haben Sorgen um ihre eigene Gesundheit oder die ihrer Familienmitglieder.

Verzerrt die Corona-Krise die Chancengleichheit?

Es ist jedenfalls offensichtlich, dass die Krise nicht zu mehr Chancengleichheit führt. Die digitale Ausstattung der Schüler ist völlig unterschiedlich. Damit haben nicht alle Schüler gleich gute Möglichkeiten, um sich auf die Prüfung vorzubereiten.

Welche Gründe sprechen dafür, die Prüfungen wie geplant durchzuziehen?

Viele, die sich gut vorbereitet haben, möchten natürlich ihre Prüfung ablegen und haben Sorge, dass andernfalls Nachteile im späteren Lebensweg drohen. Deshalb muss Rechtssicherheit hergestellt und ihnen diese Sorge genommen werden. Der deutsche Lehrerverband, aus Bayern geführt, argumentiert verantwortungslos, wenn er die Priorität allein auf Prüfungen legt, zumal Bayern als letztes Land in die Sommerferien geht und sich damit am meisten Zeit lassen kann. Gemeinsame Vorgehensweise der Länder heißt nicht, dass einer diktiert.

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Viele Lehrer gehören altersbedingt zur Risikogruppe. Was bedeutet das für das für mögliche Abiturprüfungen?

Wir müssen abwägen, ob die Durchführung des Abis mehr nutzt als schadet – und wer welchen Preis dafür bezahlen muss. Ich erwarte von den Ministerpräsidenten und der Kanzlerin, dass sie nicht ideologisch entscheiden, sondern den Eltern und Schüler transparent machen, welche Konsequenzen damit verbunden sind. Ein Beispiel: Zieht man zehn bis zwanzig Prozent der Lehrer ab, die zu den Risikogruppen gehören, stellt sich sofort die Frage, ob die Verbleibenden die Durchführung von Prüfungen und die Beschulung aller anderen Kinder und Jugendlichen gleichzeitig ermöglichen können.

Ist es denn richtig, den großen Teil der Schüler zu Hause zu halten, damit man eine kleinere Gruppe prüfen kann?

Nein, das ist der falsche Weg. Auch die Leopoldina sagt, man solle für die anderen Schülerinnen kleinere Gruppen bilden, dafür braucht man Personal, das wir nicht haben. Wenn Armin Laschet und Schulministerin Gebauer die gemeinsame Runde von Ministerpräsidenten und Kanzlerin zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen machen wollen, dann müssen sie den Eltern sagen, wenn sie Prüfungen priorisieren, ob dann Unterricht für alle anderen Schüler stattfinden kann. Sicher ist es nachvollziehbar eine gemeinsame Vorgehensweise in Deutschland anzustreben, aber der Preis für NRW muss bekannt sein. Wir brauchen eine transparente und nachvollziehbare Entscheidung.

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Gibt es beim Abitur eine unterschiedliche Ausgangslage für Gesamtschulen und Gymnasien?

Die Gesamtschulen müssen die Abschlussprüfungen für die 10 und das Abitur durchführen. Damit wären noch mehr Lehrer in Prüfungen gebunden. Aber für mich gehören alle Abschlüsse in den Blick der Öffentlichkeit: Auch die der Förder-, Haupt-, Real-, und Berufsschüler.

Im Schulministerium gibt es auch Pläne, die Abiturprüfung notfalls ausfallen zu lassen. Wie käme der „Plan B“  Ihrer Meinung nach  bei den Betroffenen an?

Viele Eltern und Schüler würden es begrüßen, wenn die Abiturprüfungen ausfielen. Ein einvernehmliches Vorgehen im Landesparlament wäre für solche Pläne zielführend. Übrigens: Frankreich hat die Prüfungen dieses Jahr ausgesetzt.

Wäre es fair, eine Abinote und andere Abschlussnoten aus Vornoten zu ermitteln?

Das ist eine Frage, die geklärt werden muss. Sonst wird es keine Akzeptanz für eine solche Regelung geben. Das Schulministerium müsste offen legen, wie in den letzten Jahren die Abschlussnoten von den Vornoten der einzelnen Abschlussprüfungen abgewichen haben. Dann ergibt sich die Antwort von selbst.

Sollte es die Option geben, sich durch freiwillige Prüfungen verbessern zu können?

Ich würde freiwillige Prüfungen, bei denen sich Schüler verbessern können, für wünschenswert halten. Ob es allerdings unter dem Kriterium Rechtssicherheit möglich ist, muss das Ministerium darstellen.

Wäre ein „Notabitur“ 2020 und die anderen Abschlüsse 2020 ein Abschluss zweiter Klasse?

Nein, im Gegenteil, unsere Schüler werden in unseren Schulen gut vorbereitet. Viele Leistungen werden schon vor den Abschlussprüfungen erbracht. Unter den aktuellen Umständen sehe ich in einem Abitur, das aus Vornoten ermittelt wird, keinen Makel.

Die Leopoldina schlägt vor, die Kitas bis nach den Sommerferien zu schließen. Halten Sie das für vermittelbar, wenn es an den Schulen viel früher weitergehen sollte?

Nein, auch die Kita-Kinder brauchen andere Kinder und deren Eltern die Chance wieder arbeiten zu gehen. Das deutsche Kinderhilfswerk weist daraufhin, wie wichtig gerade für die seelische Gesundheit aller Kinder ein kleines Stück zurück zur Normalität hin ist. Ich hoffe es gibt hier noch bessere Lösungen.

Die Leopoldina empfiehlt, den Unterricht zunächst mit den Hauptfächern zu starten. Sehen Sie das auch so?

Ich wünsche mir die Zeit und das Angebot zu einem Austausch zwischen Lehrern und Schülerin über das, was sie in der Krise erlebt haben. Und über die notwendigen Veränderungen beim Aufbau digitalen Lernens. Biologie, Chemie, Religion, Philosophie und Sozialwissenschaften sind doch jetzt spannende Themen. Zudem sollten Bewegung und Kreativität sollten in den zehn Wochen bis zu den Sommerferien in den Blick genommen werden. Die Fächer, die die Wissenschaftler vorschlagen, erschließen sich angesichts der Ausnahmesituation allenfalls für die Oberstufen und die Berufskollegs.

Das Gespräch führte Gerhard Voogt

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