Livetalk mit Stamp und Neubaur„Wir können nicht ewig in einer Angstspirale bleiben“

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Joachim Stamp im Gespräch mit Mona Neubaur.

  • Beim Livetalk des „Kölner Stadt-Anzeiger" in der Wolkenburg wird deutlich: Grüne und FDP können sich vorstellen, künftig gemeinsam in einem Dreierbündnis zu regieren.
  • Joachim Stamp (FDP): „Wir brauchen die gemeinsame Initiative, dass wir die Energiewende hinkriegen. Da gibt es bei uns niemanden, der bremsen wird.“
  • Mona Neubaur (Grüne): Ärzte und Pfleger „sind in der Pandemie über sich hinausgewachsen sind. Die können nicht mehr.“

Köln – In Berlin regieren Grüne und FDP in der Ampel bereits miteinander, in Düsseldorf könnte das nach der Landtagswahl auch eine Option sein. „Wie geht es nach dem 15. Mai weiter?“, fragt Chefredakteur Carsten Fiedler beim Live-Talk des „Kölner Stadt-Anzeiger“ in der Kölner Wolkenburg – und eins wird deutlich: Die grüne Spitzenkandidaten Mona Neubaur und Familienminister Joachim Stamp (FDP) können sich  vorstellen, an einem möglichen Dreier-Bündnis mitzuwirken.

Ob Ampel oder Jamaika? Natürlich würden die Liberalen am liebsten mit der CDU weiter regieren. Die habe eine „andere Seriosität“ als die Bundes-CDU. „Die Frage ist nicht, ob wir uns programmatisch spinnefeind sind“, sagt Neubaur. „Ich verstehe diese Freude an den Debatten, welche Farben sich ergeben.“

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Chefredakteur Carsten Fiedler mit Mona Neubaur (Grüne) Joachim Stamp (FDP) und Landeskorrespondent Gerhard Voogt (v.l.).

Die Realität zeige aber gerade, dass Demokratie keine „Lifestyle-Sache“ sei. Zum Wahlkampf gehöre die Auseinandersetzung, doch nach der Wahl müsse man „miteinander gesprächsfähig sein“. Stamp und Neubaur sind es. Ein Auszug aus den Themen des Abends.

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Der Angriffskrieg Putins auf die Ukraine

Joachim Stamp hat bei Gesprächen mit Nicht-Regierungsorganisationen in der Hauptstadt des Niger vom Einmarsch der russischen Truppen erfahren. „Wir sprachen über die katastrophale Ernährungssituation in der Sahelzone.“ Diese werde sich durch den Krieg „noch einmal dramatisch verschärfen“, so Stamp. „Wir haben das große Risiko, dass im nächsten halben Jahr dort zehn bis zwölf Millionen Menschen durch Hunger zum Tod kommen können.“

Am 24. Februar sei es wahrscheinlich vielen Menschen beim Blick auf das Smartphone so ergangen. „In dem Moment war schon klar, ab heute leben wir in einer anderen Welt“, sagt Mona Neubaur. „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass es eine lange kriegerische Auseinandersetzung geben wird.“ Bei allen Sanktionen, die man gegen Russland und Putin beschließe, müssten sich die Politik und die Gesellschaft klar darüber sein, dass sie lange durchgehalten werden müssen. „Die Zeichen, die Putin sendet, interpretiere ich so, dass er den Systemkampf gegen die westlichen Demokratien eröffnet hat.“

Die Lage der Flüchtlinge

Die Einheit und Geschlossenheit der Europäischen Union, ihre Werte zu verteidigen, sei beeindruckend, findet Neubaur. Jetzt müsse die Verteilung der Geflüchteten in der EU organisiert werden. „Wir brauchen einen Verteilmechanismus und die Bereitstellung der humanitären Hilfe für die Staaten, die mehr aufnehmen als andere.“ Verteilung, Struktur und Organisation müsse nicht nur auf europäischer, sondern auch auf Bundes- und NRW-Ebene besser werden. „Da wissen Sie uns an Ihrer Seite“, sagt Neubaur zu Stamp.

Das Land habe neun zusätzliche Einrichtungen nur für Menschen aus der Ukraine errichtet, so Stamp. Die Qualität sei allerdings sehr unterschiedlich. Das reiche vom gehobenen Jugendherbergsniveau bis zu Messehallen. „Wir haben es geschafft, in diesen Wochen mehr als 90.000 Menschen unterzubringen. Das ging nur, weil unglaublich viele Leute ehrenamtlich fantastisch mitgeholfen haben.“ NRW sei gut sortiert, aber wenn der Konflikt weiter eskaliere und noch mehr Menschen zur Flucht gezwungen seien, „werden wir das ohne eine weitere internationale Verteilung nicht schaffen.“ Kanzler Scholz müsse darauf drängen, dass es zu einer „echten Vereinbarung“ kommt.

Die Energiekrise

Für die Grünen sei es „alles andere als eine Selbstverständlichkeit, auf LNG-Gas zurückzugreifen, die ernsthafte Prüfung des Weiterbetriebs von Kernkraftwerken vorzunehmen, 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr zuzustimmen“, sagt Neubaur. Die Grünen gingen diesen Weg, weil sie eine relevante politische Kraft seien. Die Abhängigkeit Deutschlands von fossilen Rohstoffen sei ein Problem. „Es geht jetzt nicht darum zu sagen, die anderen sind schuld.“ Deutschland müsse diese Abhängigkeit so schnell wie möglich abstellen.

„Wir brauchen den Booster für die Erneuerbaren, weil wir damit eine dezentrale, demokratische und sichere Energieversorgung haben. Die einen nennen es rhetorisch sehr gut Freiheitsenergien. Wir kümmern uns, dass sie jetzt auch kommen.“

Bei der Atomkraft könne man sehen, „was die neue Realität für grüne Verantwortungsträger bedeutet“, sagt Neubaur. „Es gibt gerade eine Sache, die ist größer als das Bundestagswahlprogramm.“ Deshalb habe Wirtschaftsminister Habeck geprüft, ob die Verlängerung der drei Kernkraftwerke über 2022 hinaus „eine Lösung bieten kann, um die Abhängigkeit von russischen Importen kurzfristig abzufedern.“ Das Ergebnis sei negativ, weil das Uran für die Brennstäbe aus Russland kommt, auch wenn das „nicht zwingend“ so sein müsse und die Kraftwerke müssten einer großen Sicherheitsprüfung unterzogen werden. Die sei 2019 wegen der dreijährigen Restlaufzeit nicht mehr erfolgt. Deshalb stünden die Kraftwerke für den kommenden Winter als Puffer gar nicht zur Verfügung.

Die FDP sei nicht der Bremser bei den erneuerbaren Energien, sagt Stamp. Wenn es bei der Frage der Abstandsregelung für Windkraftanlagen einen Konsens aller Bundesländer gebe, werde die FDP das mittragen. „Wir haben doppelt so viel ausgebaut als Bayern und Baden-Württemberg zusammen. Da sollte man die Kritik nicht nur an uns richten.“ Die neue Bundesregierung habe eine extreme Beschleunigung der Planungsverfahren beschlossen. „Das verbindet uns“, sagt Stamp mit Blick auf die Grünen. „Wir brauchen die gemeinsame Initiative, dass wir  die Energiewende hinkriegen. Da gibt es bei uns niemanden, der bremsen wird.“

Das Auslaufen der Corona-Schutzmaßnahmen

„Ist es richtig, die Pandemie am grünen Tisch zu beenden oder besteht nicht die große Gefahr, dass wir im Herbst wieder bei Null anfangen?“, fragt Chefredakteur Carsten Fiedler. „Wir sind ab dem 2. April nicht schutzlos“, antwortet Stamp.

Sollte es eine neue Virus-Variante geben, seien Bundestag und Bundesrat binnen einer Woche in der Lage, alle Schutzmaßnahmen  zu ermöglichen. Einziger Unterschied: Die Ministerpräsidenten könnten darüber nicht mehr entscheiden. Eine  Ministerpräsidentenkonferenz sei in der Verfassung nicht vorgesehen. „Dafür haben wir die Parlamente.“ Die FDP habe in Phasen, als Menschenleben gefährdet waren, „harte Grundrechtseingriffe mitgetragen“. Man könne nicht „ewig in einer Angstspirale“ bleiben.

Die Omikron-Variante wegen der milden Krankheitsverläufe das Auslaufen der meisten Schutzmaßnahmen zu. Bis heute sei man nicht in der Lage, zu unterscheiden, ob Menschen wegen einer Corona-Infektion in die Klinik müssten oder die Infektion dort festgestellt werde, weil sie wegen einer anderen Krankheit eingeliefert würden. Das sei für die Beurteilung des Pandemieverlaufs  maßgebend.

Mona Neubaur widerspricht. Ein Freedom-Day beeinflusse das Infektionsgeschehen nicht. Es gehe nicht darum, eine Angstspirale „am Laufen zu halten“. Deutschland habe 24 Monate Pandemie deshalb so gut überstanden, weil Pflegepersonal und  Ärzte „über sich hinausgewachsen sind. Die können  nicht mehr.“ Denen sage man jetzt, Omikron sei  nicht so schlimm und „wir applaudieren dann wieder im Winter, wenn es ganz schlimm wird“.

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Da sei es nicht zu viel verlangt, zumindest die Maskenpflicht als „mildes Mittel“ beizubehalten. Dass NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) den Schulen untersagen wolle, sie anzuwenden, sei nicht in Ordnung. „Dafür müssen wir eine  Regelung finden.“ Neubaur kritisiert, dass alles  offen sei. „Wie beobachten wir das Infektionsgeschehen, wie gehen wir mit den Testzentren um und wie behalten den Überblick?“ Vorsorge müsse im Krisenmanagement das Grundprinzip sein.

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