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Atom-BehälterWarum NRW die Castor-Transporte nicht mehr stoppen kann

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So sieht es im Atom-Zwischenlager in Ahaus aus.  Auf einem Schild in der östlichen Lagerhalle steht: „Kontrollbereich - Vorsicht Strahlung“

So sieht es im Atom-Zwischenlager in Ahaus aus. Auf einem Schild in der östlichen Lagerhalle steht: „Kontrollbereich - Vorsicht Strahlung“. 

Seit Jahrzehnten wird in NRW über den Umgang mit dem Atommüll im Zwischenlager Jülich diskutiert. Im Herbst soll der Großeinsatz nun starten.

Das Material in den 152 Castoren gilt als hochbrisant. Im Atom-Zwischenlager Jülich lagern rund 300.000 Brennelemente-Kugeln, jede so groß wie ein Tennisball. Sie stammen aus dem AVR-Hochtemperaturreaktor des Forschungszentrums und eine Sicherheitsexpertin behauptet in einem Gutachten, bei einem Unfall könnte die austretende Strahlung in einem Umkreis von 120 Metern absolut tödlich wirken. 

Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) glaubt dagegen nicht, dass von den Castoren ein unbeherrschbares Sicherheitsrisiko ausgeht. Die Behörde sorgte mit der Ankündigung, dass die Genehmigung der Castor-Transporte von Jülich ins Zwischenlager Ahaus im Münsterland unmittelbar bevorsteht, für einen politischen Paukenschlag. Die schwarz-grüne Landesregierung hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag im Sommer 2022 dazu bekannt, Atom-Transporte möglichst verhindern zu wollen. Wie passt das zusammen? Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wieso spitzt sich die Lage jetzt zu?

In der Anti-AKW-Bewegung und bei den Grünen war der Aufschrei nach der Mitteilung des Bundesamts groß. Landeschef Tim Achtermeyer erklärte, die Transporte seien „politisch falsch und gefährlich“ und müssten unbedingt verhindert werden. Für die zuständigen Experten im NRW-Wirtschaftsministeriums, das von der Grünen Mona Neubaur geführt wird, kam die Nachricht aus Berlin indessen wenig überraschend. Erstens hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster bereits im Dezember vergangenen Jahres eine Klage der Stadt Ahaus gegen die Einlagerung abgewiesen - und damit den Weg für die Transporte frei gemacht. Zweitens lag der Entwurf für die Transportgenehmigung des BASE in Düsseldorf seit Monaten vor.  

Warum können die Castoren nicht in Jülich bleiben?

Das Lager besitzt keine Betriebserlaubnis. Weil die Anlage angeblich nicht erdbebensicher war, hatte das NRW-Wirtschaftsministerium als Atomaufsicht im Jahr 2014 (damals regierte die rot-grüne Landesregierung unter Führung von Hannelore Kraft) eine Räumungsverfügung erlassen – und die gilt bis heute. „Ein Widerruf der Anordnung scheidet rechtlich aus, da der ungenehmigte Zustand weiter fortbesteht“, heißt es in einem Sachstandsbericht des NRW-Wirtschaftsministeriums.  Im „Rahmen der Behördenbeteiligung“ sei man in die Planungen des BASE eingebunden gewesen. Den zuständigen Experten im NRW-Wirtschaftsministerium war also lange klar, dass es eine Frage von wenigen Monaten sein würde, bis die Genehmigung kommen würde.  Schließlich konnten auch von Seiten des Neubaur-Hauses „weder rechtliche noch fachliche Einwände“ vorgetragen werden, die „eine Genehmigung der Transporte“ hätten verhindern können, heißt es in dem Positionspapier.

Kann das bestehende Atom-Lager nicht modernisiert werden?

Offenbar nicht. Das BASE hatte das Erdbeben-Thema zwar nach einer erneuten Prüfung im Jahr 2022 abgeräumt und dem Lager bescheinigt, vor Erdstößen sicher zu sein. Allerdings wurden danach neue schwerwiegende Mängel aufgezeigt. Nun gilt unter anderem das IT-System als zu unsicher. Eine Modernisierung, die sämtliche Defizite beseitigen könnte, wäre technisch kaum zu realisieren.

Warum wurde nicht längst mit der Planung für einen Neubau begonnen?

Ein Neubau in Jülich stand wegen der Erdbeben-Problematik bis zum Jahr 2022 nicht auf der Agenda und wurde auch seitdem planerisch nicht mit Nachdruck verfolgt. Die Errichtung eines modernen Atomlagers würde mindestens zehn Jahre dauern. Und weil die jetzige Lagerung bereits seit 2014 illegal ist, tickt die Uhr besonders laut.

Schwarz-Grün spricht sich für einen Neubau aus – was wurde konkret dafür unternommen?

„Wir setzen uns für eine Minimierung von Atomtransporten ein. Im Fall der in Jülich lagernden Brennelemente bedeutet dies, dass wir die Option eines Neubaus eines Zwischenlagers in Jülich vorantreiben.“ Auf diese Passage hatten sich CDU und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag von Sommer 2022 verständigt. Die Grünen feierten den Punkt als Erfolg,  dem damaligen CDU-Chefverhandler Hendrik Wüst fiel die Zustimmung nicht schwer, weil es in seiner münsterländischen Heimat große Bedenken gegen die Einlagerung in Ahaus gibt. Der nicht unmaßgebliche Hinweis auf einen Finanzierungsvorbehalt findet sich im Koalitionsvertrag allerdings nicht. Konkrete Anträge für einen Neubau wurden nie gestellt. Als Nachweis für eine konkrete Bemühung, das Projekt voranzubringen, wird ins Feld geführt, das Land habe der Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen (JEN) geeignete Flächen zur Errichtung des Neubaus zum Kauf angeboten. Das Bundesforschungsministerium habe die Mittel für den Grundstücksankauf aber nicht bewilligt.  

Warum wurde das Thema Neubau nicht forciert?

Der Haushaltsausschuss im Bundestag entschied am 30. November 2022, auch mit den Stimmen der Grünen: Wenn NRW nicht die Mehrkosten des Neubaus eines Zwischenlagers zahlt, soll die Transportoption verfolgt werden. Während für den Transport (ohne Polizeikosten) 100 Millionen veranschlagt wurden, müssten für einen Neubau rund 500 Millionen Euro aufgebracht werden. Dem Land wurde aufgegeben, die Differenz von 400 Millionen Euro aus dem NRW-Etat zu bezahlen. Ein „Game-Changer“, den man zur Kenntnis nahm, ohne eine Aktion daraus abzuleiten. In dem Sachstandspapier heißt es: „Ein Zwischenlagerneubau alleine aus Landesmitteln ist nicht finanzierbar und bildet die Verantwortlichkeiten nicht sachgerecht ab.“ Heißt im Klartext: Die Neubau-Perspektive existierte seit drei Jahren nur noch auf dem Papier. Wenn demnächst wieder Castor-Transporte durch das Land rollen würden, dann hätten sie ein „Düsseldorfer Kennzeichen in schwarz-grünen Farben“, sagt SPD-Wirtschaftsexperte André Stinka. Die Landesregierung habe „Nichtstun zur Strategie erklärt“ und zeige wieder einmal scheinheilig nach Berlin. 

Besteht noch eine Möglichkeit, die Transporte zu verhindern?

„Wir erwarten vom zuständigen Bundesumweltminister Carsten Schneider, dass er schnell mit der NRW-Landesregierung eine Lösung zum Stopp der risikoreichen Castor-Transporte findet“, sagt Dirk Jansen, Geschäftsführer des BUND in NRW. Gleichzeitig erhoffe man sich von Wirtschaftsministerin Neubaur einen „verstärkten Einsatz“, um den „seit Jahren verschleppten Neubau“ zu forcieren. Auch Grünen-Chef Achtermeyer sieht den SPD-Politiker Schneider in der Pflicht, wolle dieser nicht zum „Castor-Carsten“ werden. „Er darf den Transporten nicht zustimmen und muss dafür sorgen, dass das Zwischenlager Jülich endlich wieder eine Genehmigung erhält“, verlangt Achtermeyer. Dass der Bund seine Haltung ändert, gilt allerdings als wenig wahrscheinlich.

Wie sollen die Transporte ablaufen?

Um drohende Proteste zu entzerren, werden die 152 Castoren wohl über einen Zeitraum von zwei bis vier Jahren von Jülich nach Ahaus transportiert. Die Entfernung beträgt rund 170 Kilometer. In Ahaus wurden bereits zwei Kreisverkehre umgebaut, um den Spezialfahrzeugen die Durchfahrt zu ermöglichen. Geplant ist, die Schwertransporte nachts auf die Reise zu schicken. Ein Probelauf im Jahr 2023 dauerte vier Stunden. 

Wie bereitet sich sie Polizei vor?

Wenn die Transportgenehmigung des BASE vorliegt, benötigt die Polizei  rund acht Wochen für die Vorbereitung. In Sicherheitskreisen wird befürchtet, dass polizeibekannte militante Klimaschützer auch bei den Anti-Castor-Protesten für Ausschreitungen sorgen könnten. Die Einbindung von Einsatzhundertschaften aus Nachbarländern sei aber bislang nicht geplant, hieß es.“

Wie sicher ist das Lager in Ahaus?

Das Zwischenlager Ahaus ist in die Jahre gekommen. Nach den Terrorangriffen im Jahr 2001 wurde die Außenhülle zwar modernisiert. AKW-Gegner glauben aber nicht, dass eine Wandstärke von 75 Zentimetern geeignet ist, um zum Beispiel einen Angriff mit Drohnen zu überstehen. Weil Ahaus – wie Jülich – nicht mehr dem Stand der Technik entspricht, läuft die Genehmigung des Lagers im Jahr 2036 aus. BUND-Geschäftsführer Jansen schüttelt den Kopf: „Dann startet der Atom-Zirkus aufs Neue.“