NRW-LandtagGeplantes Polizeigesetz spaltet Experten – Wie stark darf der Staat sein?

Lesezeit 4 Minuten
Landtag1

Der Plenarsaal des nordrhein-westfälischen Landtags

Düsseldorf – Burkhard Hirsch beobachtet die Anhörung aus der fünften Reihe des Landtags. Dort sitzen normalerweise die Hinterbänkler der CDU-Fraktion. Er blättert in den schriftlichen Stellungnahmen, macht sich Notizen. „Ich nehme die Angelegenheit ernst“, sagt der Bürgerrechts-Aktivist der FDP im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Das könnte Sie auch interessieren:

Die „Angelegenheit“ – damit meint der frühere NRW-Innenminister den Entwurf für das Polizeigesetz, das CDU und FDP noch vor der Sommerpause beschließen wollen. Burkhard Hirsch und der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum halten die Pläne für verfassungswidrig. „Vielleicht ergeben sich ja noch substanzielle Änderungen, und die Klage hat sich erledigt“, sagt Hirsch. Sein Blick verrät, dass er nicht besonders zuversichtlich wirkt.

Alles zum Thema Herbert Reul

Wenig Verständnis für die FDP bei Linksliberalen

NRW-Innenminister Herbert Reul will die Innere Sicherheit zu einem Markenkern der NRW-CDU machen. Die Novelle des Polizeigesetzes soll unterstreichen, dass die Union es ernst meint. Die Vorlage geht weit über die Linie hinaus, die im Koalitionsvertrag mit der FDP vereinbart wurde. Der Vorgang habe ihn schon „überrascht“, kommentiert Hirsch.

Viele Linksliberale in NRW haben wenig Verständnis dafür, dass die FDP-Landtagsfraktion die CDU-Pläne ohne wahrnehmbare Proteste abnickt. Ein Überblick über die geplanten Neuerungen.

Datenschutz

Helga Block, die Landesdatenschutzbeauftragte, äußert scharfe Kritik. „Die geplante Erweiterung der Videoüberwachung birgt das Risiko einer nahezu uferlosen Ausweitung polizeilicher Überwachung im öffentlichen Raum“, sagt Block. Dabei sei der Nachweis nicht erbracht, dass eine Videoüberwachung zu mehr Sicherheit führe.

„Drohende Gefahr“

Maria Scharlau, Rechtsexpertin von Amnesty International, hält den Begriff „drohende Gefahr“ für zu unbestimmt. In NRW sollen nicht nur Terroranschläge, sondern auch „normale“ Straftaten verhindert werden können, wenn die Polizei einen Verdacht hegt. Dies sei „menschenrechtlich und rechtsstaatlich nicht hinnehmbar“. Markus Thiel, Professor an der Deutschen Hochschule der Polizei, sieht das anders. Die Einführung einer neuen Gefahrenkategorie sei „grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden“. Das Bundesverfassungsgericht habe die Kategorie der „drohenden Gefahr“ nicht allein für Maßnahmen entwickelt, die der Bekämpfung des Terrorismus dienten.

Polizeigewahrsam

Der sogenannte Unterbindungsgewahrsam soll von derzeit maximal 48 Stunden auf bis zu einen Monat verlängert werden. Dass künftig eine Person sogar zur Identitätsfeststellung bis zu sieben Tage festgehalten werden könne, hält der Bielefelder Juraprofessors Christoph Gusy mit dem Grundgesetz für „unvereinbar“. Im Übrigen müsse die Einschaltung eines Richters „unverzüglich“ erfolgen. Auch der Münchner Richter Markus Löffelmann übt Kritik.

Strategische Fahndung

Das geplante NRW-Gesetz lässt verdachtsunabhängige Kontrollen in vorher bestimmten Gebieten für 28 Tage zu. Damit soll zum Beispiel Diebesbanden, die grenzüberschreitend arbeiten, das Handwerk erschwert werden. Bei den Kontrollen darf die Polizei verdächtige Fahrzeuge zwar „in Augenschein“ nehmen, aber Durchsuchungen von Personen sind nicht erlaubt. Diese Regelung sei wenig praxistauglich, rügt die Deutsche Polizeigewerkschaft – und fordert eine Ausweitung der Befugnisse. Das verlangt auch Sebastian Fiedler, der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter in NRW: „Geldautomatensprenger, Einbrecherbanden und Terroristen werden verdächtige Gegenstände nicht offen sichtbar für eine Inaugenscheinnahme ausbreiten.“

Elektronische Fußfessel

Nach Ansicht der Gewerkschaft der Polizei ist die technische Zuverlässigkeit der Fesseln noch nicht eingehend genug geprüft. Zudem könne auch eine funktionierende Fußfessel terroristische Aktivitäten nicht verhindern. Personalintensive Observationen wären weiterhin erforderlich. Auch der Bielefelder Juraprofessors Christoph Gusy hält von der Einführung der Fußfessel wenig, weil sie lediglich eine Überwachung ermögliche.

Digitale Überwachung

Die Polizei soll künftig mit richterlicher Anordnung auch auf verschlüsselte digitale Inhalte zugreifen können und Messengerdienste wie etwa WhatsApp auslesen dürfen. Kritiker befürchten, dass entdeckte IT-Sicherheitslücken dann bewusst von Sicherheitsbehörden offen gelassen werden könnten. Burkhard Hirsch sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, ihm fehle eine angemessene richterliche Kontrolle dieser Maßnahme. Es sei zu überlegen, ob nicht auch der Landesdatenschutzbeauftragte einzubinden sei.

Nach der Anhörung sehen sich sowohl Regierung als auch Opposition bestätigt. Hartmut Ganzke, innenpolitischer Sprecher der SPD, warnte angesichts der Bedenken davor, die Novelle „im Eiltempo durch den Landtag zu peitschen“. Gregor Golland, Vize-Chef der CDU-Fraktion, erklärte: „Die Menschen haben uns gewählt, damit wir die Sicherheit verbessern.“ Das den Gesetz statte die Polizei nun mit wirksamen Werkzeugen zur Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus aus.

KStA abonnieren