Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Exklusiv

Helden in NRW
Jugendlichen aus brennendem Auto gerettet und einen Attentäter entwaffnet

7 min
Retter im Einsatz nach einem Badeunfall in der Sieg in Eitorf

Rettungskräfte behandeln die am 25. Juni 2022 von zwei Männern aus der Sieg gezogenen Frauen. Ihre Retter werden nun ausgezeichnet

14 Menschen aus NRW, die ihr Leben riskiert haben, um anderen zu helfen, wurden mit der Rettungsmedaille des Landes ausgezeichnet.

Tobias Kathmann will am Morgen des 31. Dezember 2022 zur Sicherheit noch einen Coronatest machen, bevor er zur Silvesterfeier mit seinen Eltern fährt. Er zieht gerade seine Schuhe an, als draußen im Hausflur lautes Geschrei zu hören ist. „Ein Mann und eine Frau, die miteinander kämpfen, das war das Erste, was ich gesehen habe, nachdem ich meine Wohnungstür geöffnet habe“, berichtet der Kölner.

Es braucht einen Moment, bis er versteht, was da passiert. Bis er seine Nachbarin erkennt, die mittlerweile wehrlos und durch zahlreiche Schläge auf den Kopf wie gelähmt auf dem Boden liegt und zahlreiche Schnittwunden hat. Als er das Teppichmesser sieht, mit dem ein anderer Nachbar auf die junge Frau einsticht, stürmt der Kölner los. „Ohne groß nachzudenken, das ging wie automatisch“, erinnert sich der heute 31-Jährige: „Jetzt oder nie, du darfst die Frau nicht im Stich lassen – das war das Einzige, was mir durch den Kopf geschossen ist.“

Nachbarin wurde mit Teppichmesser angegriffen

14 Personen aus NRW werden am Montag (25. August) geehrt. Weil sie ihr Leben riskiert haben, um anderen zu helfen, werden sie von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) mit der Rettungsmedaille des Landes ausgezeichnet. Einer dieser Helden verhinderte im Dezember 2020 in Soest, dass ein Mann eine Frau anzündete, nachdem er sie mit Benzin übergossen hatte. Ein anderer rettete einen Mann aus einer brennenden Wohnung. Wieder andere entwaffneten den 34-jährigen Amokläufer, der am 10. Juni 2022 an der Hochschule Hamm-Lippstadt zuvor eine Gastdozentin erstochen und drei Studierende zum Teil lebensgefährlich verletzt hatte.

Tobias Kathmann aus Köln

Tobias Kathmann aus Köln ging am 31. Dezember 2022 dazwischen, als seine Nachbarin angegriffen und verletzt wurde. Er bekommt die Rettungsmedaille des Landes NRW.

Auch Kathmann wird am Montag ausgezeichnet. Vorgeschlagen dafür hat ihn seine Nachbarin, die er damals gerettet hat. „Ich wollte einfach, dass es sichtbar und öffentlich wird, was er damals getan hat“, sagt die heute 30-Jährige im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, die bei der Verleihung dabei sein wird: „Außer meine Eltern und mich hat das anscheinend niemanden interessiert.“

Opfer schlug ihren Retter für Rettungsmedaille vor

Das Leben der Kölnerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, ist nach dem Angriff aus den Fugen geraten. Sie traute sich wochenlang nicht aus der Wohnung, konnte nicht allein sein und nicht arbeiten, musste lange nach einem Therapieplatz suchen, weil sie ohne psychologische Hilfe nicht zurechtgekommen ist.

Auch heute hat sie gelegentlich noch Angstzustände, meidet Menschenansammlungen. Immer wieder kommen Flashbacks, beispielsweise, wenn es an der Tür klingelt. Ein halbes Jahr nach der Tat, beim Gerichtsprozess gegen den Angreifer, wurde sie zum zweiten Mal Opfer. „Auch da hat es niemanden interessiert, was mit mir ist“, sagt die junge Frau. Der Messerstecher, ein Austauschstudent aus Italien, wurde für schuldunfähig erklärt, weil er zum Tatzeitpunkt unter Verfolgungswahn litt.

„Der konnte aufstehen und zurück nach Hause in Italien fahren, noch nicht einmal ein Einreiseverbot nach Deutschland wurde verhängt“, sagt das Niedergestochene, die vor allem am Kopf zahlreiche Narben zurückbehalten hat. Dem Mann sei lediglich auferlegt worden, Medikamente gegen seine Erkrankung zu nehmen. „Aber ich habe mich nicht ernst genommen gefühlt bei der Verhandlung. Meine Forderung nach Schmerzensgeld oder einer Entschädigung wurde vom Gericht einfach abgetan, als ob ich eine lästige Bittstellerin wäre.“

16-Jährigen aus brennendem Auto gezogen

Tödlicher Verkehrsunfall auf der Wahnbachtalstraße zwischen Siegburg-Kaldauen und Siegburg

Zwei Menschen starben im März 2022 bei einem Verkehrsunfall in Siegburg, ein Dritter konnte gerettet werden

Nicht nur die Opfer, auch die Helfer können sich hilflos fühlen. Ralph Gliewe aus Siegburg hat am 26. März 2022 einen 16-Jährigen vom Rücksitz eines brennenden Autos gezogen. Früh am Morgen war der Wagen ohne ersichtlichen Grund gegen einen Baum gekracht und in Flammen aufgegangen. Der Aufprall am Baum war so heftig, dass der Motor aus dem Fahrzeug gerissen und in den Beifahrerraum geschleudert wurde.

„Weiter möchte ich nichts dazu sagen“, redet Gliewe seine Hilfe unter Lebensgefahr klein. „Ich habe doch nur getan, was selbstverständlich ist.“ Und vor allem: Den Jungen habe er mit der Hilfe von anderen Passanten zwar gerettet. Aber zwei 17-Jährigen, eingeklemmt auf dem Fahrer- und Beifahrersitz, habe er nicht helfen können: „Die sind vor meinen Augen verbrannt, was ich nie vergessen werde.“

Zwei ertrinkende Frauen aus der Sieg gerettet

Hans Joachim Reinicke aus Eitorf rettete am 25. Juni 2022 zwei Personen vor dem Ertrinken aus der Sieg und bekommt dafür die Rettungsmedaille des Landes NRW

Hans Joachim Reinicke aus Eitorf sprang in die Sieg, um zwei Frauen vor dem Ertrinken zu retten

Hans-Joachim Reinicke, selbständiger Sanitärinstallateur und Heizungsbauer, ist so etwas zum Glück nicht passiert. Als er am späten Nachmittag des 25. Juni 2022 auf dem Weg zu einem Kunden ist, bemerkt er eine wild gestikulierende und laut schreiende Frau am entgegen gelegenen Ufer der Sieg. Der heute 65-Jährige versteht sofort, dass hier was nicht stimmt. Er stellt den Firmenwagen ab und läuft die fünf Meter hohe Böschung zum Fluss herunter.

In der Mitte der Strömung, wo das stark ausgespülte Flussbett gut vier Meter tief ist, klammern sich zwei Frauen aneinander. „Die gerieten immer wieder mit den Köpfen unter Wasser“, erzählt Reinicke: „Für mich war klar, ich muss da rein, man konnte sehen, dass die es nicht schaffen.“

Er zieht die schweren Arbeitsschuhe aus, läuft zwanzig Meter weiter an einer seichten Stelle in den Fluss. Vor 45 Jahren war der Eitorfer im Schwimmverein, hat sogar den DLRG-Rettungsschwimmerschein gemacht. Über eine Gefahr für das eigene Leben macht er sich keine Gedanken, als er in Richtung der beiden Untergehenden schwimmt. Dort angekommen, versucht er mit aller Kraft, die Frauen über Wasser zu halten und Richtung Ufer zu bugsieren.

Mutter und Tante hatten versucht, in Not geratene Elfjährige zu bergen

„Ich übernehme eine“, hört er plötzlich eine Stimme hinter sich. Benjamin Paul, der mit dem Mountainbike an der Sieg unterwegs ist, hilft ihm, die Frauen an Land zu ziehen. Wie sich später herausstellt, gehören die Geretteten zu einer afghanischen Familie, in der niemand schwimmen kann. Und das Desaster bei 30 Grad Hitze beginnt, als eine Elfjährige aus der Familie ein paar Meter ins Wasser geht, um sich abzukühlen.

Bei einem Badeunfall in der Sieg bei Eitorf sind zwei Frauen aus dem Fluss gerettet worden.

Benjamin Paul rettete zwei Frauen aus der Sieg

Sie rutscht ab, treibt im Fluss. Ihr 17-jähriger Bruder kann sie zwar noch an Land ziehen. Um das Kind zu retten, sind zwischenzeitlich aber auch schon dessen Mutter und eine Tante panisch in den Fluss gestürmt und abgetrieben. Durch die Helfer ans Ufer gezogen, kollabieren die beiden Frauen. Kurze Zeit später kommen Polizei und Feuerwehr. Und ein Rettungshubschrauber, der die Entkräfteten in eine Klinik fliegt, wo diese sich schnell wieder erholen.

Er sei beeindruckt davon, was an der Unfallstelle geschehen ist, sagt Paul. Dass er und der andere Helfer im Wasser sofort so gut zusammengearbeitet haben. Dass noch weitere Passanten gekommen seien und am Ufer halfen. Und dass die Rettungsdienste so irrsinnig schnell da waren. „Dass war ein Musterbeispiel für echte Teamarbeit“, betont der 41-Jährige.

Eine Frau beschützt, die geschlagen und gewürgt wurde

Zusammengehalten hat auch die Clique um Cathy Cuber aus Krefeld. Am Sonntagabend, den 13. März 2022, sitzt sie mit zwei Freundinnen und einem Freund in einem Café am Marktplatz im Krefelder Stadtteil Hüls. Sie sieht, wie ein paar hundert Meter entfernt ein Mann versucht, eine Frau zu küssen und sie dann schlägt. Die damalige Zehntklässlerin schlägt Alarm. Dann läuft sie mit ihren Freundinnen sofort los.

Cathy Cuber rettete am 13. März 2022 eine Frau, die auf offener Straße angegriffen und gewürgt wurde und bekommt dafür die Rettungsmedaille des Landes NRW.

Cathy Cuber rettete am 13. März 2022 eine Frau, die auf offener Straße angegriffen und gewürgt wurde und bekommt dafür die Rettungsmedaille des Landes NRW.

Als sie am Tatort ankommen, liegt der Täter auf seinem Opfer und würgt es. Die Mädchen machen Lärm, um weitere Passanten aufmerksam zu machen. Der Junge im Quartett zieht den Täter von der Frau weg. Der Mann, wie sich später herausstellt, ist er der Schwager der Angegriffenen, reagiert merkwürdig. Er setzt sich seelenruhig auf eine Bank und beobachtet, was jetzt passiert.

„Als ob er mit alldem nichts zu tun haben würde“, erinnert Cuber sich. Ähnlich grotesk sei ein Anruf bei der Polizei verlaufen. Man komme erst, wenn die Geschädigte selbst anrufe, um Anzeige zu erstatten, habe der Beamte gesagt. „Wir waren fassungslos. Ich vermute, der hat uns nicht ernst genommen“, sagt die junge Frau.

Tatsächlich kommt erst eine Streife, nachdem die misshandelte Frau bei der Polizei anruft. Der Angreifer wird mit auf die Wache genommen. „Wer weiß, was passiert wäre, wenn der wieder aggressiv geworden wäre“, sorgt Cuber sich. Trotzdem sind ihre Freunde und sie so lange geblieben, bis die Beamten da waren. „Damit die Frau endgültig in Sicherheit war“, betont die heute 19-Jährige: „Und deshalb bin ich auch etwas stolz auf uns.“ Zurecht.