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Innenminister zu Freudenberg„Ich bin es satt, reflexartig eine Strafverschärfung zu fordern“

Lesezeit 4 Minuten
Herbert Reul (CDU), Innenminister in Nordrhein-Westfalen, macht das Tötungsdelikt in Freudenberg fassungslos. (Archivbild)

Herbert Reul (CDU), Innenminister in Nordrhein-Westfalen, macht das Tötungsdelikt in Freudenberg fassungslos. (Archivbild)

Kinder haben die 12-jährige Luise getötet. Innenminister Herbert Reul setzt auf andere Reaktionen als eine niedrigere Altersgrenze für die Strafmündigkeit.

Zwei 12 und 13 Jahre alte Mädchen hatten gestanden, in Freudenberg die zwölfjährige Luise getötet zu haben. Die Tat löste Betroffenheit und Entsetzen in der Gemeinde und im ganzen Land aus. Polizei und Staatsanwaltschaft veröffentlichten wenig Details, da die mutmaßlichen Täterinnen strafunmündig seien. Sie erhalten daher keine Strafe nach dem Gesetzbuch.

Im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ kritisiert NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) Forderungen nach einer Verschärfung des Strafmündigkeitsalters „Ich bin es satt, immer reflexartig nach solchen Taten neue Gesetze oder eine Strafverschärfung zu fordern“, sagt der CDU-Politiker.

Gerade in diesem Fall sei es „viel zu früh“ für eine solche Debatte, so Reul. Man müsste hingegen generell darüber nachdenken, „jugendliche Kriminelle noch schneller zu sanktionieren, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Entschieden, schnell, wirkungsvoll. Mit dieser Devise wären wir sicherlich erfolgreicher, als das Alter für strafmündige Kinder herabzusetzen“.

Alles zum Thema Herbert Reul

Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Herbert Reul zu Freudenberg

Herr Minister, ein zwölfjähriges Mädchen in Freudenberg wird von zwei Mitschülerinnen getötet, was geht da in Ihnen vor?

Herbert Reul: Entsetzen, Erschrecken, da versteht man die Welt nicht mehr. Es macht einen fassungslos, dass so etwas passiert, aber leider ist es passiert.

Wie erklären Sie sich die Tat, spielte im Vorfeld Mobbing eine Rolle?

Es ist zu früh, um über die Motivlage und die Ursachen zu spekulieren. Für Schnellschuss-Urteile besteht kein Anlass. Der Fall ist vermutlich weitaus komplexer, als wir alle glauben. Seit 2018 gab es in NRW inklusive des aktuellen Falles sieben Kinder, die wegen Mordes oder Totschlags tatverdächtig waren. Jeder Fall hat andere Ursachen und muss einzeln für sich untersucht werden. Derartige Delikte sind aber in der Fläche zum Glück nicht unser Hauptproblem.

Geht es um die alarmierenden Zuwächse bei Delikten durch Kinder in der neuen NRW-Polizeistatistik für 2022?

Genau. So ist allein die Zahl der Straftaten durch strafunmündige Mädchen im Vergleich zu 2021 um rund 2.100 auf 7.299 gestiegen. Besonders besorgt mich dabei, dass die Gewaltaffinität offenbar gerade bei Kindern zunimmt. Die Wahrnehmung ist doch: Wo früher die Fäuste flogen, greifen junge Menschen heutzutage zum Messer oder treten nochmals auf einen wehrlosen Gegner ein.

Wo liegen die Ursachen für die Zunahme dieser Attacken?

Da gibt es sicherlich mehrere Gründe. Als ehemaliger Lehrer denke ich, dass die gestiegene Gewaltbereitschaft auch damit zusammenhängt, was im Elternhaus oder in der Schule vermittelt wird. Da geht es darum, ob die Kinder und Jugendlichen Grenzen erfahren. Ob sie lernen auch mit Niederlagen umzugehen, damit ihr Frust nicht direkt in Gewaltausbrüchen eskaliert.

Die Polizei hat vor einer steigenden Zahl von Hass-Postings gegen die mutmaßlichen Täterinnen von Freudenberg gewarnt. Wirken Tiktok & Co. unter Kindern und Jugendlichen als Katalysator für eine wachsende Verrohung?

Das ist der zweite Teil der Erklärung. Unabhängig von dem Fall in Freudenberg tragen soziale Netzwerke sicherlich zu einer Verrohung bei. Durch das Internet machen Kinder ganz andere Erfahrungen. Das ist eine eigene Welt und in diesem virtuellen Orbit werden sie ständig mit Gewalt konfrontiert, etwa in Spielen oder in Videos. Hinzu kommt, dass im Netz allzu häufig falsche Fakten und Lügen verbreitet werden. Und im Ergebnis kursieren immer mehr Hass-Postings. Junge Menschen verhöhnen sich gegenseitig, bis das digitale Mobbing in manchen Fällen schließlich in reale Übergriffe mündet. Aus meiner Sicht läuft doch etwas schief, wenn Täter Videos von realen Attacken oder Misshandlungen in Messenger-Diensten oder sonst wo teilen und dafür viele Likes ernten. Man denke nur an jene Gruppe in Bonn, die sich über eine Chatrunde an Silvester dazu verabredete, Polizeibeamte in einen Hinterhalt zu locken. Da fehlen mir die Worte.

Fast jeder Dritte der gut 102.000 Tatverdächtigen unter 21 Jahren in NRW besitzt keinen deutschen Pass, wo liegen hier die Gründe?

Vermutlich sind die Ursachen dieselben, wie auch bei den deutschen Tatverdächtigen. Allerdings kommt hier hinzu, dass diese Delinquenten in ihren Heimatländern oder in ihrem sozialen Umfeld möglicherweise noch intensivere Gewalterfahrungen gemacht haben.

Was muss sich ändern?

Zunächst einmal sollte man die zunehmende Gewaltbereitschaft in Teilen unserer Nachwuchsgenerationen nicht verschwurbelt kleinreden, sondern offen miteinander besprechen. Da muss alles auf den Tisch, um an jeder der diversen Ursachen zu arbeiten und an den richtigen Stellschrauben zu drehen. Das kann man der Polizei nicht alleine überlassen. Stichwort Erziehung, Stichwort Internet, Stichwort Schule. Da müssen wir ran, sonst wird es nicht besser.

Nach der Tat in Freudenberg ist erneut die Debatte entbrannt, ob man nicht das Alter für strafmündige Täter absenken sollte, wie ist da Ihre Meinung?

Ich bin es satt, immer reflexartig nach solchen Taten neue Gesetze oder eine Strafverschärfung zu fordern. Gerade im aktuellen Fall ist es viel zu früh, eine derartige Debatte zu führen. Ganz generell müsste man darüber nachdenken, jugendliche Kriminelle noch schneller zu sanktionieren, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Entschieden, schnell, wirkungsvoll. Mit dieser Devise wären wir sicherlich erfolgreicher, als das Alter für strafmündige Kinder herabzusetzen.

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