Wasserstraßen in NRW sind veraltetVertiefte Fahrrinne, modernere Schiffe – wie die Zukunft des Güterverkehrs aussehen muss

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Der Schiffsführer Bartholomäus  Januszewicz auf dem Motorschiff „Kronos“ im Hafen von Niehl.

Der Schiffsführer Bartholomäus Januszewicz auf dem Motorschiff „Kronos“ im Hafen von Niehl.

30 Prozent der Güterverkehre in NRW laufen über Wasserstraßen. Doch die Schleusen sind marode, die Brücken zu niedrig und die Fahrrinne im Rhein und den Kanälen mancherorts nicht tief genug.

Auf der Kronos muss erst einmal kräftig gefegt werden, nachdem die Ladung gelöscht wurde. Mit Schaufeln haben die großen Kräne das weiße Pulver am Lagerhauskai des Niehler Hafens aus dem Inneren des Binnenschiffes gehievt, das die Eigentümer nach dem Vater des griechischen Gottes Zeus benannt haben.

Das Aluminium-Hydroxit habe er in Stade bei Hamburg abgeholt, sagt Kapitän Bartholomäus Januszewicz und lacht. Es ist Nachmittag, die Sonne brennt vom Kölner Himmel und der Chef hat gute Laune. Sechs Tage war sein Boot unterwegs. Von der Elbe unter anderem durch den Mittellandkanal und den Dortmund-Ems-Kanal bis zum Rhein. Ein Gigant mit etwa 3000 Tonnen Gewicht, davon 1900 Tonnen Ladefläche, fast 100 Meter lang und 9,50 Meter breit. Die pulverige Fracht, die diesmal transportiert wurde, wird von der pharmazeutischen Industrie beispielweise bei der Herstellung von Sonnencremes, Zahnpasta oder Impfstoffen genutzt.

Ein Schiff kann die Ladung von bis zu 180 Lkw  transportieren

„Die Kronos kann die Ladung von bis zu 80 Lkw aufnehmen“, sagt Januszewicz. Andere Schiffe, die noch etwas breiter sind, könnten sogar bis zu 180 Lastkraftwagen ersetzen, ergänzt der Pole und schwärmt. Schon als Jugendlicher, mit 15 Jahren, habe er auf dem Boot des Vaters als Schiffsjunge angefangen. Nach der Lehre kam das eigene Patent, seit drei Jahren steuert er regelmäßig die Häfen in Köln an. Drei Wochen Arbeit und dann drei Wochen frei, um zu seiner Frau und den drei- sowie fünfjährigen Söhnen in Polen zu fahren.

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Ein Binnenschiff, mit Containern beladen, fährt in Köln vor dem Dom und den Kranhäusern über den Rhein.

Ein Binnenschiff, mit Containern beladen, fährt in Köln vor dem Dom und den Kranhäusern über den Rhein.

„Die Arbeit auf dem Schiff ist mein Traumjob“, sagt der 34-Jährige. Auch weil jeder Tag anders sei, sich etwa die Wetter- und Wasserverhältnisse ständig ändern könnten. „Man muss immer aufpassen, jede Sekunde, alleine mit Routine kommt man da nicht weiter“, betont der Käptn. Von Köln aus gehe es jetzt weiter bis nach Andernach. „Da laden wir Lava-Kies, der in Berlin für die Produktion von Filtern benötigt wird.“

Drei Viertel des Güteraufkommens wird über den Rhein transportiert

Nordrhein-Westfalen ist ein Land ohne Küsten, liegt aber dennoch an der Schnittstelle wichtiger europäischer Wasserstraßen – und steht damit auch in Verbindung zu bedeutenden europäischen Seehäfen. Zugespitzt kann man sagen: Die nordrhein-westfälischen Seehäfen heißen Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam. Eine wesentliche Rolle spielt ohne Frage der Rhein, die in Nordrhein-Westfalen mit ihren 226 Kilometern längste und verkehrsreichste Wasserstraße.

Die Binnenschifffahrt jedenfalls hat in NRW eine große Bedeutung. Rund 30 Prozent der Güterverkehre im Land werden über Wasserstraßen abgewickelt. Bundesweit liegt dieser Anteil nur im einstelligen Bereich. Auf dem Rhein, dessen Häfen fast drei Viertel der Produkte umschlagen, werden am deutsch-niederländischen Grenzübergang bei Emmerich jährlich rund 130 Millionen Tonnen Güter und rund 100.000 Schiffsbewegungen registriert. Das westdeutsche Kanalgebiet (unter anderem Wesel-Datteln-Kanal, Rhein-Herne-Kanal, Dortmund-Ems-Kanal) befindet sich zu großen Teilen auf dem Gebiet Nordrhein-Westfalens.

Zehn Millionen Tonnen wurden 2022 am Kölner Hafen umgeschlagen

Und von den zehn größten deutschen Binnenhäfen liegen allein vier in NRW. Duisburg ist mit fast 41,5 Millionen Tonnen Güterumschlag im Jahr 2022 der mit Abstand größte Hafen, Köln mit gut zehn Millionen Tonnen liegt auf dem zweiten Platz. Danach kommen Neuss (6,6 Millionen) und Gelsenkirchen (4,9 Millionen). Im Großraum Köln gibt es beispielsweise dann noch Häfen in Dormagen, Leverkusen, Wesseling, Bonn und Düsseldorf.

Doch das Kanalnetz stammt größtenteils aus der Zeit von Kaiser Wilhelm. Vor allem die Schleusen, deren Technik zuletzt in den 1990er-Jahren erneuert wurden, sind marode. Eine Modernisierung sei längst überfällig und schon häufig „bei Politik und Verwaltung“ angemahnt worden, betont Fabian Spieß vom „Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt“ (BDB) in Duisburg.

Im Bundesverkehrswegeplan 2030 seien zwar mehrere wichtige Wasserstraßenprojekte in NRW verankert, davon auch einige im „Vordringlichen Bedarf“. Hierzu gehören etwa der Ausbau des Wesel-Datteln-Kanals sowie des Datteln-Hamm-Kanals. An Stellen, an denen der Rhein nur 2,50 Meter tief ist, soll die Fahrrinne bis zu 30 weitere Zentimeter ausgebaggert werden. Priorisiert vom Bund wurden vor allem die Stecken zwischen Duisburg und Stürzelberg.

FDP: „Bundesumweltministerin blockiert dringend notwendige Modernisierung in NRW“

Von einer konkret terminierten Umsetzung jedoch ist derzeit nicht mehr die Rede. Was eine Katastrophe für Industrie und Schiffer sowie die Schuld der grünen Bundesumweltministerin Steffie Lemke sei, betont Christof Rasche von der FDP-Landtagsfraktion: „Die hat bei den Beratungen zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren beispielsweise die Vertiefung der Fahrrinnen blockiert, weil Umweltschützer und örtliche Kreisverbände ihrer Partei aus Naturschutzgründen dagegen sind.“

Man müsse „die Schiffe dem Fluss anpassen, nicht umgekehrt“, kommentiert NRW-Umweltminister Oliver Krischer die Vorwürfe gegen seine Parteifreundin. Aber er räumt auch ein: „Die Binnenschifffahrt benötigte die Abladeoptimierungen am Mittel- und Niederrhein, aber der Bund treibt die Projekte nicht mit dem erforderlichen Nachdruck voran.“

So soll die Zukuft aussehen: Ein autonom fahrendes Test-Güterschiff, präsentiert im März 2023 vom nordrhein-westfälischen Forschungsinstitut DST. Das 100 Meter lange Testschiff soll dank Radar, Kameras, Laserscanner und Sensoren "eigenständig und sicher" durch den Dortmund-Ems-Kanal steuern, verspricht das Institut, das an der Universität Duisburg-Essen angesiedelt ist. Ein Schiffsführer ist nur zur Sicherheit an Bord.

So soll die Zukunft aussehen: Ein autonom fahrendes Güterschiff im März 2023. Das 100 Meter lange Testschiff soll dank Radar, Kameras, Laserscanner und Sensoren eigenständig und sicher durch den Dortmund-Ems-Kanal steuern.

„Perspektivisch“ jedenfalls würden „neue Schiffstypen benötigt, damit die natürliche Fahrrinne bei extremem Niedrigwasser befahrbar ist“, so Krischer. Deshalb plädiere er für weitere staatliche Förderprogramme, die innovative Reedereien finanziell unterstützen sollen. Denn eine funktionierende Binnenschifffahrt bedeutet auch ein Plus für den Umweltschutz. Die Branche emittiere mit 33 Gramm pro Tonnenkilometer wesentlich weniger Treibhausgase als der Lkw (118 g/tkm), heißt es beim Bundesverband.

Anders als in der Seeschifffahrt komme in der Binnenschifffahrt auch kein Schweröl zum Einsatz. Der Großteil der Motoren werde mit Diesel betrieben. „Im Jahr 2016 sind EU-weit für den Einbau neuer Binnenschiffsmotoren zudem deutlich strengere Abgasgrenzwerte in Kraft getreten und das Gewerbe investiert außerdem zunehmend in moderne und emissionsärmere Antriebskonzepte“, so BDB-Sprecher Spieß.

Bei der Schiffssparte der Häfen und Güterverkehr Köln AG (HGK) ist die Zukunft schon angekommen. Anfang März hat die HGK-Shipping, die über eine Flotte von 350 Booten verfügt, zwei neue niedrigwassergeeignete Schiffe getauft. Trotzdem ist Uwe Wedig, der CEO des Logistikkonzerns, besorgt. „Das System Wasserstraße ist leider jahrzehntelang sträflich vernachlässigt worden“, sagt er. Wenn jetzt nichts getan werde, verliere „der Verkehrsträger weiter an Boden“. Außerdem wäre der Investitionsstau irgendwann so groß, dass er nicht mehr zu bewältigen wäre.

„Das System Wasserstraße ist jahrzehntelang sträflich vernachlässigt worden“

„Die Ertüchtigung der Wasserstraßen sichert die Versorgung von Industrie, Handel und Gesellschaft“, betont Wedig: „Als Unternehmen könnte man ja auch ketzerisch die Frage stellen: Warum sollen wir in moderne Schiffe investieren, die tiefgangoptimiert, abgasreduziert und auf zukünftige Antriebsarten ausgelegt sind, wenn diese dann vor kaputten Schleusen liegen?“

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