Pro und ContraSollen in sozial schwachen Vierteln Impf-Mobile eingesetzt werden?

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Chorweiler Bause

Eine Frau läuft vor einer Hochhaussiedlung in Köln-Chorweiler und trägt einen Mund-Nasen-Schutz. (Symbolbild)

  • NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hat angekündigt, in sozialen Brennpunkten stärker Impf-Mobile einzusetzen.
  • CDU-Politikerin Serap Güler ist dafür, da die Wohnverhältnisse ausschlaggebend für ein hohes Infektionsrisiko sind.
  • Ayla Celik, stellvertretende Vorsitzende Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, ist dagegen. Sie befürchtet Stigmatisierung.

Köln/Düsseldorf – Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat in den sozialen Brennpunkten der Großstädte besondere Impfaktionen mit einer Info-Kampagne und mobilen Teams angekündigt. Wo Menschen in beengten Wohnverhältnissen lebten, sei die Gefahr sich anzustecken größer als im großzügig angelegten Einfamilienhaus, sagte Laschet am Mittwoch im Landtag. Deshalb müsse jetzt ein Schwerpunkt gesetzt werden beim Impfen, wo die Menschen enger zusammenlebten als anderswo.

Pro: Mehr Vertrauen, Aufklärung und mobile Impfteams

Serap Güler, Staatssekretärin im NRW-Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, ist für eine neue Verteilung der Vakzine

Wer sich die Inzidenzwerte in Köln anschaut, dem fällt auf: Chorweiler liegt über Rodenkirchen, Kalk über Junkersdorf, Mülheim über Lindenthal. Dahinter verbirgt sich nicht kein Zufall, sondern eine soziale Frage. Menschen in Stadtteilen mit sozialen Herausforderungen stecken sich häufiger mit dem Coronavirus an als Menschen in strukturell stärkeren Vierteln. Das allein ist kein Kölner Phänomen, sondern durch Studien weltweit belegt. Arme Menschen sind überproportional von der Pandemie betroffen.

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Das erhöhte Infektionsrisiko hat mehrere Gründe. Es hat nichts damit zu tun, ob jemand eine Einwanderungsgeschichte hat oder nicht.

Serap Güler

Serap Güler

Ausschlaggebend für eine erhöhte Ansteckungsgefahr ist vielmehr, in welchen Wohnverhältnissen jemand lebt oder was er für einen Beruf ausübt. Menschen in sozial schwachen Gegenden wohnen eher auf beengtem Raum. Sie sind häufiger auf den ÖPNV angewiesen. Daneben arbeiten viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte in der Industrie oder in der Pflege, als Reinigungskraft oder als Kassiererin. Homeoffice kennen sie nur aus den Nachrichten. Was also tun? Wir müssen die Menschen besonders schützen, die ein erhöhtes Infektionsrisiko haben. Deswegen brauchen wir mobile Impfteams, die in betroffenen Stadtteilen eingesetzt werden. Sie müssen spätestens dann eingesetzt werden, wenn die Impfpriorisierung aufgehoben ist.

Daneben spielen auch die Hausärzte eine große Rolle. Mir hat in dieser Woche ein Arzt aus Mülheim berichtet, dass er bei der Impfung vielleicht drei Minuten länger braucht als ein Impfzentrum, aber alle Fragen sind danach beantwortet und Zweifel ausgeräumt. Genau darauf kommt es an. Dieser Schritt muss begleitet werden von einer Informationskampagne. Denn leider gibt es Legenden und Verschwörungsmythen, mit denen fatalerweise vor einer Impfung gewarnt wird.

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Natürlich könnte man diese Unwahrheiten als Mythen abtun, aber dafür sind die Konsequenzen des Nichtstuns zu groß. Es geht im schlimmsten Fall um Leben und Tod. Wir müssen Ängste abbauen und Tempo machen. Eine Coronainfektion darf nicht davon abhängen, wo ich wohne. 

Contra: Eine Impfpriorisierung würde eine Stigmatisierung bedeuten

Chorweiler Bause

Eine Frau läuft vor einer Hochhaussiedlung in Köln-Chorweiler und trägt einen Mund-Nasen-Schutz. (Symbolbild)

Ayla Celik, stellvertretende Vorsitzende Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft NRW ist gegen die Aufhebung der Impfreihenfolge

Die sozialepidemiologische Forschung zeigt einen Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status und den Krankheits- und Sterberisiken aufgrund von Covid-19: Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status sind häufiger betroffen als Menschen mit höheren sozioökonomischen Status. Wo Armut herrscht, ist die Infektions- und Sterberate höher. Es zeigt sich erneut: Armut macht krank.

Ayla Celik

Ayla Celik

Betroffen sind die Menschen vor allem aufgrund beengter Wohnverhältnisse, die die Übertragung der Krankheit begünstigen; zudem arbeiten sie häufiger in Berufen, in denen nicht immer auf Infektionsschutz geachtet wird oder Homeoffice nicht möglich ist. Häufig sind es Beschäftigungsverhältnisse im Niedriglohnbereich. Hier muss die Politik dafür Sorge tragen, dass alle Arbeitgeber den Arbeitnehmern Testungen ermöglichen und, wo möglich, Homeoffice. Es darf nicht sein, dass Infektionsschutz vom Geldbeutel abhängt. Geringverdiener können sich häufig die teuren Tests nicht leisten. Eine Impfpriorisierung ausgehend von den sozialräumlichen Gegebenheiten würde allerdings eine Stigmatisierung bedeuten. Dennoch ist es wichtig, diese Begebenheiten zu beachten, da in sozialen Brennpunkten nicht nur die Anzahl der Hausärzte geringer ist, sondern die Infrastruktur insgesamt wenig ausgeprägt ist. Es darf nicht dazu kommen, dass Menschen aus diesen schwierigen Lagen als letzte ein Impfangebot erhalten.

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Als Gesellschaft sollten wir uns die Frage stellen, ob wir uns solche „Brennpunktgebiete“ weiterhin leisten wollen. Wir sollten dafür sorgen, dass sozioökonomische Ungleichheiten über verstärkte Ressourcenzuführung systematisch in den Blick genommen werden. Es sollte vor allem der Zugang zur Bildung und die gesellschaftliche, kulturelle sowie politische Teilhabe sichergestellt werden. Wie sich nun zeigt, gehören der Zugang zu medizinischer Versorgung und die Informationsbereitstellung auch dazu.

Die Pandemie zeigt schonungslos auf die Schwachstellen unserer Systeme, wir sollten dies als Chance und Aufgabe begreifen, gegenzusteuern. Denn, wenn es für alle besser werden soll, muss es anders werden. (mit dpa)

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