Umweltministerin Steffi Lemke„Ich warne davor, die Flüsse weiter zu vertiefen”

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Steffi Lemke Fluss

Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz.

Berlin – Die Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen über das große Oder-Fischsterben, Niedrigwasser und die Zukunft der AKWs.

Frau Lemke, wenn die Umweltministerin in den Schlagzeilen ist, ist das selten ein gutes Zeichen: Meist geht es um kleine bis mittlere Katastrophen. Bei Ihnen ging es gerade um das massenhafte Fischsterben in der Oder – in welche Kategorie fällt das?

Steffi Lemke: Es ist ja noch schlimmer: Gerade in diesem Sommer hat nicht nur die Umweltkatastrophe in der Oder Schlagzeilen gemacht, sondern generell die Sorge um den Zustand der Natur: Waldbrände, Dürre, austrocknende Flüsse, dazu das Gedenken an die Flutkatastrophe in Westdeutschland vor einem Jahr. Es ist in den Fokus gerückt, unter welchem Druck die Ökosysteme stehen – besonders unsere wichtigste Ressource, das Wasser.

Dazu zählt auch das Fischsterben in der Oder. Warum sprechen Sie von einer Umweltkatastrophe - und was hat sie ausgelöst?

In der Oder als Ökosystem entstand weit größerer Schaden als das Fischsterben allein. Die ersten Untersuchungsergebnisse lassen befürchten, dass es gravierendere Schäden geben könnte. Die Ursachen sind noch nicht endgültig geklärt. Aber ich würde schon das Fazit ziehen, dass es sich um eine menschengemachte Gewässerverschmutzung handelt – vermutlich in Kombination mit der Hitze, die niedrige Wasserstände und hohe Wassertemperaturen verursachte.

Hätte die Verschmutzung ohne Erwärmung und Wassermangel weniger schlimm gewirkt? Werden also bislang verkraftbare Einleitungen künftig wegen steigender Temperaturen gefährlicher?

Mit so weitreichenden Schlüssen bin ich noch zurückhaltend. Aber es ist eine Möglichkeit, mit der wir rechnen müssen. In viele Flüsse werden permanent und legal chemische Substanzen, Salze und Nährstoffe eingeleitet. Dass das bei niedrigen Wasserständen und hohen Temperaturen ein größeres Problem für ein Gewässer sein kann als bei niedriger Wassertemperatur und größerer Verdünnung, legt der gesunde Menschenverstand nahe.

Wird sich die Oder wieder vollständig erholen?

Das lässt sich noch nicht sagen. Das kann Jahre dauern. Auf meine Initiative haben wir mit Polen eine Expertengruppe eingerichtet, an der neben Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern auch Bundesbehörden beteiligt sind. Sie arbeitet jetzt gemeinsam sehr intensiv daran, die Ursachen zu ermitteln und weitere Maßnahmen zu vereinbaren, damit sich so eine Katastrophe nicht wiederholen kann. Die Atmosphäre in der Expertengruppe ist harmonisch und produktiv.

Vorher haben Sie aber kritisiert, dass die polnische Seite ihre Informationen zu spät mit den deutschen Behörden geteilt hat. Fehlt es in Polen an Sensibilität gegenüber Umweltverschmutzung? Es ist ja nicht der erste Konflikt mit dem deutschen Umweltministerium.

Wir wurden sehr spät informiert, ja. Aber nicht nur in Polen werden chemische Substanzen in Gewässer eingeleitet. Auch in Deutschland gibt es genehmigte Einleitungen, die nach einem in der EU abgestimmten Plan schrittweise reduziert werden. Wir hatten auch in Sachsen-Anhalt gerade ein lokales Fischsterben, weil Ammoniak aus einer defekten Leitung in die Saale ausgetreten ist.

Muss jetzt für jede einzelne Genehmigung geprüft werden, ob sie bei Hitze oder Niedrigwasser zum Problem wird?

Das lässt sich so generell nicht sagen. Wir haben diese massive Dürre mit so niedrigen Wasserständen an vielen Flüssen gleichzeitig, und die Dürreperioden häufen sich in den letzten Jahren. Klar ist, dass wir uns auch in Zukunft auf Dürre, Niedrigwasser und Hitzeperioden einrichten müssen – und zwar, wie dieser Sommer uns gezeigt hat, sehr schnell. Ich treibe das deshalb auf allen Ebenen voran, etwa mit der neuen Wasserstrategie, die gerade in der Bundesregierung abgestimmt wird.

Weil das Niedrigwasser im Rhein die Schifffahrt lahmlegt, hat Verkehrsminister Wissing gefordert, die Fahrrinnen zu vertiefen. Welche weiteren Probleme könnten künftig auftauchen?

Wir müssen vor allem besser auf unsere Ökosysteme und die Ressource Wasser achten. Deshalb warne ich davor, die Flüsse weiter zu vertiefen, zu begradigen und auszubauen. Die Oder-Katastrophe zeigt, dass der Ausbau des Flusses, der 2015 noch von Deutschland und Polen vereinbart wurde, ein Fehler wäre. Der Ausbau muss jetzt gestoppt werden.

Aufs Wasser achten: Heißt das, wir müssen Wasser so sparen wie derzeit Energie?

Die Trinkwasserversorgung ist natürlich gesichert. Zugleich zeigt dieser Sommer, wie falsch unsere alte Vorstellung ist, es gebe Wasser im Überfluss. Die Schifffahrt muss vielerorts eingeschränkt werden. Viele Städte und Gemeinden untersagten die Entnahme von Wasser aus Gewässern oder schränkten Bewässerung oder Befüllen von Pools ein. Es sprechen also ökologische und ökonomische Gründe dafür, dem Schutz der Ressource Wasser Vorrang einzuräumen.

Für welche Schritten plädieren Sie konkret?

Es ist Ziel meiner Wasserstrategie, den Umgang mit Wasser an die Klimakrise anzupassen. Dazu gehört die Erhaltung und Wiederherstellung eines naturnahen Wasserhaushalts, etwa durch Renaturierung von Mooren und Auen, die Förderung der Versickerung und des Rückhalts in der Fläche, aber auch der sparsame Umgang mit Wasser – etwa bei der Bewässerung: In der Mittagshitze ist Sprengen weder in privaten Gärten, noch auf öffentlichen Grünanlagen oder auf dem Acker sinnvoll. Auch die Böden brauchen Schutz, damit sie Wasser noch speichern können, und eben die Gewässer: Die Flüsse in Deutschland sind allesamt in keinem guten chemischen Zustand.

Die Flutkatastrophe hat voriges Jahr gezeigt, wie teuer die Folgen des Klimawandels werden. Nun steht die Binnenschifffahrt oft still, Wälder brennen, Dürre verursacht Ernte-Einbußen. Mit welchen Folgekosten durch den Klimawandel kalkulieren Sie für die nächsten Jahre?

Wir hatten mit einer Prognos-Studie aufgezeigt, wie hoch die Schäden seit dem Jahr 2000 waren: Durchschnittlich sind demnach pro Jahr 6,6 Milliarden Euro Schäden durch Extremwetter entstanden, wobei davon auszugehen ist, dass die tatsächliche Schadenshöhe noch über dieser Zahl liegt. Mit einer sich verschärfenden Klimakrise ist demnach auch in Zukunft mit enormen Schäden durch Extremwetter zu rechnen. Die Flutkatastrophe 2021 war dabei ein Extremfall, bei dem der Verlust an Menschenleben und die Vernichtung ganzer Existenzen am schwersten wiegt. Aber auch sonst steigt die Zahl der Hitzetoten in Europa. Wir müssen uns klarmachen, dass wir das Klima schützen, um uns selbst zu schützen.

Ihr zweites großes Thema dieser Tage ist die Atomkraft. Gerade lässt die Bundesregierung prüfen, ob in Bayern ohne AKW und ohne russisches Gas ein Blackout droht. Sie sind aber nicht für die Energie-, sondern für die Reaktorsicherheit verantwortlich. Wie lange können die AKW sicher weiterlaufen, damit niemand im Dunkeln sitzt?

Die letzte periodische Sicherheitsüberprüfung fand 2009 statt – und hätte nach EU-Vorgaben 2019 erneut durchgeführt werden müssen. Im geltenden Atomausstiegsgesetz von CDU/CSU und FDP wird das Ende der Laufzeit für den 31.12.2022 festgelegt – und diese Überprüfung für die verbleibenden drei Jahre ausgesetzt, weil der Betrieb danach endgültig eingestellt wird. Es war also eine Ausnahme. Und weil die Prüfung so lange ausgesetzt war, müsste sie bei einer Laufzeitverlängerung nachgeholt werden.

Diese Überprüfung dauert mehrere Monate, sodass die AKW ausgerechnet im Winter stillstehen würden. Könnte man bei kleiner Zusatzlaufzeit, etwa im sogenannten Streckbetrieb, nicht auch noch ein halbes Jahr darauf verzichten?

Sie ist notwendig, um den sicheren Betrieb der AKW zu gewährleisten. Bei solchen Sicherheitsüberprüfungen können unerkannte Sicherheitsdefizite aufgedeckt werden. Das ist in den deutschen AKW jetzt dreizehn Jahre lang nicht erfolgt. Von daher wäre zunächst eine solche Überprüfung durchzuführen, wenn man die Laufzeit verlängern wollte.

Oder ist das Ihr Vorwand, um das Lebenswerk der Grünen zu retten: den Atomausstieg?

Ich sitze vor Ihnen weder als grüne Parlamentarierin, noch als grüne Generalsekretärin. Sondern als Bundesumweltministerin, in deren Zuständigkeit die Reaktorsicherheit fällt.

Und Ihr Parteifreund Robert Habeck ist zuständig für eine stabile Energieversorgung. Muss der Bundeskanzler demnächst also politisch entscheiden, wessen Sorgen schwerer wiegen: Frau Lemkes oder Herrn Habecks?

Fakt ist: Wenn AKW in Deutschland betrieben werden sollen, muss man dafür einen sicheren Betrieb gewährleisten. Dafür sind Regeln der Reaktorsicherheit einzuhalten. Die Ausnahmeregelung endet am 31. Dezember 2022. Falls es eine Verlängerung geben sollte, muss dafür das Atomgesetz geändert werden. Das kann nur der Bundestag. Er müsste das Atomgesetz erneut revidieren, nach einem schon jetzt problematischen Zickzack-Kurs, den Union und FDP zuletzt gefahren sind – und bei dem Sicherheit offensichtlich nie die wichtigste Bewertungsgrundlage war.

Sie sind auch zuständig für die Suche nach einem Atommüll-Endlager – samt Bürgerbeteiligung. Was heißt es für das Suchverfahren, dass über längere Atomlaufzeit gesprochen wird?

Das Suchverfahren ist auf einem schwierigen, aber guten Weg. Schwierig, weil ich bislang noch niemanden getroffen habe, der sich ein Endlager in seinem Landkreis wünscht. Und natürlich würde eine Laufzeitverlängerung diese Bereitschaft erschweren – zumindest, wenn neue Brennelemente beschafft würden. Denn das würde die Menge des einzulagernden Atommülls relevant verändern.

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