Zitternd in die ZukunftWie weit gehen die Energiepreise noch nach oben?

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preisschock symbolbild

Ein Gaskraftwerk in Groningen.

Berlin – Die Erdgaspreise sind gefallen. Allerdings nur für ein paar Tage am Ende der vorigen Woche – als die ersten Herbststürme über Europa hinwegfegten. Inzwischen geht es mit den Notierungen an den Energiebörsen wieder nach oben. Eine beispiellose Preisexplosion setzt sich damit fort. Und vieles spricht dafür, dass sich die Lage frühestens im Frühjahr beruhigen wird. Zugleich stehen mit der Verteuerung von Gas und Strom Klimaschutzprojekte auf dem Spiel.

Die aktuelle Lage: Nach Berechnungen des Verbraucherportals Check24 wird der Durchschnittspreis für Erdgas im Großhandel im Oktober bei gut 63 Euro pro Megawattstunde liegen; vor einem Jahr waren es 11,20 Euro. Heizöl war im September fast doppelt so teuer wie vor einem Jahr. Strom wird an der Börse gut 300 Prozent mehr kosten als im Oktober 2020.

350 Euro höhere Ausgaben im Jahr

Die Folge: Nach jüngsten Zahlen von Check24 haben Versorger bislang für den leicht flüchtigen Brennstoff ihre Preise um mehr als 13 Prozent und Stromanbieter um rund neun Prozent erhöht. Beides zusammengenommen bedeutet das zusätzliche Kosten von im Schnitt um die 350 Euro im nächsten Jahr (fast 30 Euro im Monat) für einen Standardhaushalt. Meldungen von weiteren Hunderten Energieunternehmen werden in den nächsten Wochen kommen – in der Regel werden die Preise zum Jahresende erhöht. Für Experten ist aber jetzt bereits klar: Der Trend wird sich fortsetzen.

Wie konnte es so weit kommen? Entscheidend ist ein bislang einmaliger Effekt, der durch die Pandemie hervorgerufen wurde. Zuerst die monatelangen Lockdowns weltweit. Dann die Lockerungen, die noch durch üppige Hilfs- und Konjunkturprogramme flankiert wurden. Das trieb die Mobilität und die Nachfrage nach allen möglichen Gütern schlagartig und zwar fast überall auf der Welt gleichzeitig in die Höhe.

Doch es kam noch einiges hinzu. Simon Göß vom renommierten Beratungsunternehmen Energy Brainpool schreibt in einem Blog-Eintrag von einem „perfekten Sturm“. Also von einem Zusammentreffen vieler verschiedener Faktoren. Als da sind: Außergewöhnlich viele laue Lüftchen und weniger steife Brisen in ganz Europa. Die Windstromproduktion ging 2021 bislang insgesamt deutlich zurück.

Sehr lange Heizperiode in Europa

Um die zugleich steigende Nachfrage nach elektrischer Energie (siehe oben) zu decken, mussten mehr Kohle und Erdgas eingesetzt werden, was deren Preise auf Rekordniveaus trieb. Ausgerechnet in dieser Situation kündigte die EU-Kommission ihr „Fit für 55″-Programm an. Ein Element soll sein, CO2-Emissionen zu verteuern. Das Instrument dafür sind Verschmutzungszertifikate, die an Rohstoffbörsen gehandelt werden.

Betreiber von Kraftwerken müssen diese Papiere kaufen, um das Klimakillergas in die Luft blasen zu dürfen. Händler nahmen höhere CO2-Notierungen voraus und decken sich mit den Papieren ein, was deren Preise und die für Strom in den Höhe schnellen ließ. Zudem verteuerte sich Steinkohle auf neue Höchstwerte – auch wegen Streiks in wichtigen Förderländern wie Südafrika oder Kolumbien.

Beim Brennstoff Gas, so Göß, komme zum Tragen, dass es in Europa eine „sehr lange Heizperiode“ bis in den Mai hinein gegeben habe. Beinahe lückenlos sei dies von einer starken Nutzung von Klimaanlagen in Asien abgelöst worden. Die Befüllung der riesigen Gasspeicher, die für die dunklere kalte Jahreszeit auf der Nordhalbkugel benötigt werden, konnte deshalb erst sehr spät einsetzen.

Der Energiehunger in China steigt massiv

Wachsende Nachfrage aus Asien nach verflüssigtem Erdgas (LNG) führte überdies dazu, dass Schiffe mit LNG an Bord nach China oder Japan umgeleitet wurden. Das alles in einer Phase da der Bedarf nach Gas sowohl zur Stromerzeugung als auch für die chemische Industrie stieg. Inzwischen kommt der Beginn der Heizperiode hinzu.

Und dann noch der Streit um die neue Gaspipeline Nord Stream 2. Der russische Monopolist Gazprom „nahm trotz der hohen Preise in Europa keine über die bestehenden Verträge hinausgehenden Kapazitätsbuchungen an Gaspipelines über die Ukraine und Polen vor“, so Brainpool-Experte Göß. Also Minimal-Lieferungen nach Vorschrift.

Hinter dieser Zurückhaltung steckt offenbar politisches Kalkül: Russlands Präsident Wladimir Putin will eine möglichst schnelle finale Genehmigung für Nord Stream 2 erzwingen. Derzeit prüft die zuständige Bundesnetzagentur. Im Zentrum steht Insidern zufolge ein Ärgernis für Putin, das er aushebeln will: Die Entflechtungsregeln der EU, die beim Erdgas eine Aufteilung des Netzbetriebes und Vertriebs in verschiedene Unternehmen vorschreibt.

Vieles hängt vom Wetter ab

Wie lässt sich dieses Knäuel wieder aufdröseln? Kommt die endgültige Zertifizierung für Nord Stream 2 könnten die Gaslieferungen laut Putin augenblicklich hochgefahren werden. Auch Equinor, der staatliche norwegische Gasförderer, hat angekündigt, mehr zu pumpen – das Unternehmen ist nach Gazprom der zweitwichtigste Lieferant des leichtflüchtigen Stoffs in Europa. Mehr Gas: das könnte theoretisch die Kosten für die Verbraucher sowohl bei der elektrischen Energie als auch beim Heizen drücken. Allerdings kann es einige Monate dauern, bis da etwas durchschlägt.

Patrick Graichen, Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende, sagte denn auch dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Beim Erdgas dürften aber die Endverbraucherpreise zu Anfang 2022 steigen, insbesondere für die Kund:innen von Gasvertrieben, die nicht genügende langlaufende Lieferverträge abgeschlossen haben.“

Hintergrund: Die eingangs genannten enormen Preissprünge beziehen sich weitgehend auf Energie, die kurzfristig gehandelt wird. Viele Versorger setzen – auch beim Strom – indes auf eine Mischkalkulation und decken sich in der Regel weitgehend über langfristige Lieferverträge ein, die trotz der aktuellen Engpässe relativ günstige Preise garantieren. Nur Rest-Kontingente werden kurzfristig dazu gekauft – in Bedrängnis bekommen sind aber Versorger, die auf Risiko gespielt haben und sich nun auf die Schnelle Gas und Strom einkaufen müssen.

Nun hängt vieles vom Wetter ab. Göß betont: „Sollte ein milder Winter vor der Tür stehen und sich die Füllstände der Gasspeicher dem langjährigen Mittel annähern, ist mit einer Reduktion oder zumindest einer Stabilisierung der Gas- und somit der Strompreise zu rechnen“.

Kalter Winter in Asien als zusätzlicher Preistreiber

Allerdings: „Wir erwarten kältere Temperaturen als normal in diesem Winter im gesamten Bereich von Nordost-Asien“, sagte Renny Vandewege vom US-Wetterprognose-Spezialisten DTN dem Finanzdienst Bloomberg. Wettervorhersagen seien entscheidend dafür, wie viel Energie-Erzeugungskapazitäten benötigt werden. Verantwortlich für die Kälte ist das alle paar Jahre wiederkehrende Wetterphänomen La Nina, das im Pazifik kaltes Wasser nach oben spült.

Die niedrigen Temperaturen würden vor allem China und Japan treffen. Und damit Energie weltweit weiter verteuern. Erste Vorzeichen sind erkennbar: Die Internationale Energieagentur (IEA) hat gerade berichtet, dass die steigende Nachfrage nach elektrischer Energie nun auch auf die Rohölpreise überspringe. Der flüssige Brennstoff werde insbesondere in China vermehrt in Kraftwerken zur Stromproduktion eingesetzt.

Die IEA prognostiziert, dass in den nächsten sechs Monaten der Rohöl-Bedarf zusätzlich um etwa 500.000 Fass (159 Liter) pro Tag steigen wird. Die Analysten der US-Bank Goldman Sachs gehen sogar von einem Extra-Plus von einer Million Fass aus. Das heißt, die ohnehin schon von hohen Benzin- und Dieselpreisen gebeutelten Autofahrer müssten mit zusätzlichen Aufschlägen rechnen. Ferner soll auch noch der 2021 eingeführte CO2-Preis für Sprit und Gas zum Heizen von aktuell 25 Euro pro Tonne auf 30 Euro im nächsten Jahr erhöht werden. Was derzeit schon mit sieben bis acht Cent pro Liter zu Buche schlägt.

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Graichen indes relativiert die Aufregung über die Preise für Öl und Gas. Sie seien vor zehn Jahren schon einmal dort gewesen, wo sie jetzt seien. Und sie würden auch in Zukunft schwanken, „vermutlich sogar mehr als früher“. Denn der Weg zur Klimaneutralität bedeute weniger Investitionen in fossile Energieträger. „Und dann kann es immer wieder zu kurzfristigen Lieferengpässen kommen.“ Insofern sei der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien zentral, er sichere gegen die Schwankungen bei den fossilen Energieträgern ab.

Klimaschutz braucht auch gute Sozialpolitik

Es sei auch komplett falsch, jetzt die geplante Erhöhung des CO2-Preises auszusetzen. Denn dieser werde bei vermutlichen Verbilligungen von Öl und Gas im Jahr 2023 die Rolle übernehmen, „den Umstieg in Richtung Erneuerbare anzureizen“.

Zugleich darf für Graichen der Klimaschutz nicht auf dem Rücken der einkommensschwachen Haushalte ausgetragen werden. Klimapolitik müsse von einer guten Sozialpolitik flankiert werden.

Ähnlich argumentiert Jürgen Trittin, der für die Grünen bei den Ampel-Koalitionsverhandlungen für Klima und Energie zuständig ist: Er fordert unter anderem eine Erhöhung des Wohngeldes und des steuerfreien Existenzminimums. Das sei zielgenau und helfe denjenigen, die von steigenden Energiepreisen betroffen seien und das nicht wegstecken könnten, sagte er Bild TV.

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