Hype um „Cyberpunk 2077“Das Spiel, um im Lockdown die Sau rauszulassen

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Messebesucher auf der Gamescom 2019 vor einem „Cyberpunk 2077“-Plakat

Das Jahr 2020 startete mit riesigen Feuern in Australien. Es folgten Polizeigewalt, Anschläge, Explosionen, Wahlchaos. Ach ja, und eine weltweite Pandemie. Und jetzt, am Ende dieses Weltuntergangsjahres, kommt ein Videospiel auf den Markt, in dem die Apokalypse schon passiert ist. Was hat es also mit dem Hype auf sich?

In „Cyberpunk 2077“, dem neuesten Top-Titel des polnischen Entwicklerstudios „CD Projekt Red“, interagieren Spieler in einer nordamerikanischen Stadt namens „Night City“ im Jahr 2077. Eigentlich: schießen und kämpfen sich durch die unheimlich glaubhafte und dichte Zukunftsmetropole. Die Spielfigur: ein Söldner (oder eine Söldnerin), „V“, mit fragwürdiger Moral. Die Gegner: technologisch modifizierte Handlanger von organisiertem Verbrechen oder riesigen, regierungsähnlichen Unternehmen, die Night City kontrollieren.

Sieben Jahre Wartezeit

Im Januar 2013 erschien ein erster Teaser-Trailer, der in der ersten Woche mehr als zwölf Millionen mal geklickt wurde. 2018 zeigte CD Projekt Red eine Gameplay-Demonstration – also ein Video davon, wie das Spiel tatsächlich für die Spielerinnen und Spieler aussehen würde. 

Marcin Iwinski

Marcin Iwinski, Mitgründer von „CD Projekt Red“

Nach der Enthüllung in diesem Jahr, dass Keanu Reeves an dem Projekt mitwirkt, wuchs die Erwartung der ohnehin gespannten Fans weiter. Nun ist es da. Nach sieben Jahren Vorfreude kaum verwunderlich, dass die Reaktionen nach der Veröffentlichung am 10. Dezember durchwachsen ausfielen. Der Titel, spielbar auf dem Computer, aber theoretisch auch auf Xbox und Playstation, läuft auf den Konsolen nicht stabil. In den Wochen nach der Veröffentlichung weicht der Hype auf Social Media Plattformen schnell Screenshots und Berichten von Fehlern, Abstürzen und Problemen.

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CD Projekt Red veröffentlichte am 18. Dezember, also etwa eine Woche nach dem Release hierzu ein Statement auf Instagram. Die Entwickler erklären, dass das Spiel temporär vom Playstation-Store, Sonys digitaler Verkaufsplattform, zurückgezogen wurde. Bereits gekaufte Spiele bleiben zwar weiterhin spielbar, und auch analoge Kopien des Spiels sind weiterhin erhältlich, aber neue Spieler sollen das Produkt erst dann wieder runterladen können, wenn die größten Probleme behoben sind. CD Projekt Red will trotzdem kontinuierlich mit Updates an der Stabilität des Spiels arbeiten. Sind Spielerinnen und Spieler zu frustriert von den Bugs und Glitches ist auch eine Rückgabe der Digitalkopie möglich. 

Dass Spiele nach der Veröffentlichung über Updates der Entwickler verbessert werden, ist dank Internetverbindung von Konsolen und Plattformen nicht ungewöhnlich. Gerade bei großen Spielen mit vielen Möglichkeiten kann vorher kaum alles getestet werden, was die Spielerinnen und Spieler so unternehmen wollen.

CD Projekt Red hatte allerdings das Veröffentlichungsdatum vom ursprünglich geplanten 16. April in den Dezember mit der Begründung verschoben, man wolle der Community ein fertiges, ausgereiftes Produkt zur Verfügung stellen. „Wir wollen, das Cyberpunk 2077 zur unserer größten Errungenschaft für diese [Konsolen]-Generation wird und die Veröffentlichung zu verschieben wird uns die wertvollen Monate geben, um das Spiel zu perfektionieren“, so das Studio auf seinen Social Media Kanälen.

Glaubhafte Science-Fiction

Trotz technischer Schwierigkeiten und der Enttäuschung vieler Fans findet das Spiel extrem viel Zulauf: In 2020 scheint es passend, in eine Dystopie zu schauen, die noch schlimmer ist als die Realität – und manchmal schockierend ähnlich. Die Omnipräsenz von Technologie im Alltag, der Einfluss von großen Konzernen auf Staaten: Konzepte, die nicht weit entfernt scheinen. Oder, um es konkreter zu machen: Cyberpunk stellt die sogenannten „Braindances“ vor, ein mechanisches und erzählerisches Werkzeug, bei dem Akteure die Welt um sich herum aufzeichnen, die dann wiederum von anderen Personen abgerufen werden kann.

Cp77 Werbung Polen

Werbung für „Cyberpunk 2077“ in Warschau, Polen.

Wie durch die Augen eines anderen können so Szenen und Erlebnisse nachempfunden werden. Ein Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahre macht sehr deutlich, dass insbesondere der VR-Markt in genau diese Richtung strebt. Das Spiel ist ab 18 freigegeben und zeigt neben Gewalt auch eine absolut hypersexualisierte Gesellschaft, die vom Spiel nur wenig zensiert wird.

Die Stärke der Spiele von CD Projekt Red – das zeigte sich auch schon bei „The Witcher 3“ – ist die Verbindung von fantastischen oder futuristischen Elementen und glaubhaften Figuren und Geschichten. Die Hauptfigur in „Cyberpunk 2077“ ist bis auf die Knochen kybernetisch modifiziert, Mensch und Maschine sind längst eins.

Ein Spiel für den Zeitgeist des Weltuntergangs

Aber durch exzellente Synchronisation und hervorragend geschriebene Dialoge fällt es leicht, sich in V hineinzuversetzen. Morgens fahren Lieferwagen durch Night City, nachts sind weniger Passanten auf den Straßen. Mit vielen Details entsteht so eine Spielwelt, die sehr viele Möglichkeiten abseits der Hauptstory bietet. Und wenig mit stumpfen Shooter-Stereotypen zu tun hat.

Das Spiel trifft nach langen Jahren absolut den Zeitgeist. Findet V den kleinen, für die Story unwichtigen Gegenstand “Regelwerk für Cyberpunk 2020” (ein Verweis auf das in den 80ern erschienene analoge Rollenspiel, das als Inspiration diente), liest sie in der Beschreibung: „It doesn’t matter how well you do something as long as you look good doing it“ („Es ist egal, wie gut du etwas machst, solange du gut dabei aussiehst“) und „Never walk into a room when you can stride in“ („Gehe nie in einen Raum, wenn du auch reinstolzieren kannst“).

Im Weltuntergangsjahr 2020 müsste das natürlich eigentlich heißen „Es ist egal, wie gut du etwas machst, solange du mit deiner Maske gut aussiehst“ und „Gehe nie in einen Raum, wenn du auch reinstolzieren und dabei mindestens 1,5 Meter Abstand halten kannst“ – aber der Gedanke zählt. Am Ende tut es eben einfach gut nach Monaten von Einschränkungen, Social Distancing und Homeoffice in Jogginghose aufgestylt bis unter die Haarspitzen durch eine virtuelle Stadt zu rennen und die Sau raus zu lassen.

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