„Was machst du nach dem Abi?“Wie Jugendliche herausfinden, welcher Job zu ihnen passt

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Abi geschafft, und jetzt?

Köln – Bald starten in Nordrhein-Westfalen die Vorklausuren fürs Abitur. Eine der nervigsten Fragen, die den jungen Menschen kurz vor und nach dieser ersten großen Prüfung ihres Lebens gestellt wird, dürfte sein: Und, was machst du nach dem Abi? Die meisten wissen nämlich selbst noch nicht, wohin die Reise geht. Seit Generationen ist das so. Doch die Pandemie hat die Jobfindungs-Verwirrung verstärkt. Damit bestens vertraut ist Anke Fehring. Die Kölner Mentorin für Lebens- und Berufsorientierung berät Jugendliche, die vor lauter Optionen und Erwartungen den eigenen Weg nicht mehr sehen. Und auch deren Eltern.

„Das ist seit jeher so und liegt in der Natur der Sache. Schließlich müssen Abiturienten, denen ja bislang alles vorgegeben wurde, erstmals eine erwachsene Entscheidung für sich und ihr Leben treffen. Dafür sind sie im Grunde zu jung und jetzt hat ihnen die Corona-Pandemie auch noch die Chance genommen, sich auszuprobieren.“ Praktika, Schnuppertage im Betrieb und an der Uni sind rar, Auslandsaufenthalte und Ferienjobs kaum möglich. Fehring gibt Tipps, wie Abiturienten und ihre Eltern der Motivation und Selbstfindung trotzdem auf die Sprünge helfen können.

1. Was kann ich besonders gut?

„Der erste Schritt ist für die Jungen wie deren Eltern gleichermaßen, auszuhalten, dass es in puncto Berufswahl die eine Antwort nicht gibt. Und dass man einen Schritt nach dem anderen gehen muss, anstatt, wie in vielen Köpfen verankert, mit 18 schon zu wissen, wo man mit 60 steht“, sagt Fehring. Das habe viel mit Selbstvertrauen zu tun, weshalb das Bewusstsein für die eigenen Stärken und Vorlieben der nächste wichtige Schritt sei.

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Womit beschäftige ich mich am liebsten? Was kann ich besonders gut? Was will ich in zehn Jahren tun? All das sind Fragen, die bei der persönlichen Standortbestimmung helfen können – und alles andere als banal sind. Umfragen haben ergeben, dass die Mehrheit der Abiturienten genauso wenig über die Ausbildungsmöglichkeiten weiß – die wenigsten kennen mehr als zehn Berufe oder Studiengänge – wie über die eigenen Stärken und Interessen. Häufig führen Fehleinschätzungen sich selbst gegenüber zu Studien- und Ausbildungsabbrüchen. Jede vierte berufliche Ausbildung wird hierzulande frühzeitig beendet, was laut Fehring kein Nachteil sein muss: „Es kann auch Kräfte freisetzen, vorausgesetzt man entscheidet sich nicht nur gegen den alten, sondern bewusst für den neuen Weg. Und definiert den Abbruch nicht als Scheitern, sondern als Umweg. Das sollte vor allem auch das Umfeld so sehen.“

2. Wer erwartet was von mir?

„Viele Eltern haben bestimmte Erwartungen an die Ausbildung ihres Kindes, auch wenn ihnen das selbst gar nicht bewusst ist“, sagt Fehring. Dass das Kind studieren soll, weil man selbst einen Uniabschluss hat, oder eine Lehre von ihm erwartet, weil ein Studium zu viel Geld und Zeit kostet. „Ausgesprochene Erwartungen können ein Kind unter Druck setzen, unausgesprochene können es verunsichern“, sagt Fehring.

Zur Person

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Anke Fehring ist Mentorin für Lebens- und Berufsfindung in Köln.

Foto: Fehring

Anke Fehring ist Coach, Autorin und Dozentin unter anderem  an der Universität zu Köln. Ihr Ziel ist es, jungen Menschen Selbstbewusstsein, Mut und Entscheidungskraft zu schenken. In individuellen Coachings begleitet und unterstützt sie Schülerinnen, Schüler und Studierende in Fragen der Studien- und Berufsorientierung. www.ankefehring.com

Jugendlichen legt sie deshalb ans Herz, sich darüber klar zu werden: Was erwartet wer von mir? Meine Eltern, mein Umfeld, die Gesellschaft? Glaube ich vielleicht nur, dass es erwartet wird? „Ein offenes Gespräch mit den Eltern kann dabei helfen, herauszufinden, welche Forderungen von außen an einen herangetragen werden und welche man selbst an sich stellt“, sagt Fehring. Das bringe Klarheit und die Chance, sich gegen fremde Wünsche abzugrenzen. 

Statt Erwartungsdruck zu erzeugen und klare Vorgaben zu machen sollten Eltern ihre Kinder ermutigen, eine eigene Entscheidung zu treffen und ihnen die Freiheit geben, dabei Fehler machen zu dürfen. „Das nimmt den Kindern die Angst davor, den falschen Weg einzuschlagen.“

3. Wie werden in der Familie Entscheidungen getroffen?

Ob und wie Jugendliche in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen, hängt, so Fehring, auch davon ab, welcher Entscheidungstyp sie sind und wie Entscheidungen innerhalb der Familie getroffen werden. Entscheidet jeder für sich? Geschieht das gemeinsam und gleichberechtigt? Wird dem Kind zugetraut, selbst entscheiden zu können, egal auf welchem Weg? Fehring: „Kopf-, Bauch- und Herztypen kommen auf ganz verschiedenen Wegen zur Entscheidung. Wenn das Kind ein Kopf-Typ ist, hilft es wenig, ihm zu sagen: Hör doch mal auf deinen Bauch! Dieses Gefühl kennt das Kind nämlich nicht.“ Umgekehrt bringe es einen Bauch-Typen wenig weiter, Argumente zu sammeln und Pro- und Contra-Listen aufzustellen.

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Besser sei, darüber nachzudenken, wann und wie man schon einmal eine gute Entscheidung getroffen hat. Wie habe ich mich für ein Hobby entschieden, für die Leistungskurse, wie dazu, mit dem Freund Schluss zu machen? Wer zu gar keiner Lösung kommt, sollte sich fragen, ob vielleicht die Angst davor, den falschen Weg zu gehen, eine Entscheidung blockiert. Ob Versagensängste eine Rolle spielen, oder mangelndes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten?

4. Wer bin ich und was macht mich glücklich?

„Der Entscheidungsprozess hängt zudem stark vom Persönlichkeitstyp ab“, sagt Fehring. Perfektionisten etwa würden meist denken, sie seien nicht gut genug, was ihnen die Berufsentscheidung erschwere. Vermittelnde, friedliebende Typen vergleichen sich bei der Frage, was das Richtige für sie sei, oft mit solchen, denen das schon lange klar ist. „Zielstrebige Charaktere wissen vielleicht schon seitdem sie sechs Jahre alt sind, dass sie Friseur/Friseurin oder Tierarzt/Tierärztin werden wollen. Das ist toll für sie, nur besteht die Gefahr, dass sie dabei von Ziel zu Ziel rennen, ohne zu beachten, ob es wirklich gut für sie ist“, sagt Fehring. Deshalb sei es auch nicht immer die beste Wahl, sich mit ihnen zu vergleichen, weil auch sie die falsche Entscheidung treffen können.

„Deshalb sollten Eltern nicht auf andere, sondern auf ihr Kind schauen, seine Persönlichkeit, seine Eigenschaften und Motive ins Visier nehmen, um gemeinsam herauszufinden, was zu ihm passt“. Dabei sei der Satz „Mach das, was dich glücklich macht!“ aber fehl am Platz. Denn auch er erzeuge Druck. Fehring: „Stattdessen sollten Jugendliche eine Idee dafür bekommen, was ihnen leichtfällt, an welchen Talenten sie Spaß haben und was sie zum Strahlen bringt.“ Dabei können die Eltern sie unterstützen, indem sie beobachten, wann ihr Kind aufblüht und besonders engagiert ist. „Manchmal sind es Kleinigkeiten, die Hinweise darauf geben“, sagt Fehring. Ist das Kind etwa rundum zufrieden, wenn es mit vielen Menschen zusammen ist? Dann wäre vielleicht ein sozialer Beruf und die Arbeit im Team die richtige Wahl.

5. Mag ich es praktisch, verschult oder eigenständig?

Bei der Entscheidung: Ausbildung oder Studium helfe außerdem, nicht nur auf die Inhalte zu achten, sondern auf den Aufbau und die Anforderungen des jeweiligen Ausbildungsangebots. „Kinder aus einem akademischen Haushalt haben wahrscheinlich kein Gefühl dafür, welche Herausforderungen eine Lehre mit sich bringt und Nicht-Akademiker-Kinder wissen eventuell nicht, wie viel Freiheiten und Selbstverantwortung ein Studium bedeutet.“ Wer es verschult mag, für den ist eventuell ein duales Studium das Richtige, praktisch veranlagte Typen sind vielleicht an der Uni schlecht aufgehoben.

Wichtig sei deshalb, sich nicht nur in seinem Dunstkreis zu bewegen, sondern über den Tellerrand zu schauen. Und Erfahrungen und Erfahrungsberichte aus möglichst vielen Bereichen zu sammeln, Schnupperpraktika zu machen, am Wochenende oder in den Ferien einmal in der Firma eines Bekannten zu hospitieren, mit Menschen zu sprechen, die eine Ausbildung, ein Studium, eine Lehre gemacht haben. „Schließlich speist sich das Bauchgefühl aus Erfahrungen, von denen ein 18-jähriger Mensch ja meist noch nicht viele sammeln konnte.“

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