InterviewWarum fühlen sich viele mit Anfang 30 allein?

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Frau Luhmann, Sie haben Daten von mehr als 16 000 Erwachsenen daraufhin untersucht, in welchem Alter Menschen besonders einsam. Was hat Sie dabei am meisten erstaunt? Die Spitzenwerte waren wenig erstaunlich: Ab einem Alter 80 Jahren aufwärts finden wir im Mittel die höchsten Einsamkeitswerte. Das ist ein altbekannter Befund. Aber nicht nur alte Menschen sind einsam. Uns hat überrascht, dass es besonders zwei andere Lebensphasen gibt, in denen die Einsamkeitsrate erhöht ist.

Dr. Maike Luhmann ist Juniorprofessorin am Institut für Psychologie der Universität zu Köln.

Sie meinen die Jahre Anfang 30 und das mittlere Erwachsenenalter ab 50. Wie erklären Sie das? Das können wir nicht wirklich erklären. Bislang hat sich die Forschung darauf konzentriert, Einsamkeit bei älteren Erwachsenen zu erforschen. Da haben wir die Gründe auch ganz gut verstanden.

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Alte Menschen sind vermehrt krank und können deshalb weniger am sozialen Leben teilnehmen? Laut unserer Studie spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Ganz vorn dabei sind tatsächlich gesundheitliche Probleme: Ist jemand so eingeschränkt, dass er nicht mehr das Haus verlassen kann, wirkt sich das auf die sozialen Kontakte aus. Ein zweiter Faktor sind diese Kontakte selber: Ältere Menschen sind eher verwitwet, haben Freunde verloren. Und auch Geld scheint eine Rolle zu spielen.

Wer mehr davon hat, ist weniger einsam? Ein höheres Einkommen geht mit einer geringeren Einsamkeit einher. Was dabei den Ausschlag gibt, haben wir noch nicht verstanden.

Zurück zu den jungen Einsamen: Woran könnte es liegen, dass das Einsamkeitsrisiko auch in den führen Dreißigern und Fünfzigern noch einmal steigt? Dazu haben wir mehrere Thesen überprüft, die wir alle ablehnen mussten. Zum Beispiel haben wir geschaut: Macht es etwas aus, wenn die Leute mit Kindern zusammen wohnen? So um die 30 kommen ja im Schnitt die ersten Kinder, 20 Jahre später verlassen die dann wieder den Haushalt, das könnte doch eine Rolle spielen. Aber für beides haben wir keine Evidenz gefunden. Auch gesundheitliche Probleme, die Arbeits- und Wohnsituation und den Beziehungsstatus konnten wir nicht mit den Einsamkeitswerten in Verbindung bringen. Es ist eine interessante Frage für zukünftige Forschung, was Menschen in diesen Altersphasen anfällig für Einsamkeit macht.

Was denken Sie persönlich? Ich vermute, dass die sogenannte Rushhour des Lebens eine Rolle spielen könnte, die in den frühen Dreißigern beginnt. Menschen sind plötzlich aufgefordert, quasi alle Lebensziele auf einmal zu erreichen und Job, Kinder, Partnerschaft unter einen Hut zu bekommen. Das geht dann vielleicht zu Lasten der sozialen Beziehungen. Was das Einsamkeitsrisiko im mittleren Erwachsenenalter um die 50 betrifft, müsste man genauer schauen, ob es nicht doch das Empty-Nest-Syndrom ist: Die Kinder sind aus dem Haus, man muss sich neu orientieren. Vielleicht führen solche Faktoren zu Einsamkeit, aber das konnten wir mit unseren Daten nicht belegen.

Zahlen zur Einsamkeit

Fühlen Sie sich manchmal, oft oder sehr oft einsam?

Diese Fragen stellten Maike Luhmann von der Universität zu Köln und Louise C. Hawkley von der University of Chicago im Rahmen einer Studie ihren Probanden. Je nach Alter bejahten unterschiedlich viele Menschen die Frage .

Das Ergebnis im Detail:

15- bis 25-Jährige: 12 %

25- bis 35-Jährige: 14,8 %

35- bis 45-Jährige: 11,9 %

45- bis 55-Jährige: 14 %

55- bis 65-Jährige: 12,8 %

65- bis 75-Jährige: 9,9 %

75- bis 85-Jährige: 14,2 %

85- bis 120-Jährige: 20 %

Sie haben die Daten des Sozioökonomischen Panels von 2013 ausgewertet. Wie wurde darin abgefragt, ob jemand einsam ist? Dazu gab es mehrere Fragen. Wichtig war, dass das Wort „Einsamkeit“ darin nicht verwendet wird, weil der Begriff ein gewisses Stigma hat. Deswegen versucht man, indirekt zu fragen, zum Beispiel: Haben Sie manchmal das Gefühl, außen vor zu sein?

Wieso ist Einsamkeit eigentlich stigmatisiert? Zuzugeben, dass man nicht glücklich ist, dass man Probleme hat, fällt in einer Leistungsgesellschaft einfach vielen Menschen schwer. Dann noch zu sagen, dass man professionelle Hilfe braucht, kostet besonders viel Überwindung.

Wann sollte man sich denn professionell helfen lassen? Einsamkeit ist ja erstmal keine Krankheit. Das stimmt. Es ist normal, dass wir uns alle mal einsam fühlen. Das ist sogar gesund. Es zeigt uns: Wir haben nicht genug soziale Kontakte, wir müssen was tun. Normalerweise würde man dann auch versuchen, etwas zu ändern, rauszugehen und mit Leuten in Kontakt zu kommen. Leider kann Einsamkeit aber zum gegenteiligen Effekt führen: Menschen, die einsam sind, beginnen, ihre Umgebung auf bestimmte Art wahrzunehmen. Sie fühlen sich eher bedroht im Beisein von anderen und werden deshalb von diesen oft als unsympathisch wahrgenommen. Das ist natürlich hinderlich, wenn man neue soziale Kontakte knüpfen oder bestehende vertiefen will. Wenn man merkt, dass man in so eine Abwärtsspirale gerät, wäre es gut, sich Hilfe zu suchen. Auch weil Einsamkeit, die lange anhält, zu Depression führen kann.

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