Post-Covid-19„Nicht alle Corona-Genesenen sind gesund, sie sind nur nicht gestorben“

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Florian Weyand geht regelmäßig spazieren, um nach seiner Corona-Infektion wieder fit zu werden.

Köln – Florian Weyand ist eigentlich ein sportlicher junger Mann, spielt Fuß- und Handball, joggt und fährt Rennrad. Doch wenn er sich jetzt auf seine Spazierrunde begibt, schafft er gerade einmal bis zu 1,5 Kilometer. „Ich spüre nach den kurzen Strecken dann schon ein Kribbeln im Brustkorb und ein Druckgefühl – das ist das Zeichen für mich, dass ich zurückgehen muss“, sagt der 37-Jährige aus Kirchlengern im Kreis Herford. Weyand hatte sich Mitte November mit dem Coronavirus infiziert. Seitdem kommt er nicht wieder auf die Beine. Er gilt zwar laut Definition des Robert Koch-Instituts als genesen und ist schon lange aus der Quarantäne entlassen, gesund fühle er sich aber noch nicht.

Bei diesen Langzeitfolgen einer Covid-19-Infektion wird von einem Post-Covid-Syndrom oder Long-Covid gesprochen. Die unter diesen Begriffen zusammengefassten Symptome sind noch nicht eindeutig definiert, es können aber verschiedene Körpersysteme und Organe betroffen sein, wie die Lunge, das Herz, das Gehirn und das Nervensystem sowie die Gefäße, sagt Matthias Schmalenbach, Chefarzt der Pneumologie in der „MediClin Klinik“ in Reichshof. Symptome könnten sein: Lungenfunktionsstörungen, Verlust des Geruchs- und Geschmacksinns, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Koordinationsstörungen, Schmerzen in den Extremitäten bis hin zu Lähmungen sowie das Ermüdungssyndrom Fatigue. „Dabei haben die Menschen die Befürchtung, den Tag nicht durchstehen zu können, weil sie so energiearm sind“, sagt der Lungenfacharzt. Die Symptome könnten noch Monate nach einer Infektion anhalten oder auch erst Monate später auftreten. Diese Spätfolgen seien auch ganz unabhängig von der Schwere des primären Verlaufs.

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Matthias Schmalenbach ist Chefarzt der Pneumologie

Was typisch bei Long-Covid-Patienten zu sein scheint, sei eine Varianz der Symptome. „Sie leiden nicht jeden Tag an den gleichen Symptomen und unter der gleichen Schwere“, sagt Schmalenbach. Das mache es vielen Patienten auch so schwer, ihre Beeinträchtigungen zu beschreiben. „Wie lange die Beschwerden anhalten können, weiß niemand.“

Post-Covid-Syndrom: Jeder Zehnte hat noch nach zwölf Wochen Symptome

Nach einer britischen Studie des „Office for National Statistics“ (ONS) zeigt etwa jeder Fünfte, der positiv auf Covid-19 getestet wurde, Symptome über einen Zeitraum von fünf Wochen oder länger. Jeder Zehnte sogar zwölf Wochen oder länger. Die Ergebnisse einer anderen britischen, im Preprint veröffentlichten Studie der Universität Leicester und der britischen Statistikbehörde ONS zeigt, dass Covid-19 Patienten, die im Krankenhaus behandelt wurden und wieder als geheilt entlassen wurden, ein erhöhtes Risiko haben, erneut behandelt werden zu müssen. Laut der Studie muss fast jeder Dritte innerhalb von fünf Monaten erneut eingeliefert werden – häufig mit Störungen an mehreren Organen. Außerdem starb demnach mehr als jeder Zehnte an den Spätfolgen. Das höhere Risiko sei weder auf ältere Menschen beschränkt noch ethnisch einheitlich.

Auch Jenny R. aus Bonn leidet noch Wochen nach der Infektion an extremen Beeinträchtigungen. „Meine Ärztin sagte mir, ich könnte am Ende des Jahres wieder voll einsatzfähig sein“, sagt die 36-Jährige. Nachdem auch Jenny nach einem milden Verlauf als genesen galt, hatte sie plötzliches Herzstechen, Luftnot und Kreislaufprobleme. Wegen einer Herzmuskelentzündung mit einem Erguss am Herzbeutel und Herzrhythmusstörungen musste sie im Verlauf noch dreimal ins Krankenhaus. „Ich hatte Angst, dass mir das Herz einfach stehen bleibt.“ Auch sie war vor der Infektion Ende November körperlich fit und machte Triathlon. Ihre 15-km-Zeit lag bei 1:25 Stunden. Jetzt versucht sie täglich zweimal eine halbe Stunde spazieren zu gehen. „Ich schlafe viel und bin noch sehr müde. Gelegentlich habe ich auch noch Geschmacksstörungen. Das kommt und geht.“

Nach Covid-19-Infektion: „Die Spätfolgen sieht man einem nicht an“

An der Klinik in Reichshof hat man sich auf eine Rehabilitation für Covid-19-Patienten spezialisiert. Viele Patienten kämen nach einer akut durchgemachten Erkrankung, beispielsweise mit langem Aufenthalt auf der Intensivstation. Aber auch die Patienten mit langanhaltenden Symptomen kommen immer häufiger in die Klinik, so Schmalenbach. Die Reha soll helfen, die Beeinträchtigungen zu lindern und zu lernen, mit ihnen umgehen zu können – ein Wiedereinstieg ins Alltagsleben soll ermöglicht werden, so Schmalenbach. Ein hoher Prozentsatz der Patienten sei nach einer Infektion erst einmal nicht arbeitsfähig. „Sie sind oft mehrere Monate beeinträchtigt“, so der Lungenfacharzt.

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Florian Weyand vor seiner Corona-Infektion im Home Office.

Hinzu kommen die psychischen Belastungen. „Die Spätfolgen sieht man einem nicht an“, sagt Weyand. „Andere Menschen denken sich, der muss doch wieder fit sein – er hinkt und humpelt nicht. Ich fühle mich aber schwach. Das nagt auch an der Psyche.“ Die Lunge des 37-Jährigen wurde nach der Infektion kontrolliert. „Auf dem CT sieht man die Verfärbung der Lunge. Tests zeigen, dass ich nicht mehr die Lungenfunktion habe, die ich haben sollte. Die Ärzte sind optimistisch, dass das heilt. Doch dafür gibt es keine Garantie. Es kann auch Vernarbungen geben.“ Weil man mittlerweile weiß, dass das Coronavirus auch andere Organe angreift, macht sich Weyand zudem Gedanken, ob bei ihm auch andere Organe angeschlagen sind.

Auch Jenny fand besonders zu Beginn ihre Spätfolgen beängstigend. „Ich hatte Angst einzuschlafen und nicht wieder aufzuwachen. Mein Freund hat nachts kontrolliert, ob ich noch atme. Das belastet einen sehr.“ Doch mittlerweile ist sie optimistischer. „Ich habe die Chance, dass mein Herz wieder komplett ausheilt – ohne bleibende Schäden. Das ist wenigstens eine Perspektive. Viele anderen haben die nicht.“

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Neben Reha-Angeboten und ersten Selbsthilfegruppen gibt es auch schon vereinzelte Post-Covid-Ambulanzen. Florian Weyand war Mitte Februar als erster Patient in einer solchen Ambulanz in Minden. Dort habe er eine Stunde lang ein Gespräch mit einem Arzt über seine Beeinträchtigungen und die bisherigen Befunde geführt. Dies werde nun mit weiteren Ärzten besprochen, bevor Weyand eine Rückmeldung bekommen soll, ob man ihm helfen kann.

Auch in Köln gibt es eine Corona-Sprechstunde. Die Infektiologin und Leiterin der Ambulanz an der Uniklinik Köln, Professorin Clara Lehmann, berichtet von einer enormen Anzahl an Anfragen. „Da sind wir leider gar nicht in der Lage, alle Menschen zu betreuen.“ Um die Anfragen bewältigen zu können, gibt es für eine Terminvereinbarung gewisse Voraussetzungen: Der Hausarzt muss bereits Untersuchungen gemacht haben, es müssen auffällige Befunde vorhanden sein und der Symptombeginn der Covid-19-Infektion muss bereits mindestens drei Monate her sein. In der Sprechstunde selber werden die Befunde analysiert und ein aus den Bereichen HNO, Psychosomatik, Neurologie und Pneumologie erstellter Fragebogen bearbeitet, sagt Lehmann. Je nach Ergebnissen sollen dann weitere Analysen in den Fachbereichen stattfinden.

Long-Covid: Insbesondere Menschen mit mildem Verlauf betroffen

Das erstaunliche an dem Post-Covid-Syndrom sei, „dass 98 Prozent der Menschen in unserer Sprechstunde einen milden Verlauf hatten, den sie zu Hause auskurieren konnten und für den kein Krankenhausaufenthalt nötig war.“ Man kenne solche Spätfolgen bislang nur von schweren Verläufen bei anderen Infektionskrankheiten, aber nicht von milden Verläufen. „Wenn man nun beachtet, dass weltweit etwa 80 Prozent der Infizierten einen milden Verlauf haben, kann das noch große Auswirkungen haben“, sagt die Infektiologin. Bei ihrer eigenen Studie mit einer Untersuchungskohorte von 1000 Personen mit einem milden Verlauf ohne stationären Aufenthalt hätten nach sechs Monaten noch etwa 15 Prozent relevante Beschwerden gehabt.

Welche Auswirkungen die Spätfolgen von Covid-19 haben können, muss noch weiter untersucht werden. Lehmann: „Wir fangen gerade erst an, das Krankheitsbild zu verstehen.“ Dass eine Covid-19-Infektion beträchtliche Folgen – auch für junge Menschen – haben kann, wissen Jenny R. und Florian Weyand. Beide haben das Gefühl, dass die Infektion immer noch nicht von jedem ernst genommen wird. „Viele Menschen denken, es betrifft nur 80-Jährige, die dann an Covid-19 sterben. Aber die Langzeitfolgen der Infektion betreffen auch junge Menschen stark“, sagt Weyand. Das sieht Jenny genauso: „Es gibt nicht nur tot oder gesund. Es gibt noch einen Zwischenzustand, von dem viele Menschen betroffen sind. Beim RKI werden die Menschen nach einer Infektion als genesen gezählt. Aber diese Menschen sind nicht alle gesund, sondern sie sind nur nicht gestorben.“

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