„Garantie kann keiner geben“Autobahnchef zum Zustand der Brücken in Köln und NRW

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Luftbilder Rheinbrücke Leverkusen2

An der A1-Rheinbrücke Leverkusen schreiten die Arbeiten voran.

  • 60 Prozent der Autobahnbrücken in NRW müssen neu gebaut oder verstärkt werden. Alle Bauwerke, die mit der Talbrücke Rahmede im Sauerland vergleichbar sind, werden überprüft.
  • Es gibt keine Garantie, dass es nicht zu weiteren Sperrungen kommt.

Köln – Seit Dezember steht die Talbrücke Rahmede auf der Sauerlandlinie als Symbol für die marode Infrastruktur in Deutschland. Bis dahin haftete Leverkusen diese zweifelhafte Ehre an. Dass eine Autobahnbrücke praktisch über Nacht für immer gesperrt wird, ist aber ein so noch nie dagewesener Vorgang. Im Interview sprechen Thomas Ganz, Chef der Autobahn GmbH Rheinland und Nicole Ritterbusch, Leiterin des Geschäftsbereich Rheinbrücken, über den Zustand der Brücken in NRW.

Im Zusammenhang mit Rahmede sprechen alle vom Super-Gau. Sehen Sie das auch so?

Pressefoto Herr Ganz

Chef der Autobahnen im Rheinland: Thomas Ganz

Thomas Ganz: Nein. Für uns war die spontane Sperrung der Rheinbrücke Leverkusen im Jahr 2013 der Weckruf. Da sind alle doch sehr überrascht worden über den schlechten Zustand. Trotz der regelmäßigen Prüfungen. Dass plötzlich derart massive Schäden auftreten können, hatte man nicht vermutet. Wir haben damals nur Glück gehabt, dass das Schadensbild nicht so schlimm war und wir die Brücke wenigstens für Pkw weiter nutzen können.

Die Sperrung von Autobahnbrücken für Lkw ist leider kein Einzelfall geblieben.

Ganz: Das ist alles eine Folge der Erfahrungen mit Leverkusen. Seither wissen wir, dass der Zustand der Bauwerke trotz der turnusmäßigen Hauptuntersuchungen alle sechs und der dazwischen liegenden Einfachprüfungen alle drei Jahre genauer nachgeprüft werden muss. Seit Leverkusen haben die zuständigen Verkehrsminister, also Michael Groschek und Hendrik Wüst, immer wieder betont, dass wir 60 Prozent aller Brücken in NRW entweder neu bauen oder zumindest verstärken müssen.

Was heißt das für die Brücken im Rheinland?

Ganz: Wir kennen den Zustand unserer Brücken sehr genau und wissen, welche kritisch sind. Der Tausendfüßler in Bonn zum Beispiel. Mehrere Brücken im Kreuz Duisburg-Kaiserberg, natürlich die Rheinbrücke Neuenkamp, die von der Deges neu gebaut wird. Sie alle werden permanent überwacht, damit wir sie solange in Betrieb halten können, bis die neuen Brücken stehen. Zur Not müssen wir sie ablasten, Fahrspuren nach innen einengen, Überholverbote und Abstandsgebote für Lkw einführen. Da sind wir extrem sensibel unterwegs.

Können Sie ausschließen, dass es im Rheinland kein zweites Rahmede geben wird?

Ganz: Wir haben die Brücken im Blick. Wenn sie von der Konstruktion her auffällig werden, schauen wir sofort genauer hin. Wir haben die Instrumente in die Hand genommen, um Brücken, die mit Rahmede vergleichbar sind, noch einmal genauer zu untersuchen. Das sind fünf Bauwerke, die aber alle schon zum Abbruch und Neubau vorgesehen sind. Da gibt es teilweise jährliche Sonderprüfungen. Wir tun alles, um ein zweites Rahmede auszuschließen. Ich möchte das gerne, aber eine hundertprozentige Garantie kann keiner geben.

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Nicole Ritterbusch, Leiterin des Geschäftsbereichs Rheinbrücken

Nicole Ritterbusch: Ein plötzliches Versagen von Einzelbauteilen, das eine Kette von Reaktionen auslöst, kann man nicht immer hundertprozentig erkennen. Dann müsste man alle Brücken laienhaft ausgedrückt einmal im Jahr durchröntgen.

Es ist immer von Laserscan-Verfahren die Rede. Was bedeutet das?

Ganz: Damit kann man vor allem bei besonders schlanken Brücken erkennen, ob sich Verformungen im Stahl zeigen. Ob eine Beule, die man entdeckt, schon beim Einbau vorhanden war oder das aktuell passiert ist, lässt sich damit nicht erkennen.

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Ritterbusch: Das ist ein reines Messverfahren zur Brücken-Geometrie. Für die Ursachenforschung muss man Statiker zurate ziehen, die sich mit der Lastenverteilung befassen. Das Laserscanverfahren bildet nur den tagesaktuellen Zustand ab. Das ist ein bisschen wie beim Tüv. Eine Bremse kann auch am Tag nach der Prüfung kaputtgehen.

Das klingt alles sehr nach Zufall, ob man eine kaputte Brücke rechtzeitig erkennt oder nicht?

Ganz: Genau das eben nicht. Wir kennen die auffälligen Bauwerke. Auf der Liste der Bundesanstalt für Straßenwesen sind 1000 Brücken verzeichnet, die kritisch zu betrachten sind, weil sie eine gewisse Konstruktionsgröße haben. Da wird akribisch nachgeguckt. Dass sich plötzliche Veränderungen wie in Rahmede ergeben, kommt im Regelfall durch Überlastung zustande. In Leverkusen hätten wir die Schäden per Laserscan nicht erkennen können. Da sind einfach Schweißnähte gerissen. Bei der Hauptprüfung hat man gesehen, da könnte etwas passieren und hat bei der anschließenden Sonderprüfung die Farbe von den Schweißnähten abgeklopft. Da hat man dann die Risse erst entdeckt.

Ritterbusch: Das hat dann die ganze Kette von Maßnahmen ausgelöst. Bis hin zur Schrankenanlage für Lkw und der Tatsache, dass das Bauwerk permanent überwacht werden muss. Wir haben dauerhaft Arbeiter in der Brücke, die Schäden sanieren und schauen, ob neue Risse vorkommen.

Vor Überraschungen ist man also nie gefeit.

Ganz: Jede Brücke ist ein Unikat und war beim Bau für bestimmte Verkehrslasten ausgelegt, die bei den älteren Bauwerken in der Regel zum Teil bei weitem überschritten werden. Aus der Beobachtung der vielen 1000 Brücken deutschlandweit weiß man recht genau, welche Brücken sind für Schadensentwicklungen besonders anfällig. Auch Rahmede wird wieder zu neuen Erkenntnissen führen. Die Brücken-Taskforce der Autobahn GmbH sammelt diese Daten und wird daraus Schlussfolgerungen ziehen, wie man bundesweit das Thema Brückenzustand und Neubau künftig angehen muss.

Ritterbusch: Fakt ist, dass die meisten Brücken in den 60er und 70er Jahren gebaut wurden und durch die hohen Verkehrsbelastungen nahezu alle ihre prognostizierte Lebenszeit nicht erreichen werden. Deshalb haben wir jetzt die geballten Probleme.

Was heißt das für die Arbeit der kommenden Jahre auch angesichts des Mangels an Planern und Ingenieuren?

Ganz: Wir haben im Rheinland einen einfachen Prioritätenkatalog auch zum Einsatz des Personals. Oberste Priorität haben die laufenden Bauprojekte. Wir wollen immer so schnell wie möglich fertig werden, damit der Verkehr fließen kann. Dann kommen die Brücken mit Neubau oder Reparatur sowie die wichtigen Erhaltungsmaßnahmen. Eine Vielzahl von Brückenneubauten steht auch im Zusammenhang mit Ausbaumaßnahmen, die eine hohe Priorität haben wie eben die Rheinbrücken oder der Tausendfüßler in Bonn. Sonstige Neu- und Ausbauvorhaben stehen in der Priorisierung hinter denen, die ich eben genannt habe.

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