Corona-Stresstest„Kinder betreuen und den Job machen – das geht nicht zusammen“

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Symbolbild

  • Eltern mit kleinen Kindern in Nordrhein-Westfalen fühlen sich nach sechs Wochen Schließung von Kindertagesstätten und Grundschulen von der Landesregierung alleingelassen.
  • Wer im Homeoffice arbeitet, stellt schnell fest, dass den Job erledigen und die Kleinen betreuen nicht zusammengeht.
  • Und wenn beide Elternteile tagsüber außer Haus berufstätig sind, wird die Betreuung der Kinder zu einem immer größeren Problem. Ein Erfahrungsbericht.

Düsseldorf – Iris Krampitz ist eine Geschäftsfrau, die so schnell nicht aus der Bahn zu werfen ist. Seit 16 Jahren leitet die 46-jährige eine kleine PR-Agentur in Köln. Sie entwickelt Kampagnen, baut Websites und verfasst PR-Texte für Energie- und Technologieunternehmen.

Das erfordert Ruhe und Konzentration. Derzeit muss die Unternehmerin mit einer besonders hartnäckigen Störungsquelle klarkommen. Die heißt Zora, ist drei Jahre alt – und unterbricht die Mama regelmäßig bei der Arbeit.

Iris Krampitz macht Homeoffice. „Wer glaubt, man könne kleine Kinder betreuen und gleichzeitig seinen Job vernünftig machen, hat das niemals selbst ausprobiert“, sagt die Diplom-Chemikerin.

Enttäuschte Hoffnung auf Öffnung der Kitas

Wie viele Eltern hatte auch die Kommunikationsexpertin darauf gehofft, dass mit den ersten Lockerungen bei der Bekämpfung der Coronakrise die Kita-Betreuung langsam wieder in Gang kommen würde. „Mein Ehemann macht Wartungsarbeiten bei der Stadt Köln und kann nicht von zu Hause aus arbeiten“, sagt Iris Krampitz.

Daher bleibe die Kinderbetreuung in weiten Teilen an ihr hängen. „Die Arroganz, mit der die Politik Betreuungsangebote und finanzielle Entschädigungen ausschließt, wenn Homeoffice möglich ist, macht mich wütend“, sagt die Geschäftsführerin. „Als berufstätige Mutter fühle ich mich vollkommen im Stich gelassen.“

Die Schließung der Kitas war von den meisten Eltern als Bestandteil des Schutzkonzepts noch gelassen akzeptiert worden. Die paar Wochen bis zum Ende der Osterferien werde man schon überstehen, hieß es vielfach.

Erst mit der Veröffentlichung des Leopoldina-Gutachtens vor 14 Tagen kam der Schock. Dort hieß es, die Kitas sollten auf unbestimmte Zeit geschlossen bleiben. Als Bund und Länder sich auf erste Lockerungen verständigten, ging es um die Kitas nur am Rande. Immerhin wurde die Liste der Eltern, die Notbetreuung für die Kinder in Anspruch nehmen können, deutlich verlängert.

Anspruch auf Notbetreuung haben die Wenigsten

In NRW können jetzt zum Beispiel alle Alleinerziehenden von der Regelung Gebrauch machen. Auch Steuerberater und Hausmeister zählen jetzt zu den systemrelevanten Berufsgruppen. Im Kleingedruckten wurde die Gruppe der Privilegierten allerdings erheblich eingeschränkt.

Anspruchsberechtigt waren nur Frauen und Männer, die nicht die Möglichkeit hatten, im Homeoffice zu arbeiten. Nach massiven Protesten wurde die Regelung vom Land unterdessen wieder zurückgenommen. Besonders kleine Kinder sind nicht in der Lage, sich stundenlang selbst zu beschäftigen.

„Meine Tochter braucht in diesen schwierigen Zeiten besonders viel Zuwendung“, erklärt die Geschäftsfrau. „Sie kann sich nicht stundenlang allein beschäftigen, ihr Brot schneiden und braucht Hilfe, wenn sie zur Toilette muss. Es gibt keine Telefonkonferenz, die ich nicht ständig unterbrechen muss. Es wäre schon hilfreich, wenn ich die Kleine wenigstens zweimal pro Woche für ein paar Stunden zur Kita bringen könnte.“

In der sechsten Woche des Lockdowns liegen in vielen Familien die Nerven blank. Alle Spiele sind gespielt, alle Malbücher gefüllt und Kinderbücher gelesen. Aber ein Ende des Ausnahmezustands ist nicht in Sicht.

Urlaub genommen für die Kinderbetreuung

„Wir mussten schon viele Urlaubstage nehmen, um die Kinderbetreuung hinzubekommen“, erzählt Ena Burg, die wie ihr Mann als Köchin in einem Betrieb bei Euskirchen arbeitet. „Ich befürchte, dass wir keinen einzigen freien Tag mehr übrig haben, wenn die Krise irgendwann vorüber sein sollte.“

Auch viele Kinder leiden unter der Situation. „Mein sechsjähriger Sohn hat nachts neuerdings Alpträume und wirkt verängstigt“, berichtet Ena Burg.

Die Politik lasse Eltern und Kinder im Stich, schimpft die 42-Jährige: „Ich kann nicht verstehen, dass die Senioren, die wir schützen sollen, in aller Seelenruhe draußen herumlaufen und Kaffee trinken gehen, während die Kinder noch nicht mal auf den Spielplatz dürfen und schon wochenlang ihre Freunde nicht sehen.“

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Die Isolation der Kinder bereitet den meisten Eltern große Sorge. „Das Bedürfnis der Kinder, sich mit Gleichaltrigen zu treffen, nimmt von Tag zu Tag zu“, sagt Anna Genser, dreifache Mutter aus Köln-Ossendorf. Den Eltern gehe „jetzt langsam die Luft aus“.

Deshalb solle die Politik den Eltern nun zumindest erlauben, feste Kleingruppen mit anderen Familien zu bilden. „In abgeschlossenen Bubbles mit bis zu vier Kindern würde sich das Infektionsrisiko in Grenzen halten“, ist sich Anna Genser sicher.

Die Grünen im Düsseldorfer Landtag unterstützen diese Forderung. „Spiel und Bewegung sind absolute Grundbedürfnisse und wichtig für eine gesunde Entwicklung von Kindern. Deshalb müssen Konzepte erarbeitet werden, um Spielplätze wieder zu öffnen“, sagt Josefine Paul, familienpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag.

Dennis Maelzer, Kita-Experte der SPD, hat eine Anfrage an die Landesregierung gerichtet. Er will wissen, auf welche wissenschaftlichen Studien sich die Landesregierung bei ihrer Einschätzung der Infektionsgefahr durch Kinder stützt. Er ist dafür, die sozialpädagogische Betreuung zum Beispiel mit Spielmobilen im Park auszuprobieren.

„Das scheint mir jedenfalls eine bessere Option zu sein, als das Ordnungsamt vor Spielplätze zu stellen und den Zugang zu kontrollieren“, so Maelzer.

Stamp hält Öffnung der Spielplätze für denkbar

In NRW ist Familienminister Joachim Stamp für die Kinderbetreuung verantwortlich. Der FDP-Politiker hält zumindest eine Öffnung der Spielplätze wieder für denkbar. „Dort, wo es verantwortliche Aufsicht geben kann, befürworte ich, eine Öffnung von Spielplätzen in absehbarer Zeit wieder zu ermöglichen“, sagte Stamp dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ auf Anfrage.

Iris Krampitz hätte sich als Unternehmerin und Mutter mehr Unterstützung von der Politik erhofft. Sie wünscht sich ein „Corona-Elterngeld plus“, das finanzielle Verluste von Eltern im Homeoffice ausgleicht, damit mehr Zeit für eine richtige Kinderbetreuung bleibt.

„Boutiquen dürfen wieder öffnen, aber Spielplätze und der Zoo bleiben dicht. Gerade jetzt brauchen Kinder besonders viel Aufmerksamkeit und Zuwendung. Homeoffice ist kein Betreuungskonzept!“

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