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HochwasserschutzMinisterin kann den Frust der Menschen im Kreis Euskirchen nachvollziehen

10 min
Das Bild vom 16. Juli 2021 zeigt die Folgen der Flutkatastrophe im noch überschwemmten Bad Münstereifel.

Die Flut hat 2021 in Bad Münstereifel – wie an vielen anderen Orten im Kreis Euskirchen auch – schwere Schäden verursacht.

Vier Jahre nach der Flut: Viele Hochwasserschutzprojekte im Kreis Euskirchen sind angedacht. Doch bis zur Umsetzung dauert es sehr lange.

Vier Jahre sind seit der Flut im Kreis Euskirchen vergangenen. Vielerorts ist der Wiederaufbau abgeschlossen, an manchen Stellen scheint die Zeit nach dem 14. und 15. Juli 2021 stehengeblieben zu sein. Gerade im Hochwasserschutz scheint es nicht recht voran zu gehen.

Zahlreiche Projekte sind im Kreis Euskirchen in Planung

Im Kreis Euskirchen laufen einige Projekte, um den Hochwasserschutz zu verbessern. Nach Angaben von Sven Gnädig, Pressesprecher des Kreises, liegen drei der geplanten Hochwasserrückhaltebecken für die Ahr im Kreis Euskirchen auf dem Gebiet der Gemeinde Blankenheim. Die Hochwasserrückhaltebecken an der Ahr können laut Gnädig nur in einer Kooperation, beispielsweise mithilfe eines Gewässerzweckverbands, weiter geplant, umgesetzt und bewirtschaftet werden. Um einen solchen Verband zu installieren, laufen Gnädig zufolge aktuell entsprechende Abstimmungen. Erste Grundsatzbeschlüsse auf Ebene der unteren Verwaltungsebenen seien getätigt worden. Auch die Beteiligung des Landes Rheinland-Pfalz sei zugesagt worden.

Um den Hochwasserschutz rund um Urft und Olef anzugehen, haben sich die Kommunen Blankenheim, Dahlem, Hellenthal, Kall, Nettersheim und Schleiden sowie der Kreis Euskirchen und der Wasserverband Eifel-Rur (WVER) ein Jahr nach der Flut zu einer Kooperation zusammengeschlossen.

Unter anderem ist die Machbarkeitsstudie für das potenziell größte Projekt, die neue Platißbach-Talsperre bei Hellenthal, in Arbeit und soll in diesem Jahr fertig werden. Doch bis die möglicherweise gebaut wird, vergehen Jahre. Darüber hinaus wurden insgesamt 140 Ideen entwickelt, die nun geprüft werden. Die Kommunen entwickeln zudem lokale Maßnahmen. Teils sind die schon umgesetzt, in Nettersheim wurden beispielsweise ein Damm, eine Rechenanlage und Fluttore gebaut.

Bei Hellenthal fließen der Preth- und Platißbach zusammen.

Als möglicher Standort einer Platißbach-Talsperre wird der Zusammenfluss von Preth- und Platißbach bei Hellenthal gehandelt.

Der Erftverband unterstützt die Kommunen Bad Münstereifel, Euskirchen, Mechernich, Weilerswist und Zülpich bei der Erstellung der Hochwasserschutzkonzepte. Zudem sind Hochwasserrückhaltebecken (HRB) in Schwerfen, am Kommerner Mühlensee, der Möschemer Mühle und in Schweinheim geplant. Am Hochwasserabschlag am Zülpicher See wird gearbeitet.

Im Mühlensee sei das Rückhaltevolumen durch Bodenabtragungen auf 95.000 Kubikmeter erhöht worden, sagt Ronja Thiemann, Pressesprecherin des Erftverbands. Gebaut werden soll ab Ende 2025, fertig sein soll alles ein Jahr später. Bei den anderen HRB dauert es laut Tiemann zum Teil deutlich länger.

Die Gewässerschäden im Einzugsbereich des Erftverbands seien alle behoben worden. Die Schäden an bestehenden HRB seien ebenfalls behoben. Am HRB Horchheim seien zudem bauliche Verbesserungen am Damm getroffen worden, so Tiemann.

Die Verfahren ziehen ziehen sich über viele Jahre hin

In Planung und Genehmigung von Hochwasserrückhaltebecken sind viele Akteure mit einzubinden und verschiedenste Restriktionen zu berücksichtigen – beispielsweise Verkehrswege, Strom- und Gasnetze, Natur- und Denkmalschutz und Bodenbeschaffenheit. „Die Abstimmungen und die Berücksichtigung aller Belange können sich unter Umständen verzögernd auf die Dauer der Verfahren auswirken“, erklärt Thiemann. Für das HRB Schwerfen etwa habe der Erftverband mit der Bezirksregierung Köln einen Terminplan beschlossen, um Möglichkeiten zur Beschleunigung dieser Verfahren zu testen, so Tiemann: „Dieser Prozess wird kontinuierlich überwacht.“ Darüber hinaus müsse auch Zeit für den Erwerb von Flächen eingeplant werden.

Der Pressesprecher des NRW-Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr, Johannes Poth, fügt hinzu: „Planungs- und Genehmigungsverfahren für Hochwasserschutzmaßnahmen dauern in der Regel mehrere Jahre, weil die notwendigen Verfahrensschritte zu beachten sind und es viele Beteiligte mit zum Teil unterschiedlichen Interessen gibt.“ Deshalb gebe es den neuen „Pakt für Hochwasserschutz“, um die Planung aus einem Guss für ganze Flusseinzugsgebiete zu ermöglichen und Maßnahmen zu beschleunigen.

In den Südkreis-Kommunen wartet man hingegen weiterhin auf den Masterplan Hochwasserschutz. „Wir gehen davon aus, dass er bis Ende des kommenden Jahres vorliegt“, sagt Dr. Joachim Reichert, Chef des Wasserverbands Eifel-Rur (WVER).

Doch warum dauert die Planung so lange? Ursache, so sagte Reichert, seien in erster Linie „bürokratische Hemmnisse“: Etwa, dass man bei der Bezirksregierung wohl nicht darauf eingestellt war, dass solche Maßnahmen nicht von einer Kommune, sondern vom WVER für alle Beteiligten beantragt werden. Auch macht er den Generationswechsel in der Kölner Behörde mitverantwortlich: Mitunter habe man das Gefühl, dass die neuen Sachbearbeiter „noch formeller“ als ihre Vorgänger agierten.

Ministerin Ina Scharrenbach hat Verständnis für den Frust

Ina Scharrenbach, NRW-Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung, sagt: „Die notwendigen Gesetze zur Beschleunigung von Planungen sind auf der Bundesebene nicht geändert worden. Es gibt einen überragenden Belang für den Ausbau Erneuerbarer Energien, aber nicht für (Hochwasser-)Schutzmaßnahmen.“

Ich habe öfter den Eindruck, dass dieses Grundprinzip auf Bundesebene nicht richtig verstanden wird und wieder jeder seine Ressortinteressen gegen die anderer setzt.
Ina Scharrenbach, NRW-Heimatministerin

Als Beispiel führt sie einen Fall in Leverkusen-Opladen an. Ein Betroffener habe über Jahre eine Hochwasserschutzmaßnahme durch Klagen verzögert. Nach der Starkregenkatastrophe folgte dann ein Einsehen – zu spät. Anpassungen an den Klimawandel stellen nichts anderes als Schutzmaßnahmen dar: für Menschen, für Tiere und die Umwelt allgemein. „Ich habe öfter den Eindruck, dass dieses Grundprinzip auf Bundesebene nicht richtig verstanden wird und wieder jeder seine Ressortinteressen gegen die anderer setzt. Schutz ist das Wichtigste, alles andere darf dahinter anstehen. Insofern kann ich den Frust, der sich in Teilen vor Ort einstellt, mehr als nachvollziehen“, so Scharrenbach.

Auf der anderen Seite wollen Gewässerplanungen zwischen den Städten und Gemeinden gut aufeinander abgestimmt sein, denn: Das, was dem einen hilft, könnte dem anderem schaden. Hier laufen im Hintergrund ganz viele Abstimmungen zwischen den Beteiligten. Scharrenbach: „Deshalb ist vor Ort eine gute Kommunikation erforderlich, wo man jeweils steht, wo es hakt und warum, damit Bürgerinnen und Bürger das nachvollziehen können.“

Pegelstände werden auch an kleineren Bächen überwacht

Die Überwachung von Pegelständen an kleineren Bächen sei nicht unbedingt schwieriger als an größeren Gewässern, heißt es auf Anfrage seitens des Erftverbands. Vielmehr spiele es eine Rolle zu überlegen, wo es in einem Einzugsgebiet Sinn ergebe, den Wasserstand zu messen und daraus den Abfluss abzuleiten.

Nach der Flut seien zwei neue Pegel seitens des Erftverbands am oberen Veybach und am Bleibach gebaut worden. „Darüber hinaus plant der Erftverband derzeit ein ergänzendes Messnetz, das den Fokus auf die kleineren Gewässer legen soll“, so Thiemann. Ähnlich mache es die Stadt Bad Münstereifel bereits an verschiedenen Gewässerpunkten im Stadtgebiet.

Die Stadt Bad Münstereifel hat ein Hochwasserfrühwarnsystem an 13 Nebengewässern eingerichtet.

Die Stadt Bad Münstereifel hat ein Hochwasserfrühwarnsystem an 13 Nebengewässern eingerichtet, unter anderem am Eschweiler Bach zwischen Gilsdorf und Pesch.

2021 gab es nach Angaben des Landes landesweit 84 Pegel – bis Ende 2025 werden es 122 sein. „Das Land hat das Pegelnetz deutlich verdichtet und wird das auch in den kommenden Jahren tun“, heißt es aus dem NRW-Umweltministerium. Ziel sei eine bessere Vorwarnung, auch in ländlichen Regionen. Die neuen Pegel sollen verlässliche Daten für das Hochwasserportal NRW und Warn-Apps wie Nina liefern.

Sie seien doppelt technisch abgesichert und rund um die Uhr mit der Hochwasserzentrale des Lanuk verbunden. Standortwahl, Messsysteme und Informationswege sind dem Ministerium zufolge seit der Flut 2021 gezielt verbessert worden.

Hunderte Millionen Euro Wiederaufbauhilfe sind ausgezahlt

Nach Angaben des Kreises Euskirchen fanden nach der Flut bis Ende Juni 2025 insgesamt 10.140 Beratungen von Flutbetroffenen statt. Allein in diesem Jahr seien es noch 486 gewesen. Einen Monat vor dem vierten Jahrestag der Hochwasserkatastrophe fanden 69 Beratungen rund um die Wiederaufbauhilfe statt. 

Wie das Land auf Anfrage mitteilt, werden die insgesamt rund 12,3 Milliarden Euro, die für den Wiederaufbau in NRW zur Verfügung stehen, nicht in voller Höhe benötigt. An die Kommunen sind laut Scharrenbach 948.648.779 Euro Wiederaufbauhilfen ausgezahlt worden, an Privathaushalte es mehr als 338 Millionen.  „Dies liegt unter anderem daran, dass deutlich mehr der betroffenen Gebäude gegen Elementarrisiken versichert waren“, sagt Scharrenbach.

Rund 865 Millionen Euro seien bisher für privat genutzte Wohngebäude und den Ersatz von Hausrat bewilligt worden. Insgesamt wurden dafür bisher 27.274 Anträge gestellt, von denen mehr als 98 Prozent abschließend bearbeitet seien. Rund 734 Millionen Euro (85 Prozent) dieser Mittel sind laut Scharrenbach bereits ausgezahlt.

320 Betrugsfälle sind in NRW entdeckt worden

Im Rahmen der Bearbeitung wurden laut Ministerin Scharrenbach 320 Betrugsverdachtsfälle mit einem bewilligten Volumen von 8,8 Millionen Euro identifiziert. Dies sei weniger als ein Prozent der ausgesprochenen Bewilligungen.

„Weitere 272 Betrugsfälle wurden vor der Bewilligung im Bearbeitungsverfahren aufgedeckt“, so Scharrenbach. Insgesamt seien nach Erhärten eines Betrugsverdachts bisher 475 Fälle an die Staatsanwaltschaften abgegeben worden. Bei den übrigen 117 Fällen werde der Sachverhalt einzelfallbezogen weiter aufgeklärt.


Abschlussbericht: NRW war auf die Katastrophe nicht vorbereitet

Vier Jahre nach der Hochwasser-Katastrophe ist der Abschlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) im NRW-Landtag beschlossen worden. Kritisiert werden „mangelnde Lagekommunikation“ und unzureichende Warnungen an die Bevölkerung.

Im Abschlussbericht ist von „mangelnder Lagekommunikation“ die Rede. Bei der politischen Aufarbeitung konnten sich die Abgeordneten von Regierung und Opposition dem Dokument zufolge nicht darauf einigen, dass es eindeutige Beweise für ein fehlerhaftes Krisenmanagement der Landesregierung gegeben habe. Unstrittig sei hingegen, dass es Verbesserungspotenzial gebe, um künftige Katastrophen dieser Art besser zu verhindern und zu bewältigen.

Landrat Markus Ramers sagt dazu: „Der Abschlussbericht bestätigt, was die Menschen im Kreis Euskirchen unmittelbar erfahren haben: Das Land NRW war auf solch eine gewaltige Katastrophe nur unzureichend vorbereitet. Von der fehlenden oder zu späten Warnung über mangelhafte Kommunikationssysteme bis hin zum eigentlichen Hilfe- und Rettungseinsatz – auf allen Ebenen hat es große Defizite gegeben.“

Landrat: Kreis Euskirchen hat aus der Katastrophe richtige Lehren gezogen

Der Kreis habe aus der Hochwasserkatastrophe die nötigen und richtigen Schlüsse gezogen, so Ramers: „Nach der Katastrophe ist viel passiert. Die Handlungsempfehlungen bestätigen unseren Weg, den Bevölkerungsschutz im Kreis massiv zu stärken. Hier haben wir schon eine Menge erreicht in den vergangenen vier Jahren.“

So habe der Kreis mit der neuen Leitstelle zwischenzeitlich das „Herzstück der Gefahrenabwehr“ in Betrieb genommen. Sie koordiniert Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz mit modernster Technik, redundanter Stromversorgung und speziellen Krisenstabsräumen. Mit elf Leitstellenpulten und sechs zusätzlichen Notrufabfrageplätzen für Katastrophen und Großeinsatzlagen ist sie laut Ramers „eine der modernsten Leitstellen Deutschlands“.

Landrat Markus Ramers steht an der Steinbachtalsperre.

Aus Sicht von Landrat Markus Ramers gibt es auch vier Jahre nach der Flut noch viel zu tun.

In die Kommunikation wurde ebenfalls investiert. Um die Kommunikation im Krisenfall zu sichern, wurden 13 Starlink-Systeme sowie 16 Satellitentelefone samt Laptops angeschafft. Diese ermöglichen eine Kommunikation, selbst bei Ausfall von Mobilfunknetzen. Die Systeme sind in allen elf Städten und Gemeinden sowie bei Hilfsorganisationen im Einsatz.

„Nach Ausfällen des Digitalfunks während der Flut wurden die Basisstationen im Kreis Euskirchen umgerüstet, um die Kommunikation der Einsatzkräfte auch bei Stromausfällen sicherzustellen“ sagt Ramers. Nach der Flut seien im gesamten Kreisgebiet zahlreiche neue Sirenen installiert und bestehende Anlagen modernisiert worden, um die Bevölkerung künftig schnell und flächendeckend warnen zu können.

174 Notfallmeldestellen wurden in den Städten und Gemeinden eingerichtet – als analoge Anlaufpunkte für Bürgerinnen und Bürger, beispielsweise bei Stromausfall oder Ausfall der Kommunikationsnetze. Dort können im Ernstfall Informationen abgerufen und Hilfe angefordert werden – ein wichtiger Baustein für mehr Resilienz in der Fläche.

Zur besseren Einschätzung von Starkregenrisiken wurden neue Gefahrenkarten erstellt. „Diese helfen Kommunen und Bürgern, sich gezielt auf mögliche Überflutungen vorzubereiten“, sagt Ramers, der einige Herausforderungen für die Zukunft ausgemacht hat.

Zur Wetteranalyse soll Künstliche Intelligenz eingesetzt werden

„Frühwarnung und Katastrophenschutz müssen konsequent digitalisiert werden. Wir wollen in fortschrittliche Systeme wie KI-gestützte Wetterdatenanalysen auf Basis der Starkregengefahrenkarten investieren.“ Verschiedene neue Pegel-Systeme seien schon in einzelnen Kommunen im Einsatz. Das Ziel müsse es sein, „die Daten für eine ganzheitliche Risikobewertung im Lagesystem der Leitstelle zusammenzubringen“, so Ramers.

Der Wiederaufbau erfolgt in vielen Bereichen nach robusteren Standards – beispielsweise mit Notstromversorgung und verbesserter Telekommunikation. Auch Bahnstrecken und Brücken sind wesentlich krisenfester gebaut worden.

Beendet ist dieser Prozess längst nicht, so Ramers: „Wir müssen konstatieren, dass es in den kommenden Jahre auch aufgrund der hybriden außenpolitischen Bedrohungslage weitere Investitionen braucht, um öffentliche und insbesondere kritische Infrastruktur resilient zu gestalten.“

Die Technik ist nicht alles. Es komme vor allem auf den Menschen an. „Wir brauchen engagierte und kompetente Menschen, die die Technik bedienen. Es bleibt in den kommenden Jahren eine Herausforderung, genügend Personal für diese Aufgaben zu gewinnen“, sagt Ramers: „Vor allem, da wir im Kreis Euskirchen in der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr auch weiterhin von einem starken Ehrenamt leben.“

Bei allem Engagement der Kommunen und Wasserverbände komme der Kreis beim Hochwasserschutz „nicht in dem Tempo voran, das es eigentlich bräuchte“. Bund und Land seien hier ebenso gefordert, so Ramers: „Die Verfahren müssen endlich vereinfacht werden, und vor allem muss Geld zur Verfügung gestellt werden. Umfangreicher technischer Hochwasserschutz lässt sich nicht aus kommunalen Haushalten finanzieren.“