Mehr als 80 Sensoren an den Flüssen Inde und Vicht liefern Daten über den Wasserstand, die mit Künstlicher Intelligenz sofort ausgewertet werden.
Test mit 80 SensorenSo soll KI in der Eifel beim Hochwasserschutz helfen

Schwer getroffen: Stolberg nach der Flut im Juli 2021. Ein neues Frühwarnsystem soll bei künftigen Starkregen-Ereignissen dafür sorgen, dass die Informationen über anschwellende Bachläufe und Flüsse innerhalb von Sekunden zur Verfügung stehen. Foto: dpa
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Wenn es um grundsätzliche Fragen des Hochwasserschutzes geht, wird Holger Schüttrumpf nicht müde, den immer gleichen Satz zu wiederholen. „Hochwasser ist nicht gleich Hochwasser“, pflegt der Leiter des Instituts für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der RWTH Aachen dann zu sagen.
Genau das hat er in seinem Bericht an die Enquete-Kommission „Wasser in Zeiten der Klimakrise“ des NRW-Landtags, die sich mit den Folgen der Flutkatastrophe in der Eifel und an der Ahr befasst, im Frühjahr wieder getan.
„Hochwasserschutz und Schutz gegen Starkregen hängen von den jeweiligen lokalen geografischen, geologischen, topografischen, hydrologischen und hydraulischen Verhältnissen sowie der vorhandenen Landnutzung ab. Dies bedeutet, dass es verschiedene Hochwasserschutzstrategien für Mittelgebirge und Flachland, kleine und große Flüsse, ländliche und urbane Räume geben muss“, sagt der Wissenschaftler.
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Inde verwandelte sich 2021 in reißenden Strom
Ein halbes Jahr später stehen Schüttrumpf und NRW-Umweltminister Oliver Krischer in einer Gruppe von Wissenschaftlern und Praktikern aus der Wasserwirtschaft an dem Flüsschen Inde in Aachen-Kornelimünster, das sich als einer von vielen Bächen und Flüssen im Juli 2021 innerhalb weniger Stunden in einen reißenden Strom verwandelt hat.
Diese Forschung hilft uns, die Sicherheit gerade dort zu erhöhen, wo kleine Gewässer große Schäden anrichten können
Die Gruppe bestaunt einen unscheinbaren Sensor, der den Abstand zwischen Brücke und Wasser misst und mit diesen Messdaten einen Beitrag dazu leisten soll, Hochwasser auch an kleineren Flüssen präziser und schneller vorherzusagen. Mehr als 80 dieser kleinen Geräte sollen im Rahmen des Forschungsprojekts im Einzugsgebiet der beiden Flüsse installiert werden. Am Ende des Projekts sollen es mehrere Hundert sein, vor allem auch an den Oberläufen der Bäche, über die es bisher keinerlei Informationen gibt.
Der Sensor befindet sich unter einer Brücke direkt neben dem Hochwassermeldepegel, der vom Landesamt für Natur, Umwelt und Klima (LANUK) betrieben wird. Die Daten fließen neben zusätzlichen Messungen an weiteren Stellen im Gewässerlauf in das Vorhersagesystem ein. Ziel ist es, aus vielen einzelnen Messpunkten ein flächendeckendes Prognosenetz für kleine Gewässer zu knüpfen, um den lokal zuständigen Behörden und dem Katastrophenschutz verlässliche Informationen zur Verfügung zu stellen.
KI-Modell für den Hochwasserschutz
HüPros heißt das vom Land geförderte Forschungsprojekt. Die Abkürzung steht für „Hochwasser- und Überflutungsprognose-System“, ein Modellvorhaben, das dichte Sensornetze und künstliche Intelligenz nutzt, um Wasserstand, Niederschlag und Bodenfeuchte in den Einzugsgebieten von Inde und Vicht in Echtzeit zu erfassen und dadurch schnellere Hochwasservorhersagen zu ermöglichen. „Das ist wichtig, um im Ernstfall Zeit zu gewinnen. Kornelimünster hat 2021 erlebt, wie schnell die Lage ernst werden kann. Diese Forschung hilft uns, die Sicherheit gerade dort zu erhöhen, wo kleine Gewässer große Schäden anrichten können“, sagt Krischer.
Die Firma Flood-Waive, eine Ausgründung des Instituts für Wasserwirtschaft und Wasserbau an der Uni Aachen, hat ein KI-Modell entwickelt, das es laut Professor Schüttrumpf ermöglicht, Prognosen mit Beschleunigungsfaktoren von bis zu einer Million gegenüber den herkömmlichen Messverfahren zu erstellen. Das hybride KI-System kombiniert physikalische Modelle und KI-Algorithmen. Damit erreiche man eine drastische Reduzierung der Rechenzeit und könne Überflutungssimulationen in Sekunden erstellen. „Quasi in Echtzeit“, so Schüttrumpf.

Holger Schüttrumpf, Leiter des Instituts für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der RWTH Aachen, steht im Aachener Stadtteil Kornelimünster auf einer Fußgängerbrücke, die über die Inde führt. Unter der Brücke ist das neue Sensor-System installiert.
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Das sei vor allem bei der Frühwarnung für Hochwasser-Ereignisse in den Mittelgebirgsregionen und Starkregen von Vorteil, weil die in der Regel nur von kurzer Dauer seien und deshalb von klassischen Prognoseverfahren kaum erfasst werden können.
Das Geniale ist erst einmal, dass wir mit diesem System viel schneller sind
„Das Geniale ist erst einmal, dass wir viel schneller sind“, sagt Schüttrumpf. „Wir verbinden damit die Vorhersagen des Deutschen Wetterdienstes mit den Pegelmessungen und der Künstlichen Intelligenz.“
Der Einsatz von KI-Systemen mache aber nur Sinn, wenn die Warnsysteme in die bestehenden Alarmierungsketten eingebettet sind, die Warnmeldungen also verlässlich und rechtzeitig ankommen. „Neben den technischen Lösungen ist hier die nicht-technische Komponente entscheidend – also etwa die Frage, wie die Menschen bei einer Warnung reagieren sollen und welche Handlungsempfehlungen kommuniziert werden.“
Das sei noch ein Problem. „Meiner Vorstellung nach landet in naher Zukunft ein Signal auf den Smartphones der Menschen in den betroffenen Regionen. Es geht darum, rechtzeitig zu warnen, damit sie sich in Sicherheit bringen können. Und im besten Fall noch darüber zu informieren, wo das der Fall ist.“
Hochwasserschutz in der Eifel: Es geht um Rettung von Menschenleben
Das ist der Job des Wasserverbands Eifel-Rur, der das Forschungsprojekt ins Leben gerufen und neben der RWTH Aachen auch die Universität Duisburg-Essen und das Forschungszentrum Jülich an Bord geholt hat. Das Land NRW unterstützt es mit 1,3 Millionen Euro.
„Wir haben ein klares Ziel vor Augen. Es geht um detaillierte Kenntnisse des Ist-Zustands unserer Gewässer und verlässliche Prognosen bei Hochwasser“, sagt Joachim Reichert, Vorstand des Wasserverbands. Schnelle und verlässliche Informationen seien entscheidend, „um Menschenleben zu retten und Schäden zu verringern.“
Parallel zu den Forschungsaktivitäten baut das Land das eigene Pegelnetz aus: Die 26 angekündigten landeseigenen Hochwassermeldepegel werden bis Ende des Jahres installiert und ans Netz des LANUK angeschlossen. Wie alle Hochwassermeldepegel des Landes erfüllen sie hohe Qualitätsanforderungen: Jeder Pegel arbeitet mit zwei unabhängigen Messsystemen und überträgt Daten über getrennte Netze an die Hochwasserzentrale des LANUK. Dort werden die Daten rund um die Uhr ausgewertet. Die Messwerte erscheinen im Hochwasserportal.NRW und fließen in hydrologische Lageberichte und Warnungen ein.