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Bestseller-Autorin Sophie Jones„Das ist sehr befremdlich für mich“

Lesezeit 7 Minuten
Die Autorin Sophie Jones.

Die Autorin Sophie Jones liest am Samstag, 29. April, im Rahmen der Leverkusener Buchwoche „Lev liest“ aus ihrem autobiografischen Buch „Erlöse mich von dem Bösen“

Die bei Leipzig lebende Autorin Sophie Jones (geboren 1995) hat mit „Erlöse mich von dem Bösen“ ein Buch geschrieben, in dem sie ihre Kindheit im Dienste der Zeuge Jehovas und ihren späteren Ausstieg schildert. Jetzt gastiert sie bei der Buchwoche „Lev liest“ - und sprach vorab mit unserer Zeitung.

Frau Jones, Sie haben einen Bestseller über ihren Ausstieg aus der Welt der Zeugen Jehovas geschrieben – und sind studierte Bibliothekswissenschaftlerin. Wie ist das denn so, sein eigenes Buch im Regal stehen zu sehen?

Sophie Jones: Toll. Und auch wenn es sich seltsam anhören mag: Ich gebe zu, dass ich mir mein Buch sogar selber gekauft habe.

Das ist nicht verwerflich. Ich kann mir vorstellen, dass viele Autorinnen und Autoren das tun. Auch ich wäre da nicht anders.

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Ja, das ist etwas, für das ich mich ganz sicher nicht schämen muss. Fakt ist nunmal: Mein Buch ist in einem sehr großen Publikumsverlag erschienen. Es war Spiegel-Besteller. Also kann man davon ausgehen, dass es auch in einer Bibliothek steht. Aber es ist schon so ein kleines Ego-Ding. Wenn ich in anderen Städten unterwegs bin, gehe auch immer in die dortigen Buchhandlungen und gucke, ob mein Buch da ist, möchte es heimlich signieren – und ich bin enttäuscht, wenn ich es nicht finde.

Wo haben sie denn mal umsonst gesucht?

In Frankfurt, in der riesengroßen Filiale einer Buchhandlungskette. Das war knapp einen Monat, nachdem die Taschenbuchversion rausgekommen war. Sprich: Sie hätten es eigentlich auf Lager haben müssen. Die Angelegenheit war ihnen dann auch sichtlich unangenehm.

Nun lesen Sie bei „Lev liest“. Wie kam der Kontakt nach Leverkusen zustande?

Tobias Falke, der die Lesung organisiert, ist ja selbst Aussteiger. Unsere Community wiederum ist nicht allzu groß. Und ich würde schon sagen, dass ich darin die bekannteste Aussteigerin, zumindest im deutschsprachigen Raum, und auch recht medienwirksam unterwegs bin. Sprich: Viele kennen mich, obwohl ich sie nicht kenne. Und somit hat Tobias Falke mich angesprochen, ob ich mir vorstellen könnte, zu „Lev liest“ zu kommen. Und das mache ich sehr gerne.

Es ist einfach schön für mich zu sehen, dass auch zwei Jahre nach meiner Buchveröffentlichung noch Interesse daran besteht. Ich meine: Das Buch kam ja während der Pandemie raus. Als es auf der Spiegel-Bestsellerliste stand, war jede Buchhandlung geschlossen. Verkäufe waren nur online möglich. Lesungen gar nicht. Die Buchmessen in Leipzig und Frankfurt waren ausgefallen. Und als sie wieder stattfinden konnten, brauchte ich da nicht mehr aufzuschlagen, denn mein Buch war keine Novität mehr.

In Opladen lesen Sie im dortigen Gemeindezentrum. Einem kirchlichen Raum. Ist das für Sie ein Lesungsort wie jeder andere?

Nein. Das ist sehr befremdlich für mich. Ich bin selber sehr gespannt, wie sich das anfühlen wird. Und es wird bestimmt etwas mit mir machen. Denn ich gehe eigentlich nicht in Kirchen – und auch nicht in kirchliche Einrichtungen. Ich gehe in diesem Fall nur hin, weil gefühlt ich mich in der Pole Position befinde – und nicht die Kirche. Es ist und bleibt aber ein Widerspruch, da ich der Religion komplett abgeschworen habe.

Welche Reaktionen erfahren sie meist in der Öffentlichkeit, wenn Sie auftreten und ihre Geschichte erzählen?

Manche sind negativ. Vor allem im Internet. Und vor allem, wenn ich kurz zuvor im Fernsehen aufgetreten bin. Da folgen schonmal kleine Shitstorms. Aber: Bei Lesungen ist das eher nicht der Fall. Ich hatte vor einiger Zeit beispielsweise eine Lesung bei einem Festival, das ein offenes Konzept verfolgte und bei dem die Menschen quasi herumgehen konnten. Am Ende saßen bei mir gut 200, 300 Leute. Und das zeigt mir: Es gibt da eine gewisse Faszination, weil viele mit dieser Thematik gar keine wirklichen Berührungspunkte haben. Hinzu kommt ein bisschen Überraschung. Manche sind auch geschockt. Für mich jedenfalls ist es insgesamt meist ein positives Gefühl – auch weil ich nicht wie ein Opfer rüberkomme und mich nicht in der Opferrolle positionieren möchte.

Meine Intention ist ja eher, aufzuklären und zu zeigen: Man kann, wenn einem derlei Dinge widerfahren sind, trotzdem sein Schicksal in die Hand nehmen. Dadurch können sich sehr viele Menschen mit mir identifizieren. Ich gehe ja auch gerne in Schulen und halte dort kostenlose Vorträge. Zuletzt hat sogar ein Mädchen seine Facharbeit über für mich als Mensch geschrieben. Das ist für mich eine große Ehre. Es zeigt mir, dass bei jungen Leuten wirklich etwas hängen bleibt.

Sie haben sich durch Ihr Buch und die Tatsache, dass Sie auch Aussteigenden aus der Szene helfen, selbst eine große Verantwortung auferlegt. War Ihnen das klar, als sie sich hinsetzten und mit dem Schreiben begannen?

Ja, das war mir von Anfang an klar. Nicht zuletzt, nachdem ich damit bewusst an die Öffentlichkeit gegangen bin. Auch wenn meine Intention ursprünglich eine andere war: Es ging mir vor allem darum, mit der Sache abzuschließen und mit mir selbst ins Reine zu kommen. Man kann sagen: Das ist alles ein Prozess.

Inwiefern?

Am Anfang war ich noch sehr wütend – und das bin ich heute gar nicht mehr. Heute sehe ich das eher objektiv – und überlege sehr genau, was ich in der Öffentlichkeit sage. Ich bin sehr vorsichtig und würde niemals Verallgemeinerungen aufstellen. Es ist meine persönliche Geschichte. Ich kann damit nicht für alle sprechen und es sind nicht alles schlechte Menschen, mit denen ich früher zu tun hatte. Ja: Ich sage, dass die Zeugen Jehovas eine Sekte sind. Aber ich kann das auch begründen und bin nicht auf Krawall gebürstet.

Wenn ich im Fernsehen sitzen und diese Organisation total runtermachen würde, würde mir das niemand abnehmen. Alle würden denken: Die macht das jetzt aus persönlichen Rachegefühlen. Und das stimmt nicht. Ja: Ich bin mir der Verantwortung sehr bewusst – auch weil ich ja selber weiß, was mir damals, als ich 13, 14 war und überlegte, mit dem Leben abzuschließen, geholfen hätte. Deshalb arbeite ich mittlerweile auch viel mit Opfern von Kindesmissbrauch zusammen. Und da ist ohnehin sehr viel Fingerspitzengefühl und Feingefühl gefragt. Da lernt man, was man für eine Verantwortung hat.

Sie erwähnten das Internet. Wie sehr beschäftigen Sie die dortigen Hass-Kommentare?

Ach, ich kann nicht jeden Menschen belehren. Wenn mich Leute persönlich angreifen, juckt es mir zwar auch in den Fingern. Ich lese das ja alles. Und ich antworte auch häufig. Aber manchmal muss man die Leute dort dann auch einfach mal dumm rumquatschen lassen. Es gibt ein Zitat, das ich mal gelesen habe und von dem ich leider nicht mehr weiß, von wem es stammt. Aber es ist wahr: Streite dich nie mit einem Idioten, denn aus der Ferne wird man nie erkennen, wer der Idiot ist.

Was denken Sie: Was würde die junge Sophie Jones zu ihrem heutigen Ich sagen, wenn sie ihm begegnete?

Sie würde sagen: „Das hast du gut gemacht!“ Sie würde das ganz cool finden, denn die heutige Sophie versucht das auszuleben, was sie sich als Kind immer gewünscht hat.

Einen Bestseller haben Sie nun schon geschrieben. Wie sieht es mit weiteren Büchern aus?

Da gibt es durchaus ein paar Sachen… Aber man bekommt leider nicht immer gleich einen Buchvertrag. Ich habe jedenfalls noch keinen und muss ehrlich zugeben: Meine neuen Projekte wurden bisher alle abgelehnt. Es ist also nicht so, dass ich einmal einen Besteller geschrieben habe – und jetzt schreiben kann, was ich will. Aber ich hege trotzdem die Hoffnung, dass sich irgendwann doch noch ein Verlag meiner annimmt. (lacht) Als nächstes würde ich jedenfalls gerne einen Thriller schreiben. Die lese ich sehr gerne. Und er könnte in der Sektenwelt spielen.

Sophie Jones liest am Samstag, 29. April, um 19 Uhr im evangelischen Gemeindehaus Opladen an der Bielertstraße 14 aus ihrem Bestseller-Buch „Erlöse mich von dem Bösen - Meine Kindheit im Dienste der Zeugen Jehovas“ (Bastei-Lübbe-Verlag). Der Eintritt kostet fünf Euro.

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