Ein Gutachten hebt das Finanzdesaster in neue Dimensionen. Dezernentin Andrea Deppe gesteht Fehler ein.
Finanzdesaster weitet sich ausRettungsdienst macht in Leverkusen 78 Millionen Defizit

Ein Rettungswagen (RTW) fährt aus der Notfall-Ambulanz-Garage des Opladener Remigius-Krankenhaus. In Leverkusen ist aus der Abrechnung des Rettungsdienstes ein politisches Beben geworden.
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78 Millionen Euro. Auf diesen Betrag beläuft sich derzeit der Schaden, der dadurch entstanden ist, dass die Stadt ihre Ausgaben für den Rettungsdienst mit den Krankenkassen nicht ordnungsgemäß abgerechnet hat. Nach langem Zögern wurde am Montagabend offenbar, wie groß der Schaden wirklich ist. Zuvor hatte Andrea Deppe, die als Baudezernentin auch für die Feuerwehr und damit den Rettungsdienst verantwortlich ist, Fehler eingeräumt. „Es tut uns leid“, so die Baudezernentin im Rechnungsprüfungsausschuss. Es seien handwerkliche Fehler gemacht worden in der Stadtverwaltung. Jetzt wolle man mit Nachdruck daran arbeiten, sie zu korrigieren.
Dafür braucht die Stadtverwaltung den Rat eines Experten. Er kommt von der KAG Consulting und wurde in den Ausschuss eingeladen. Das musste allerdings die Vorsitzende des Rechnungsprüfungsausschusses, Milanie Kreutz, selbst erledigen. Und das sei ihr von der Stadtverwaltung auch nicht leicht gemacht worden, erklärte die SPD-Fraktionsvorsitzende. Die Verwaltung – so versteht Milanie Kreutz das Hin und Her um seine Einladung in den Ausschuss – legt keinerlei Wert darauf, die Sache an die große Glocke zu hängen.
Grünen wollten Andrea Deppe decken
Das merkte man auch in der Sitzung: Nur ihrem und dem wiederholten energischen Einschreiten von Yannik Klein (CDU) und Uwe Bartels (FDP) war es zu verdanken, dass die Angelegenheit überhaupt öffentlich diskutiert wurde. Wäre es nach der Stadtverwaltung gegangen, nichts wäre offenbar geworden von den Details. Auch die Grünen starteten am Montagabend einen letzten Versuch, die Öffentlichkeit im Unklaren zu lassen über das Ausmaß des Desasters. Der Grund: Die verantwortliche Baudezernentin Andrea Deppe läuft auf dem Ticket der Grünen.
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Wir sollten aufhören, zu blockieren und zu mauern
Ein Geschäftsordnungsantrag von Roswitha Arnold, alles in den nicht öffentlichen Teil zu bugsieren, bekam allerdings nur die beiden Stimmen von ihr und der jetzigen Fraktionsvorsitzenden Claudia Wiese. „Wir sollten aufhören, zu blockieren und zu mauern“, kommentierte Kreutz das Vorgehen der Stadtverwaltung und der Grünen.
Für die Verwaltung ist die ganze Sache außerordentlich peinlich. Denn über Jahre wurden viel zu niedrige Kosten für den Rettungsdienst angesetzt. Die Tatsache, dass die Krankenkassen sich mittlerweile sperren, für Leerfahrten aufzukommen, ist nur eines der Probleme. Das machte der Experte sehr deutlich. Es seien zwar diverse Kommunen in Nordrhein-Westfalen mit demselben Problem konfrontiert, aber mit Blick auf die Zahlen sagte er: „Da spielen Sie ganz vorne mit.“
Um welche Beträge es eigentlich geht, wurde erst nach internen Beratungen deutlich. Zunächst hatten die Grünen vorläufige Summen angezweifelt, von denen Milanie Kreutz gesprochen hatte. Diese Beträge, um die 30 Millionen, finde man, wenn man sich im Ratsinformationssystem umschaue, berichtete Kreutz, es seien also keineswegs aus der Luft gegriffene Zahlen. Das bestätigte auch der Gutachter, der von 27 bis 29 Millionen Euro sprach.
Verwaltung sah sinkende Kosten
Diese auch schon sehr hohe Summe umfasst allerdings nur den kleineren Teil jener mehrjährigen Phase, in der die Kosten für den Rettungsdienst von der Leverkusener Feuerwehr nicht korrekt erfasst wurden. In manchen Jahren seien sogar niedrigere Kosten als zuvor angesetzt worden, berichtete der Gutachter zu seinem eigenen Erstaunen und auch dem einiger Politiker. Nach Durchsicht aller Rechnungen kommt er auf ein Defizit von 78 Millionen Euro.
Claudia Wiese versuchte, das Augenmerk auf die Kämmerei zu richten. „Ist das denn dort nicht aufgefallen“, fragte sie. Gemeint war natürlich die Ära Michael Molitor. Stadtdirektor Marc Adomat, der im Moment mit Andrea Deppe gemeinsam die Kämmerei führt, weil Finanzdezernent Molitor zunächst krank war, jetzt mit einem Disziplinarverfahren konfrontiert ist, allerdings im kommenden Frühjahr ohnehin abgewählt werden will, sagte dazu: „Das wäre keinem von uns aufgefallen.“
2017 kam das Thema zur Feuerwehr
Klar ist: Bis 2016 ressortierte das Thema Rettungsdienstgebühren in der Kämmerei. Ab 2017 ging es zur Feuerwehr über. 2018 sei noch eine Satzung gemacht worden, hat das Aktenstudium von Milanie Kreutz ergeben. Später - das weiß man jetzt, wo der Gutachter das Thema umfänglich aufgearbeitet hat -, wurden unter anderem Nebenkosten nicht angesetzt, die für den Rettungsdienst anfallen: zum Beispiel die Reinigung der Einsatzkleidung.

Die Hauptwache der Leverkusener Feuerwehr an der Edith-Weyde-Straße ist auch Standort des Rettungsdienstes.
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So kam es über die Jahre zu immer größeren Diskrepanzen zwischen dem, was der Rettungsdienst kostete, und dem, was die Krankenkassen erstatteten. Später wurde überhaupt gar keine Satzung mehr gemacht. Im Zusammenhang damit fiel im Ausschuss auch der Name des früheren Feuerwehrchefs Hermann Greven. Kreutz sagte dazu: „Ich sehe überhaupt keine Schuld bei der Feuerwehr.“ Das Thema hätte von der Baudezernentin bearbeitet werden müssen. Dies sei offenkundig nicht geschehen. Mit Blick auf die nunmehr zwölfjährige Amtszeit der Dezernentin sagte Kreutz: „Frau Deppe, Sie sind die ganze Zeit dabei gewesen. Sie haben nichts umgesetzt.“
SPD wollte seit 2021 Aufklärung – vergeblich
Die These von Marc Adomat, das Thema Rettungsdienstgebühren sei komplett unter dem Radar gelaufen, kann die SPD-Politikerin nicht nachvollziehen. Ab dem Jahr 2021 habe ihre Fraktion die Gebühren zum Thema gemacht und auch regelmäßige Berichterstattung der Stadtverwaltung dazu gefordert. Die gab es dann allerdings nicht.
Oberbürgermeister Uwe Richrath versuchte, den Blick in die Zukunft zu lenken: „Wir wollen, dass die Stadt so wenig Schaden wie möglich erleidet.“ Ob und wie viel der 78 Millionen Euro, die bisher angefallen sind, von den Krankenkassen zurückgeholt werden kann, ist derzeit vollkommen unklar. Der Gutachter muss sich darüber mit den Kassen einigen. Weil viele Kosten schon vor Jahren angefallen sind, muss bezweifelt werden, dass sich die Kassen besonders kooperativ zeigen und der Leverkusener Stadtverwaltung aus der Patsche helfen.
Jeder weitere Monat kostet 1,4 Millionen Euro
Klar wurde am Montagabend auch, dass die Zeit drängt. Die derzeitige Berechnung der Kosten bedeutet, dass der Stadt Leverkusen jeden Monat 1,4 Millionen weitere Euro an Schaden entstehen, so die Kalkulation des Gutachters. Dieses Szenario vor Augen fragte sich Milanie Kreutz: Warum denn die Stadtverwaltung die Verabschiedung einer neuen Satzung erst für Dezember vorgesehen habe. Erst recht, weil der Gutachter auf Befragen mitteilte: „Den Entwurf einer Satzung, den habe ich schon dabei.“
Tatsächlich soll es jetzt schneller gehen. Am Dienstag hieß es aus dem Rathaus, die neue Satzung solle so schnell wie möglich stehen.
Dabei helfen, das setzten die Politiker am späten Montagabend durch, soll eine Verlagerung des Themas zurück in die Kämmerei. Die Aufsicht darüber sollen aber weder die Interimskämmerin Andrea Deppe noch ihr Kollege Marc Adomat bekommen. Vielmehr wurde der Oberbürgermeister gebeten, das Thema dem Sozialdezernenten Alexander Lünenbach zuzuordnen. Ob der Sozialdemokrat dieser Bitte nachkommt, ist offen.
Wie unangenehm der Verwaltung die Sache ist, zeigten auch die Umstände, unter denen Milanie Kreutz die Akten zu dem Komplex einsehen konnte: Zunächst sollte sie eine eigene Verschwiegenheitserklärung unterschreiben. Erst dann würde man ihr die Akten zugänglich machen, berichtete sie. „Das habe ich natürlich nicht gemacht.“